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Ausgabe:

1980

Spalte:

445-447

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Raeder, Siegfried

Titel/Untertitel:

Grammatica theologica 1980

Rezensent:

Beintker, Horst

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445

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. G

446

sieh flüssig, und manche Schwierigkeiten sind ausgesprochen
glücklich gelöst.

Die Anmerkungen, entlastet durch die Hinweise auf die
Monographie, sind ein Sachkommentar in nuce und erläutern
in Auswahl auch Sprachliches, so Anklänge an Homer,
die im Stellenregister nicht weiter ausgewiesen sind. Manch-
mal greifen sie weiter aus, so zu X 2, wo die Parallelen zu
den Emotionen als wilden Tieren der Seele von Piaton über
Dante zu Baudelaire reichen. Der analytische Index führt in
systematischer Gliederung vom Gesellschaftsaufbau über
weltliche und kirchliche Titulaturen bis zu den Realia des
Lebens. Der Wortindex ist ein Auszug aus einem vollständigen
Register, das in Manuskriptform bei der Universität
Paris-Nanterre deponiert ist und dort eingesehen werden
kann — eine noch ungewohnte Lösung, die aber vielleicht
sowohl den Wünschen des durchschnittlichen Benutzers der
Ausgabe als auch den Bedürfnissen des Spezialforschers
Rechnung trägt.

Während die Textausgabe mit der bei der Reihe gewohnten
Sorgfalt gedruckt ist, zeigt die Monographie technische
Mängel. Der Lichtsatz wirkt wenig harmonisch, vor allem in
den Anmerkungen, und die griechischen Worte fallen aus
dem Bild, zumal mit den Lesezeichen, die z. T. wie von Hand
eingesetzt aussehen. Druckfehler sind nicht selten und irritieren
gelegentlich. Ein Geheimnis moderner Technik ist es,
wie S. 13999 in einem Platon-Zitat aus Lois ein Mbiq nebst
kopfstehendem Fragezeichen werden konnte. Die Bibliographie
zeigt Spuren eiliger Zusammenstellung, insbesondere
bei nichtfranzösischen Titeln. Genannt sei nur, weil in
der Edition wiederholt, der Untertitel des bekannten Buches
von Ludwig Bieler, wo das „in" zu „dans" geworden ist,
so daß eine Phantompublikation „Spätantike und Frühchristentum
" auftaucht.

Unter den zahlreichen Kollegen, denen C. und L.-M. danken
, heben sie Marcel Richard hervor, der — selbst Theo-
doret-Forscher — ihnen als langjähriger Chef der griechischen
Sektion des Pariser Institut de Recherche et d'Histoire
des Textes bei der Handschriftenbeschaffung zur Seite gestanden
hat. Diesem Dank über das Grab hinaus schließt
sich Rez. und mit ihm gewiß auch mancher Benutzer der
schönen neuen Ausgabe gern an.

Berlin Kurt Treu

Raeder, Siegfried: Grammatica Theologica. Studien zu Luthers
Operationes in Psalmos. Tübingen: Mohr 1977. VII,
362 S. gr. 8° = Beiträge zur historischen Theologie, 51, Lw.
DM 98,-.

Die abschließende Arbeit einer Trilogie über Luthers zunehmenden
Umgang mit dem hebräischen Urtext für die
Auslegung des Psalters1 bringt mehr, als der Titel ahnen
läßt. Raeder legt mit diesen Studien, die 1969 schon als Habilitationsschrift
bei der Eberhard-Karls-Universität Tübingen
angenommen waren, eine selten gründliche und
mehrere theologische Fächer durch ihre Forschungsergebnisse
bereichernde Arbeit über Luthers Theologie um 1520
vor. Die hermeneutische Funktion des Hebräischen und die
materialtheologischen Auswirkungen sprachwissenschaftlicher
Verarbeitung des genauen Wortlautes biblischer Texte
sind hier an Psalm 5, Psalm 14 und 17 wie in einem Spezial-
kommentar zur zweiten Psalmen Vorlesung dargestellt.

Diese Hauptaufgabe profiliert Raeder im Traditionszusammenhang
der vorreformatorischen Erklärung des Psalters
. Die Einleitung beleuchtet näher die Aufgabe der Erkundung
des weitgehend unerschlossenen religiösen und
theologischen Hintergrundes spätmittelalterlicher Vorstellungen
. Die Dictata super Psalterium, Luthers erste akademische
Vorlesung, waren zwar auch auf den Grundtext
gerichtet, aber eben durch die Vermittlung der lateinischen
Sprache. Die Verpflichtung, die Wahrheit der Bibel zu erfassen
, hat Luther über das tiefe Eindringen in die biblischen
Sprachen und in die überlieferten Auslegungserkenntnisse
zu verwirklichen gesucht. Kein anderer wie er „hat

