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Ausgabe:

1981

Spalte:

442-444

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

D'Hert, Ignace

Titel/Untertitel:

Wittgenstein's relevance for theology 1981

Rezensent:

Flach, Wilfried

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 6

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liegen und göttlichem Anspruch (270- Durch den Versuch, seine
Grenzen von sich aus zu Gott überschreiten zu wollen, verfalle der
Mensch den Gegensätzen von Geist und Natur, Wahrheit und Wirklichkeit
usw. Gerade auf Grund der Religion also leben wir im tödlichen
Dualismus (32). Barths Religionskritik wird im engen Zusammenhang
mit seiner Rechtfertigungslehre gesehen. So wie es gerechtfertigte
Sünder gibt, gibt es gerechtfertigte, d. h. wahrgemachte Religion
(47ff). Die Spannung des simul iustus et peccator bezeichnet die
Wirklichkeit der unter Gottes Urteil stehenden Religion (60). „Daß
Religion Sünde ist, ist allerdings Gottes Urteil über alle Religion und
nicht etwa irgendeines Menschen Urteil über eine - möglichst andere
- Religion. Weil es Gottes Urteil über alle Religion ist, hat die christliche
Religion ihren Ort inmitten der anderen Religionen theologisch
als Solidarität der Sünder zu deuten" (58). Es ist ein großes Verdienst
des Vf., erneut darauf hingewiesen zu haben, daß Barth hier streng
zwischen Gottesurteil und menschlichem Urteil unterscheidet. Von
prinzipieller Intoleranz gegenüber anderen Religionen kann daher
bei Barth keine Rede sein (59).

Daß das vom Menschen gemachte Abbild für die von Gott gegebene
Wirklichkeit gehalten wird, ist die Sünde der Religion (59f).
Diese Verzerrung der Wirklichkeit ist in Jesus Christus überwunden
(60). Exklusiv nur dort, wenn man mit Vf. § 17 der KD für „Barths
letztes ausgesprochenes Wort zum Problem Religion " (65) hält. Dies
ist m. E. nicht zutreffend. Barth hat in KD IV im Zusammenhang mit
seiner Rede von den „wahren Worten extra muros ecclesiae" und den
Ausführungen über die Profanität die Religionen ausdrücklich mitgemeint
. Diese - zugegeben etwas versteckte - Entfaltung der „Rechtfertigung
der Religion" in weitaus umfassenderen Zusammenhängen
bekommt Vf. nicht in den Blick, weil er KD IV nicht genügend berücksichtigt
.

In einem zweiten Teil wird die implizite Lehre vom Gebet dargestellt
. Besonders im Gegensatz zu F. Heiler habe Barth das Gebet als
Wirkung des Geistes Jesu Christi allein verstanden (88). Christliches
Leben ist im ganzen nichts anderes als ein Gebet (77), insofern es
Ant-wort auf das zuvor ergehende Wort Gottes in Jesus Christus ist.
Da Jesus Christus aber zugleich auch der einzige Zeuge des Wortes
ist, entscheidet und bestimmt sich in seinem Beten das Wesen des Gebets
(970- An der Lehre vom Gebet zeigt sich besonders deutlich, wie
Dogmatik und Ethik eng zusammenhängen: sie fragen nur in jeweils
umgekehrter Richtung nach demselben Thema, dem Tun Gottes in
bezug auf den Menschen bzw. dem Tun des Menschen in bezug auf
Gott (70).

Ein dritter Teil stellt die „Lehre vom Gebet als ethische Folge von
der Religion" dar. Die von Barth aufgebaute Alternative heißt: religiöses
Verhalten will sich nehmen, betendes Verhalten läßt sich beschenken
(127). Jenes redet und bringt seine eigenen Wünsche ins
Spiel, dieses hört und ist gehorsame Antwort. Religion ist die Haltung
des Unglaubens, Gebet ist die Haltung des Glaubens (126). Vf. fragt
nicht, ob diese Alternative haltbar ist. Was ist denn „Religion von
Haus aus" (eine im Anschluß an Barth immer wieder gebrauchte Formel
, z. B. 129)? In den Religionen gibt es durchaus Hören, Sich-
Beschenken-Lassen, also in diesem Sinne Glauben. Barth selbst deutet
dies vorsichtig an, wenn er von den „wahren Worten" spricht.
Wenn man die implizite Lehre vom Gebet mit der expliziten Lehre
von der Religion (KD § 17) allein vergleicht und nicht auch die implizite
Lehre von der Religion (KD IV) mit heranzieht, kommt man zu
Fehlschlüssen. Dies ist bedauerlich, da gerade im Hinblick auf das
Reden von einem „religionslosen Christentum" Barth in KD IV viel
sagt: dort kann die Profanität als von Christus in Anspruch genommene
erscheinen. Dies böte im Gespräch mit Bonhoeffer - den Vf.
nur am Schluß (121 ff) recht kurz zu Wort kommen läßt - neue Möglichkeiten
, den Begriff des ,;religionslosen Christentums" zu verstehen
.

Es ist das Verdienst des Vf., diese Frage neu und mit Sachkenntnis
aufgeworfen zu haben. Möge das Buch die Diskussion um „Religion"
theologisch vertiefen helfen.

