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Ausgabe:

1980

Spalte:

694-698

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Staupitz, Johann von

Titel/Untertitel:

Sämtliche Schriften 1980

Rezensent:

Rochler, Wolfgang

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693

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 9

694

exegetische Lehre des Ambrosius und sind das Thema des hier
vorzustellenden Buches.

Der Vf. war für diese Untersuchung gut ausgewiesen durch
sein vor vierzehn Jahren erschienenes Werk über die Exegese
des Ambrosius (La „Explanatio psalmorum XII". Studio lette-
rario sulla esegesi di sant'Ambrogio, Archivio Ambrosiano 17,
Milano 1965). In der Zwischenzeit hat sich der Vf. mit Arbeiten
über Augustins Confessiones befaßt, bevor er sich wieder
seinem eigentlichen Arbeitsgebiet zuwandte. Die Unterbrechung
hat sich gewiß gelohnt: das hier vorliegende Werk bearbeitet
das bislang vernachlässigte Gebiet der exegetischen
Lehre des Ambrosius so gründlich und so gut lesbar, daß es
lange dauern wird, bis eine Revision fällig werden sollte.

Die heilige Schrift wird von Ambrosius als etwas Ganzheitliches
angesehen, das in jedem seiner einzelnen Stücke Gott
zum Urheber hat (Kap. I). Darum ist Harmonie zwischen den
beiden Testamenten, deren Beziehung auch als zweigliedriges
Schema betrachtet werden kann — die Unvollständigkeit des
Alten Testamentes weist hin auf die durch Christus gebrachte
Fülle — und als dreigliedriges Schema Fortschritt von den Patriarchen
über das Gesetz zum Evangelium (Kap. II). Auf eine
Erörterung des Problems der Schriftinspiration (Kap. III) folgt
eine Untersuchung der führenden Autoren in den verschiedenen
Teilen der Schrift und ihres literarischen Stils, so: David und
der .Psalm', Lukas und der historische Stil (Kap. IV). Eine Analyse
des Themas der Weisheit (Kap. V) und der Spannung
zwischen „littera/caro" und „Spiritus" (Kap. VI) führt zu einer
Untersuchung der Ambrosius eigenen Einstellung zum Text,
seiner Präferenzen für gewisse Lesarten und der von ihm benützten
Übersetzungen (Kap. VII). Seine exegetische Methode
befähigte Ambrosius, die Schrift in ihrer mehrfachen Sinnhaf-
tigkeit zu begreifen (Kap. VIII). Im letzten Kapitel bietet der
Vf. einen Überblick über die exegetischen Normen, die Ambrosius
bei seiner Arbeit am biblischen Text leiteten. Sozusagen
als »Appetitanreger" könnte dieses Kapitel (IX) zuerst gelesen
werden; denn, trotz der gelegentlich weithergeholten Schlüsse,
die Ambrosius ebenso wie andere Exegeten seiner Zeit aus
dem Text zog (und die seitdem gezogen werden! — Vgl. G.W.
H.Lampe, „The reasonableness of Typology". In: Essays on
Typology, Studies in Biblical Theology, London 1957, S. 37 bis
38 für zwei moderne Beispiele), zeigt dieses Kapitel, daß Exegese
für ihn nicht so sehr eine rein intellektuelle als vielmehr
eine spirituelle Aktivität war, die notwendig aus den Anforderungen
seines bischöflichen Amtes entsprang.

Der Vf. betont ganz richtig das pastorale Motiv in der exegetischen
Aktivität des Ambrosius (263) und verweist auf dessen
Empfehlung an Augustin, Jesaja zu lesen. Das entsprach
seiner allgemeinen Ansicht, daß das Alte Testament vor dem
Neuen gelesen werden sollte. Natürlich müssen wir uns daran
erinnern, daß dieser Ratschlag in Wirklichkeit völlig verfehlt
war, weil Augustin den Jesaja für allzu schwer hielt und ihn
— ohne jemals durch ihn zum Neuen Testament geführt zu
werden, wie Ambrosius es wünschte — einfach beiseite legte.
Wir müssen uns fragen: Bei wem hätte diese Methode wohl
Aussicht auf Erfolg gehabt, wenn sie bei Augustin nicht anschlug
?

Besonders überzeugend gelingt in dieser Studie der Nachweis
, in welchem Maße Ambrosius seinen Vorgängern verpflichtet
ist, besonders Origines und Philo und seinem Zeitgenossen
Basilius. Und doch zieht sie Ambrosius nur selten unkritisch
heran. Der Vf. betont zu Recht die Originalität des
Ambrosius — gegen seine vorhin genannte „klassische" Einschätzung
. Im Unterschied zu den alexandrinischen Exegeten
war Ambrosius nicht der Meinung, daß Moses einer vollkommenen
Vision Gottes teilhaftig geworden sei (101): Unter Bezug
auf eine Basilius-Stelle sagt Ambrosius vieles, was zu
ihm selbst paßt (119 Anm. 129. — Dasselbe gilt übrigens auch
für die Art der Benutzung des basilianischen Hexaemerons
durch Ambrosius, besonders da, wo er die im Bilde von Bienen
und Kranichen vorgestellten Gesellschaftsordnungen behandelt
). Und in seinem Urteil über die sapientia rationalis folgt
Ambrosius im allgemeinen nicht den bekannten Quellen,

