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Ausgabe:

1980

Spalte:

290-291

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Oehme, Werner

Titel/Untertitel:

Märtyrer der evangelischen Christenheit 1980

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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L'SII

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 4

2 (MI

gelassen warten und seiner Weisheit still vertrauen müsse.
Der § 2 wendet sich dem Kieler Reformtheologen Christian
Kortholt zu, dessen Schüler und Hausgenosse Franckc 1679-82
gewesen war. Zahlreiche Übereinstimmungen zwischen Kortholt
und Francke werden festgestellt; aber es finden sich auch
Punkte, an denen Franckc eindeutig über Kortholt hinausgegangen
ist: Die genaue Fixierung des Bekehrungserlebnisses,
das Drangen auf einen Bufikampf sowie vollends eine Konvcn-
tikelbildung lagen Kortholt fern. Franckc hat wohl Kortholt:,
Lehrbuch der Kirchcngcschichtc empfohlen, „nennt ihn aber
nicht unter den Zeugen der Wahrheit" (64).

Der § 3 geht den Verbindungen Franckcs zur englischen Erbauungsliteratur
nach und stellt dazu „Grundgedanken der
Praxis pictatis Baylys" dar, da deren Einfluß auf Franckc
außer Zweifel steht. Jenes Erbauungsbuch (nach einer deutschen
Ausgabe von 1692) zeigt eine gewisse Ähnlichkeit zu pietistischen
Anliegen. Auch hier kann P. durch einen genauen
Vergleich die besondere Position Franckcs verdeutlichen." »Das
Hauptanliegen Baylys ist die cschatologische Zielsetzung der
Frömmigkeit, das zentrale Anliegen Franckes dagegen eine zeitlich
fixierbare Bekehrung" (82). Dennoch bleibt die Liste der
Übereinstimmungen auf dem Gebiet der praktisch-kirchlichen
Frömmigkeit überraschend lang (82). Ein Vergleich zwischen
Spcncr und Francke konzentriert sich auf das Thema der Wiedergeburt
(§ 4, S. 83-114). Erhebliche Unterschiede sind schon
im Ansatz nachweisbar. Spcner setzt oft bei der ursprünglichen
Gottesebenbildlichkeit des Menschen ein, für Francke hat dieser
Gedanke kaum Bedeutung. Die Ordnung Gottes hängt bei
Francke weniger mit der Schöpfung als vielmehr mit dem Heilsweg
zusammen. Gering sind die Unterschiede zwischen Spcncr
und Francke in ihrer Wertung des Wortes Gottes und auch in
der traditionellen Unterscheidung von Gesetz und Evangelium.
Um so deutlicher arbeitet P. die Unterschiede im zentralen
Heilsgeschehen heraus. Für Spcner liegt die Bufje im Vorfeld
des Wiedergeburtsvorganges, ein Bufikampf wird nicht gefordert
; für Franckc steht die Buße im Zentrum des Bckehrungs
Vorganges, ein Bußkampf ist unbedingte Voraussetzung. Unter
Rechtfertigung versteht Spcner einen forensischen Urteilsspruch
Gottes, für Francke ist Rechtfertigung „ein im Inneren des Menschen
sich vollziehendes, von Gott gewirktes erfahrbares Geschehen
" (113). Es besteht ein beachtlicher Unterschied zwischen
der Wiedergeburt, die für Spencr zentral war, und der Bekehrung
, die für Franckc entscheidende Bedeutung hatte. - § 5
wendet sich den pansophischen Ideen des Comenius zu. Franckc
hat oft Comenius zitiert, P. will eine „theologische Schichtaut-
nahme" bieten, die „zur Klärung des Verhältnisses zwischen
Comenius und Francke beitragen soll" (116). Es gibt Übereinstimmungen
: „Comenius und Franckc s-ind von der Idee einer
allgemeinen Verbesserung in der ganzen Welt beseelt. Diese
Verbesserung wird als Erziehung der Menschen zur Ehre
Gottes und zum Nutzen des ganzen menschlichen Geschlechts
verstanden". Beide lehren „die Freiheit des menschlichen Willens
und stehen damit in einer gemeinsamen Front gegen jeden
metaphysischen oder psychologischen Determinismus"
(132). Aber Francke ist letztlich von einer pansophischen Ein-
heitsidec weit entfernt, seine Theologie ist vom Prinzip des
Gegensatzes her gestaltet: „Stand der Natur und Stand der
Gnade, Reich Gottes und Reich des Satans, Kinder Gottes und
Kinder der Welt, Bekehrte und Unbckehrte" (133). Der Gegensatz
drückt sich auch im Bildungsidcal aus. Comenius denkt
von der Schöpfung her, Franckc denkt von der Sünde aus. Insgesamt
sind nach dem Urteil von P. „die Unterschiede zwischen
Comenius und Francke von stärkerem Gewicht als die Gemein
samkeiten" (135).