Bangalore Michael v. Brück

D'hert, Ignace: Wittgenstein^ Relevance for Theology. 2nd. Ed. Bern
- Frankfurt/M. - Las Vegas: Lang 1978. 237 S. 8' = European Uni-
versity Papers, Series XXII: Theology, 44. Kart. sfr43,-.

Vf., ein katholischer Theologe, versucht, die Bedeutung L. Wittgensteins
, dem er einen einzigartigen Platz in der Philosophie zuweist
, für die Theologie herauszuarbeiten. Im ersten Teil stellt er
Wittgensteins Werk vor und gibt anschließend "in a 'Heideggerian'
way of looking at Wittgenstein" (72) eine "overall interpretation"
(13). Im zweiten Teil konfrontiert er seine Wittgenstein-Interpretation
in der Auseinandersetzung mit Thomas v. Aquino mit der
Theologie.

Der frühe Wittgenstein wird an Hand des «Tractatus logico-philo-
sophicus» (Tip) dargestellt. Sein ontologisches Grundgerüst, seine
Bildtheorie, seine Isomorphietheorie der Satzbedeutung und seine
Auffassung von den komplexen Sätzen als Wahrheitsfunktionen werden
herausgearbeitet. Die gebotene Kürze verhindert allerdings
ein tieferes Eindringen in das komplizierte Werk. So fehlt z. B. ein
Verweis auf die von Stenius hervorgehobene „ontologische Abbildtheorie
". Ohne ihn bleibt vieles, was über die Logik ausgesagt wird,
unverständlich. Allerdings betont Vf. auch, daß die angeführten Problemkreise
nicht das Hauptanliegen des Tip verdeutlichten. Er behauptet
vielmehr, "that the whole point of the Tractatus lies in its
pointing beyond itself to the sphere of the mystical" (33). In dieser
Schärfe kann u. E. diese These aber nicht aufrechterhalten werden.
Die Verweise auf die Tagebucheintragung vom 25.05. 1915 (vgl. Tip
6.52) und den Brief an L. v. Ficker von Anfang Nov. 1919 widerlegen
Stegmüllers Einwand nicht, daß Wittgenstein den Tip zwar als Mittel
zur Gewinnung einer mystischen Schau hätte verwenden können, es
de facto aber nie getan hat.

Im 2. Kap. geht Vf. auf den späteren Wittgenstein an Hand seiner
„Philosophischen Untersuchungen" (PU) ein. Er betont den Zweck
dieser Philosophie als Sprachtherapie und hebt die Theorie der Familienähnlichkeit
, die Sprachspieltheorie und die Bedeutungstheorie
hervor. Bei der letztgenannten übersieht Vf., daß Wittgenstein das
Wort "meaning" nur in einer ganz bestimmten, sprachanalytischen
Weise verwendet (vgl. seine Warnung: "Don't ask for the meaning,
ask for the use"). Diese Ungenauigkeit in der Darstellung des Bedeutungsproblems
führt, wie noch zu zeigen ist, zu schwerwiegenden
Fehlern bei der Interpretation des Wittgensteinschen Werkes. Auch
das Problem des „Folgens einer Regel" wird vom Vf. ungenau dargestellt
. Wittgenstein versteht unter dem „Folgen einer Regel" eine geregelte
sprachliche Verhaltensform (vgl. PU 199). Deshalb ist die
Vorstellung, man könne eine sprachliche Regel in den verschiedensten
Weisen gebrauchen (49), eine contradictio in adjecto. Aus diesen,
aber auch aus anderen Gründen ist es problematisch, wenn Vf. den
"actual use" den Sprachspielregeln vorordnet (ebd.; vgl. hierzu G.
Ryles Unterscheidung zwischen "use" und "usage" in seinem Aufsatz
"Ordinary Language". In: The Philosophical Review 40,1953,
174f).

Bevor Vf. seine von außen an das Wittgensteinsche Werk "in a
'Heideggerian' way of looking" herangetragene Totalinterpretation
darstellt und für die Theologie nutzbar macht, geht er auf andere an
Wittgenstein orientierte Theologen und Religionsphilosophen ein.
Diese nehmen Verfahrensweisen des Wittgensteinschen Spätwerks
auf und wenden sie auf die religiöse Sprache an ("interpretation from
within"). Neben L T. Ramsey, P. van Buren u. a. arbeitet D. Z. Phillips
in dieser Weise. An ihm kritisiert Vf. insbesondere, daß er die
Methoden des Wittgensteinschen Spätwerks nicht vollständig übernimmt
und eine verkürzte und von philosophischen Konzeptionen z.
T. fehlgeleitete Analyse der religiösen Sprache betreibt, was Phillips
aber bestreitet (vgl. D. Z. Phillips, Religiöser Glaube und philosophische
Untersuchung. In: I. U. Dalferth [Hrsg.], Sprachlogik des
Glaubens, München 1974, S. 247). Hauptkritik des Vf. an den erwähnten
Verfahrensweisen im allgemeinen ist, daß sie trotz begrenzter
Fruchtbarkeit das Christentum insgesamt als eine Lebensform unter
vielen anderen Lebensformen relativieren, Theologie auf