welche die sapientia rationalis unter dem dialektischen und
rhetorischen Aspekt des Urteilsvermögens (mens) sehen (190).
Dieses letzte Beispiel könnte allerdings die Frage nach einer
Entwicklung im Denken des Ambrosius aufwerfen, weil er in
seiner frühen Periode (in De Abraham) tatsächlich das rationa-
bile geteilt in Urteilsvermögen (mens) und Erörterung (sermo)
verstand. Allein unter dem Einfluß der Spekulation Philos kam
er zu der neuen Erkenntnis, es für den bestimmenden Teil der
Seele zu halten.

Durchweg ist jedoch eine Entwicklung im Denken des Ambrosius
nur ganz geringfügig festzustellen, so daß der Vf. völlig
berechtigt war, das Thema mehr thematisch als chronologisch
zu behandeln. Das brachte es freilich mit sich, daß einige
Stellen übersehen wurden, die sonst wohl diskutiert worden
wären. Beispielsweise hätte sich eine exegetische Überprüfung
von Buch I, Kapitel 2 bis 6 in De Ofiiciis, die in einer chronologischen
Untersuchung sicherlich nicht gefehlt hätte, als sehr
fruchtbar erweisen können. Diese Kapitel beinhalten einen
Sermon über die Tugend des Schweigens, unter deutlicher Bezugnahme
auf Psalm 38. Der Sermon entstand wahrscheinlich
im ersten Jahr des Episkopats von Ambrosius und ist darum
eine seiner frühesten exegetischen Arbeiten. Er wurde der Einleitung
von De Ofiiciis hinzugefügt, das erst viel später erschien
.

Im Text durfte Ambrosius selbst häufig in einer guten italienischen
Übersetzung zu Wort kommen (ich habe nur einen
Fehler auf S. 153 bemerkt, wo „vivida virtute" mit „con la sua
morte (statt virtü) vitale" übersetzt wurde, Anm. 292). Das
Buch ist ausgestattet mit einer Bibliographie, mit einem englischen
„Summary" (in dem jedoch hin und wieder das Englische
mal bizarr, mal unverständlich ist) und mit vier Registern
: Ambrosiusstellen, anderen antiken Schriftstellern, den
zitierten modernen Autoren und einem analytischen Sachindex.

London - Heidelberg Andrew Lenox-Conyngham

Staupitz, Johannes von: Sämtliche Schriften. Abhandlungen,
Predigten, Zeugnisse. II: Lateinische Schriften. 2.: Libellus
de exsecutione aeternae praedestinationis, bearb. v. L. Graf
zu Dohna u. R. Wetzel, mit der Übertr. v. Chr. Scheurl „Ein
nutzbarliches Büchlein von der entlichen Volziehung ewiger
Fürsehung", bearb. v. L. Graf zu Dohna u. A. Endriss. Berlin
- New York: de Gruyter 1979. XVII, 461 S. g. 8° = Spätmittelalter
und Reformation, 14. Lw. DM 98,—.

Persönlichkeit und Werk des Theologen und Generalvikars
der reformierten Kongregation der Augustiner-Eremiten in
Deutschland Johannes von Staupitz scheinen bis heute im
Spannungsfeld recht unterschiedlicher sowie z. T. widersprüchlicher
Interpretationsmöglichkeiten zu stehen.1 Dabei kann allerdings
die Bestimmtheit mancher Beurteilungen nicht darüber
hinwegtäuschen, daß die Forschungsgeschichte weithin
ein defizitäres und einseitiges Bild geboten hat, indem Staupitz
nur ein peripheres Interesse gleichsam unter den Prole-
gomena zur Genesis der frühreformatorischen Theologie entgegengebracht
worden ist, aber weniger die Entwicklung seines
Denkens untersucht wurde.

Dem entspricht — im Unterschied zu neueren Veröffentlichungen
zur Ordens- bzw. Unionspolitik des Generalvikars
(Wekenborg 1957, Kunzelmann 1974, Eckermann 1977) — der
bislang unbefriedigende Editionsstand des literarischen Werkes
Staupitz'. Eine moderne Erkenntnisse der Textgestaltung
und -erschließung berücksichtigende Ausgabe lag nur mit den
1927 von E. Wolf edierten Tübinger Hiob-Predigten vor,
wenngleich auch sie nicht fehlerfrei ist. Die im gleichen Jahr
von Wolf veröffentlichte Darstellung der Beziehungen Luthers
zu Staupitz2 konzentrierte sich überwiegend auf diese frühen
Predigten (1497/98), die ihren Verfasser nun als scholastischen
Theologen auswiesen, genauer gesagt als Vertreter der thomi-
stischen ,via Aegidiana'. Wenn auch bereits H. Boehmer Staupitz
in Abhängigkeit von der mystischen und thomistischen
Tradition gesehen hatte (1925), so wurde diese Sicht jetzt bei-