Der abschließende § 6 untersucht das Lutherverständnis von
A. H. Francke. In der Sicht Franckes hatte Luther eine zentrale
Stellung in der Kirchcngcschichtc, in der es 3 Höhepunkte
gab: Das Urchristentum, Luthers Reformation, der Pietismus
der Gegenwart. Die Gemeinsamkeiten zwischen Luther und
Francke sind vielfältig: Beide haben den Blick „unmittelbar
auf die Bibel gelenkt" (138). Beide meinen, daß die Mitteilung
des Geistes an die konkreten historischen Gnadenmittel gebunden
" sei (139). Francke betonte die persönliche Applikation

der biblischen Glaubenswahrheiten und nahm damit ein Anliegen
auf, das beim jungen Luther im Vordergrund stand.
Luther und Franckc verbindet auch die radikale Forderung
nach einer völligen Umkehr oder Bekehrung des Menschen.
Beide Theologen haben das „allein aus Gnaden" betont und
zugleich daran festgehalten, daß sich der Glaube notwendigerweise
in guten Werken offenbare (141). Aber P. stellt dann
Unterschiede zwischen Luther und Franckc heraus: Der Gcist-
gedankc bei Francke „läßt oftmals eine spiritualistischc Verfärbung
" erkennen (142). Während bei Luther die Rechtfertigung
im Mittelpunkt steht, ist es bei Franckc die Idee der Ordnung
Gottes, deren Ziel die Bekehrung des Menschen ist. „Die
Lehre von den zwei einander ablösenden Seinsweisen, dein
.Stand der Natur' und dem .Stand der Gnaden', mußte dem dynamischen
Spannungsverhältnis des für die Rechtfertigungsichre
Luthers charakteristischen simul peccator-justus abträglich
sein" (142). Es gibt bei Francke ..synergistisch deutbare
Äußerungen", in denen „die Mitwirkung des Menschen im
Heilsprozeß gefordert wird" (142). Die Forderung nach einer
zeitlichen Fixierung der Bekehrung ist Luther fremd, ebenso
Franckes Forderung, daß der Glaube „an seinen äußeren Wirkungen
überprüft werden müsse" (143). Die lutherische Aulfassung
der Kirche, für die Wort und Sakrament allein konstitutiv
seien, reicht Francke nicht aus; er nähert sich „dem Ideal
eigenständiger Heilsgcmeinschaftcn" (144). Schließlich stellt P.
fest, daß Francke nur bestimmte Werke Luthers zitiert hat;
„wir vermissen ein Wort über seine bekannten reformatorisch-
polemischen Werke, die einst in den Jahren der Entscheidung
die Welt bewegt haben" (145). Francke bekam Luthers Werke
auch durch seine Zeitgenossen vermittelt. Erneut werden Johann
Arnd, Christian Kortholt und Spener genannt, jetzt als
Vermittler von Luthers Gedanken. Insgesamt stellt P. fest,
„daß der formale Ansatz der Gedankenführung Franckcs weit
gehend den Intentionen Luthers entspricht . . . Wohl aber weist
die inhaltliche Durchführung der lutherischen Grundgedanken
fremde Akzente, Verfärbungen und auch sachliche Verändc
rungen auf. Unter dem Einfluß vornehmlich mystischer und
reformierter Ideen gewinnen praktisch-psychologische Erwägungen
Raum, werden anthropologische Nuancen erkennbar
und treten subjektivistische Tendenzen hervor" (148). Solche
Tendenzen bei Francke sind aber erklärlich: Er wollte im Gegensatz
zur erstarrten lutherischen Orthodoxie seiner Zeit gerade
die Seiten an Luther neu entdecken, die im orthodoxen
System vernachlässigt waren. Auf diese Weise ist Francke „zu
einem eigenwilligen Lutherverständnis gekommen" (149).

Dem Hallenser Emeritus Peschke gebührt herzlicher Dank
für dieses instruktive Buch. Jede einzelne Studie ist gelungen,
die Auswahl der Vergleichspcrsoncn ist glücklich, die Beschränkung
auf zentrale Gesichtspunkte bewahrt vor einer Ausuferung
des Themas. Als Ergebnis der Untersuchung erhalten
wir ein plastisches Bild von der Theologie Franckes. Die Fülle
der untersuchten Details ergibt ein harmonisches Gesamtbild.

Rostock Gert Hacndlcr

Oehme, Werner: Märtyrer der evangelischen Christenheit 1933
bis 1945. Neunundzwanzig Lebensbilder. Berlin: Evang. Verlagsanstalt
[1979]. 260 S. 8". Lw. DDR Mü.20; Ausland 9,50.

Der Band enthält 29 Lebensbilder von Christen, vorwiegend
Pfarrern, die in der Zeit des NS Regimes in Deutschand ihr
Leben lassen mußten. Nur 12 von ihnen waren über 50 Jahre
alt, die Einzelheiten sind sehr unterschiedlich. Es werden Quellen
mitgeteilt, vorwiegend Briefauszüge. Ein Literaturverzeichnis
ermöglicht eigene Weiterarbeit. Das Buch ist geeignet für
Gcmcindcveranstaltungcn, es kann aber auch in Seminaren
verwendet werden. In der zeitlichen Abfolge der Todesdaten
werden dargestellt: 1935 Heinrich Scltmann; 1936 Rudolf
Stempel; 1937 Friedrich Wcifilcr; 1939 Paul Schneider; 1940
Hermann Stöhr; 1941 Martin Gauger; 1942 Ernst Bcrendt,
Paul Richter, Werner Syltcn, Friedrich Müller; 1943 Erich Sack,
Ernst Kasenzer, Franz Kaufmann, Karl Friedrich Stellbrink,