dem Studium der biblischen Grundsprachen und -texte für
die Auslegung größte Bedeutung" und sinngemäße Sachbezogenheit
(Rez.) „beigemessen", was 1524 mit Luthers
Worten belegbar ist.2 Raeder setzt hier gegen den Altmeister
K. Holl einen berechtigt scharfen Akzent gegen dessen Bedenken
an Luthers Verchristlichung, m. a. W. Umdeutung
der Psalmen. — Ein gewichtiger Beitrag der Studien Raeders
für den Zusammenhang alt- und neutestamentlicher Theologie
nach Luthers untrüglichem Gespür für die eigentliche
Absicht der Grundtexte könnte dadurch gelingen, daß festliegende
Religions- und Konfessionsformeln aufgebrochen
und die Beziehung der Menschen zu Gott am Psalter immer
wieder neu erfaßt werden. Freilich stellt Raeder sich ein
bescheideneres Ziel: die Bedeutung der Sprache, so wie Luther
sie beim Erforschen der Grundlaute menschlichen Verlangens
nach Gott auszumachen wußte, das in der sprachlichen
Artikulation „Grammatische" mit seiner theologischen
Qualität aufzudecken.

Diesem Ziel gibt Teil B (8-80) als Studie über „die hermeneutische
Funktion des Hebräischen bei Luther" Gestalt.
„I. Vor den Operationes in Psalmos"; „II. In den Operationes
in Psalmos" (26—80) untersuchen „das Hebräische
in seiner Beziehung zu Luthers Hermeneutik" und bieten
im einzelnen über das durch die früheren Arbeiten Bekannte
hinaus noch viel, z. B. das Aufzeigen vom zunehmenden
„Bewußtsein von der Verschiedenheit des origenistischen
und augustinischen Verständnisses der Beziehung von
.Geist und Buchstabe'" (23); der „Fortschritte in Richtung
auf einen einzigen Schriftsinn", die Luther zwischen den
beiden Psalmenvorlesungen wie „auch im Studium der biblischen
Grundtexte" macht (25); vom „Zurückgehen auf den
masoretischen Text", was die Psalmenbearbeitung von
1516 (!) „in steigendem Maße" zeigt. Es kommt diese hermeneutische
Funktion des Hebräischen dann in der zweiten
Psalmenvorlesung durch Fortschritte „im Verständnis der
Psalmen" (31 ff.), durch das „Programm einer theologisch
bestimmten Philologie" (34ff.) und die „Stellung zu Vulgata
und Septuaginta" (46ff.), „zur Kabbalistik" (59ff.) und dabei
in allem doch durch die „Unterordnung des Sprachlichen
unter den Grundsatz einer evangeliozentrischen Deutung
des Alten Testaments" (51 ff.) gut heraus.

Für die Forschung bringen die „materialtheologischen
Auswirkungen des Hebräischen" (81—302) reiche Anregungen
. Raeder geht in C I so vor, daß er von den drei ausgewählten
Psalmen jeweils zum allgemeinen Charakter der
Auslegung, dann Vers für Vers zur Auslegung im einzelnen
Untersuchungen mit Bezug auf den ganzen patristischen
Hintergrund und frühere Auslegungen Luthers vornimmt
und zu jedem Psalm mit einer Zusammenfassung seine
Ergebnisse dartut. Immerhin ist die Quellenbasis allein in
den Operationes umfangreich (WA 5,125-199; 392-429; 466
bis 490), ganz zu schweigen von übrigen Luther- und WA-
Texten, deren Verarbeitung in einem Register nachgewiesen
ist (326-341). Für Bibelstellen (341-349), hebräische Wörter
und Namen (349—353), sonstige Namen a) Personen und
Werke bis zum 16. Jh. (353-355), b) Neuere Autoren (356).
Begriffe, lat. und dt. getrennt (357—362), schaffen Register
Zugang.

Dem umfangreichen Spezialkommentar schließt Raeder
C II einen dreigegliederten, sprachwissenschaftlich auch
für die hebräische Lexikographie interessanten Teil über
den „Einfluß des Hebräischen auf Luthers Verständnis biblischer
Begriffe" an (262-302). Die hebräischen Begriffe für
„denken", für „handeln" und für „Kraft" werden nach deren
Verwendung und Erklärung in den Operationes untersucht
, aber immer auf früheres Ansetzen des Verstehens
aufgrund der Luther zur Hand gewesenen Hilfsmittel verglichen
. Natürlich stützt Raeder sich auf eigene frühere
Arbeiten, zieht aber neueste sprachphilosophische Einsichten
heran, die Luther nur bestätigen, keinesfalls aber überholen
. Welche tiefen Einsichten und wie intensive Arbeitsleistung
hinter diesen klaren und aufschlußreichen knappen
Partien bzw. fast Begriffsartikeln stehen, muß die eigene