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Ausgabe:

1980

Spalte:

259-262

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Theologie und Wirklichkeit 1980

Rezensent:

Voigt, Gottfried

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259 Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 4 2(i0

durch Kirchenpatrozinicn bzw. Ortsnamen bezeugt, oder durch
Nennung in wichtigen Kaiendarien, wobei sich die leidigen
Kalenderreforiuen, so die von 1963, nachteilig bemerkbar machen
(z. B. fehlt der barocke Allerweltsheilige Johann von Ncpomuk,
während der doch wohl nicht so wichtigen Margareta von Cor
tona eine ganze Spalte gewidmet ist). Generell wäre es aufschlußreich
, wenn bei den einzelnen Heiligen stets kurze Angaben
auf Art, Zeit und Ort ihrer Verehrung in England hinwiesen
(musterhaft z. B. bei Pancratius, Christopherus u. a.,
fehlend bei Hedwig, Kaiser Heinrich u.v.a.). Daß zu Martin
von Tours nur die englische und französische Literatur angegeben
wurde, versteht sich; bei St. Kilian hätte die 1955 erschienene
Arbeit von J. Dienemann Erwähnung verdient. Thomas
Becket ist als wichtiger englischer Heiliger mit zahlreichen
Literaturangaben versehen, da wäre für Carl Niedner, Das
Patrozinium der Augustiner-Chorherren-Stiftskirchc St. Thomac
zu Leipzig, Leipzig 1952, gewiß Platz gewesen, weil hier die
Kultkonkurrenz des englischen und des biblischen Thomas in
Erscheinung tritt. Doch, wie gesagt, Vollständigkeit kann in
einem einbändigen Werk gar nicht angestrebt werden; darauf
weist der Vf., Dozent der Geschichte in Rcading, vorher Benediktiner
, ja mit Recht hin. Für Interessenten der englischen
Kirchen- und Frömmigkeitsgeschichte ist das Lexikon - auch in
der neben einem Abriß der Geschichte der Heiligcnvcrehrung
vor allem die englische Hagiographie gut erfassenden Einleitung
und mit dem Verzeichnis der speziellen Kultorte in England
am Schluß - eine sehr nützliche Informationsmöglichkeit,
die durch Quellen- und Literaturhinweise auch weiteres Material
anbietet.

Bamberg Gerd Zimmermann

[Trillhaas, Wolfgang:] Theologie und Wirklichkeit. Festschrift
für Wolfgang Trillhaas zum 70. Geburtstag, hrsg. v. H. W.
Schütte u. F. Wintzer. Göttingen: Vandenhocck & Ruprecht
[1974], 240 S., 1 Porträt gr. 8°. DM 24,-.

Der Titel dieser Festschrift ist weit genug, um die breitgefächerte
Thematik der Beiträge aufzunehmen, und sie bekundet
doch ein tatsächlich in allen Beiträgen erkennbares gemein
sames Interesse. In beidem, in der Weite also wie in dem sachlichen
Wollen, kommt in schöner Weise zum Ausdruck, was die
anregende und wegweisende Arbeit des Jubilars kennzeichnet
und welchen Dank nicht nur die 14 Contribuenten, sondern wir
alle ihm schulden.

Bemerkenswert ist der hohe Anteil der Arbeiten, die Prinzipienfragen
religionswissenschaftlichen, religionsphilosophischcn
und theologischen Denkens gewidmet sind. So bietet Gernot
Wicssncr „Prolegomena zu einer Religionsphänomenologie als
einer systematischen Religionswissenschaft" (192-208). In Anknüpfung
an Geo Widengrens Werk „Religionens Värld" bekennt
Vf. sich, in Übereinstimmung mit Trillhaas, zu strenger
Beschränkung auf den Phänomenbestand des Bereichs Religion,
ohne metaphysische Implikationen, und versteht „Religion" als
„eine bestimmte Art intersubjektiv aneignungsfähiger Wirklichkeitsdeutung
zum Zwecke der Wirklichkeitsaneignung" (193),
die sich im Medium der Sprache und in ihr entsprechenden
Gestaltungen vollzieht und sich „als eine Ordnung von Wirklichkeit
produzierendes, d. h. als systematisches Phänomen darstellt
" (196). „Wirklichkeitsaneignung ist . . . systematisch ordnende
Konstruktion der Wirklichkeit im Bedeutungsfeld der
deutenden Zeichen" (197). Methodisch wichtig ist, daß die Zeichen
aus dem jeweiligen Phänomenbereich heraus zu deuten
sind, nicht aus einem übergreifenden Begriffs- und Vorstellungssystem
des Forschers. - Über die Erfassung von Phänomenen
hinaus geht, von seinem Gebiet her, Hans-Walter Schütte
in seinem Beitrag: „Einige Bemerkungen zur Mitteilung und
Mitteilbarkeit von Religion" (167-175). Wir können nur einige
Kerngedanken mitteilen: „Mitteilbarkeit des Selbstbewußtseins
beruht auf der Struktur von Selbstbewußtsein; Selbstbewußtsein
trägt den Charakter einer Selbstvoraussctzung, und diese

Selbstvoraussetzung erfährt es als Wirklichkeit" (172). Selbstbewußtsein
kann sich nur - indirekt - darstellen in der Mitdarstellung
des Grundes, auf den es sich bezogen weiß. „Menschliches
Selbstbewußtsein bedarf zu seiner Erklärung des absoluten
, sich in der Person Christi darstellenden Selbstbewußtseins
. Beider Beziehung aufeinander drückt sich im Schema der
Teilhabe aus, die Mitteilbarkeit möglich macht" (174). Das
Selbstbewußtsein hat teil an der Wirklichkeit. „Der Begriff von
Wirklichkeit (ist) immer mehr als das jeweils Gegebene, er
beschreibt" (so Trillhaas) „eine unabschließbare Erfahrung von
Transzendenz." - Daß man wieder bereiter ist, den Religionsbegriff
auch auf das Christentum anzuwenden, veranlaßt Carsten
Colpe, sich „Zur Logik religionsgcschichtlichcr und historisch
-theologischer Erkenntnis" zu äußern (9-30). Beide Disziplinen
stehen sachlich und methodisch vor gleichen Problemen:
historisch-kritische Erforschung und kausal-genetische Erklärung
greifen ineinander. Der Ideologiebegriff stellt die Frage
nach dem - richtigen oder falschen - Verhältnis zur Wirklichkeit
. Theologie sollte immer wieder ihre eigene Ideologisicrung
selbstkritisch aufspüren und aufheben, also die gesellschaftliche
und materielle Bedingtheit nicht nur der erforschten Gegenstände
, sondern ihres Forschens selbst. Vf. spricht von Bedingtheit
, nicht von Bestimmtheit, denn Religion ist von materiellen
Gegebenheiten beeinflußt, aber nicht hervorgebracht. Im historischen
Erkennen sind das Objekt selbst und der Eindruck des
Objekts zu unterscheiden, aber auch crkenntnisthcorctisch miteinander
zu verbinden. Die wirklich geschehene Geschichte ist
das Reservoir der „materiellen" Bestandteile für das (erkenntniskritische
, apriorische) „Symbol", das seinerseits Instrument
der Kritik am Vorgefundenen sein kann.

Dietz Lange geht in seinem Beitrag „Das sog. Schriftprinzip
und die Identität der Kirche" (68-90) davon aus, daß „die Normierung
(von Theologie und Kirche) durch die Ursprungssituation
sowohl induktiv durch historische Kritik als auch deduktiv
durch geschichtsphilosophischc Bestreitung" („Pcrfck-
tibilität des Christentums") „in Gefahr geriet" (71). Vf. diskutiert
zwei Entwürfe: Bei Ebcling die je-neue Begegnung, welche
die zum Text erstarrte Überlieferung wieder zum Reden kommen
läßt („Verkündigungskontinuität"). Bei T. Rendtorff das
Schwimmen im Strom der Geschichte, die in der Auferstehung
Jesu Christi programmiert ist mit dem Ziel der Wiederherstellung
der christlichen Welt. Im Gespräch mit beiden Autoren
bestimmt Vf. seine eigene Linie, die darzustellen hier nicht
Raum ist. - Unter dem Thema „Wirklichkeitswissenschaft im
Streit" spricht Trutz Rendtorff selbst „Über die Bedeutung der
Sozialwissenschaften für die Theologie" (105-122), für die der
Theologe aufgeschlossen zu sein hat - nicht in dem Sinne, daß
er unter ihr Diktat treten solle (die letztgültige Selbsterfahrung
im Glauben widersteht einer Auflösung in immanente
Bedingungszusammenhänge), sondern im Sinne einer „Mithörerkompetenz
", die es ihm ermöglicht, seine eigene Erfahrung
sozialwissenschaftlich durchsichtig zu machen. Die Theologie
ist, wie andere Wissenschaften auch, von den Sozialwissenschaften
nach ihrem Wirklichkeitsbezug gefragt. Sie gewinnt
Bedeutung für die Sozialwissenschaftcn, z. B. in der Diskussion
um die Systemtheorie und die Krisenthcoric, in der es
letztlich um die Sclbsterfassung des Menschen geht.

Die biblische Theologie ist vertreten zunächst durch einen
Aufsatz von Herbert Donner: „Prophetie und Propheten in Spinozas
Theologisch-politischem Traktat" (31-50), mit dessen Methode
bibelkritischc Arbeit überhaupt eröffnet wird. Offenbarung
und Prophetie sind für Spinoza identisch. Prophetie ist natürliche
Erkenntnis; was jeder hat, haben die Offenbarungsträger
nur in besonderem Ausmaß. Damit ist der Kanonbegriff grundsätzlich
aufgelöst; Spinoza argumentiert mit der Geschichte der
Prophetie, so wie er sie sieht, so daß sich die kritische Auflösung
nicht gegen die Tradition vollzieht, sondern mit ihr. - Walther
Zimnierli fragt nach den „Quellen der alttcstamentlichen Got-
teserkenntnis" (226-240). Die Weishcitslitcratur lebt von der
Erfahrung der Wirklichkeit: hier wird Gott von den Ordnungen
des Menschenlebens und der Natur her verstanden. Aber
schon beim Prediger, erst recht bei Hiob scheitert die Gottes-