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Ausgabe:

1979

Spalte:

667-669

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Savon, Hervé

Titel/Untertitel:

Saint Ambroise devant l'exégèse de Philon le Juif 1979

Rezensent:

Haendler, Gert

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Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 9

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wurde. In der Erzählung ist nämlich hier eine klare Zäsur:
in dem ersten Teil findet man nur kurze Erzählungen, während
der zweite Teil aus einem langen zusammenhängenden
Stück besteht. Außerdem steht in Kapitel 62, daß Thomas
Abschied nahm und woanders hinreiste. Es ist sehr die
Frage, ob hier kirchenpolitische Motive eine Rolle gespielt
haben. Auf diese Weise wurde der Kirche von Südindien
eine apostolische Herkunft gegeben, aber von irgendwelcher
Verbindung zwischen Thomas und der syrischen Kirche
ist in diesem Werk keine Rede. Thomas wird direkt aus
Jerusalem nach Indien geschickt.

Von dem Augenblick an, da die Thomasakten erschienen
waren, entwickelte sich die Tradition über Thomas, so daß
er der Apostel von Indien wird, vgl. F. Haase, Apostel und
Evangelisten in den orientalischen Überlieferungen, in:
Neutestamentl. Abhandl. IX, 1-3, Münster 1922, S.264: „Die
Berichte über das Leben des Apostels Thomas (seil, in der
orientalischen Kirche) sind sämtlich beeinflußt durch die
apokryphen Thomasakten." Dies gilt für Syrien ebenso wie
für die Traditionen der südindischen Kirche, vgl. P. Devos,
Le Miracle Posthume de Saint Thomas l'Apötre, in: Anal.
Bollandiana LXVI, 1948, S. 231-275. Entsprechend dieser
Tradition wurde Thomas in Südindien getötet und begraben
.

In Edessa entwickelte sich jedoch eine andere Tradition,
derzufolge Thomas in dieser Stadt begraben war. Diese
Tradition ist gänzlich unabhängig von den Thomasakten
entstanden und folgte aus der engen Verbindung, die zwischen
Thomas und Edessa von sehr frühen Zeiten angenommen
wurde (vgl. das Thomas-Evangelium; nach der
Peregrinatio Aetheriae 17,1 besuchte Aetheria das Martyrium
von Thomas in Edessa; eine Inschrift in Kirk Megara
mit dem Brief von Jesus an König Abgar identifiziert Thad-
daeus (= Addai) mit Thomas, der also die Kirche von
Edessa gegründet hat, vgl. J. B. Segal, Edessa „The Blessed
City", Oxford 1970, S. 66). Diese Annahme forderte jedoch
eine Anpassung an die ältere Tradition, der gemäß Thomas
in Indien gestorben war. Dieses Problem wird bereits in den
Thomasakten aufgelöst, wo in einem letzten, ohne Zweifel
zugefügten Kapitel, gesagt wird, daß Thomas nach dem
Westen (in der griechischen und syrischen Tradition) oder
nach Mesopotamien (in einer griechischen Handschrift) gebracht
wurde. Die hier behandelten lateinischen Übersetzungen
behaupten, daß er nach Edessa überführt wurde.
Diese Meinung findet man auch bei Ephraem, vgl. A. F. J.
Klijn, The Acts of Thomas, in: Supplements to Nov. Test.
V, Leiden 1962, S. 304.

In den Thomasakten können wir noch erkennen, wie anfänglich
nur für die Gebiete, in denen ein Apostel gepredigt
hat, Interesse bestanden hat. Später wird dann vor allem
dem Platz, wo er begraben war, große Bedeutung beigemessen
. Kirchenpolitische Motive sind jedoch in dieser Tradition
nicht vorhanden.

Haren A. F. J. Klijn

Savon, Herve: Saint Ambroise devant l'Exegese de Philon
le Juif. I: Texte; II: Notes. Paris: Etudes Augustiniennes
1977. 302 S. und 221 S. gr. 8°.

Einleitend bedauert der Autor das einseitige Bild, das
weithin von Ambrosius besteht: Ein Mann der Tat, ein
energischer Kirchenpolitiker — aber nur ein mittelmäßiger
Denker, der in seiner Theologie von ostkirchlichen Vorbildern
abhing und in seiner Morallehre letztlich Cicero folgte.
Dieses Ambrosiusbild hat sich schon etwas gewandelt: Man
interessierte sich für die Poesie des Ambrosius sowie für
seine Philosophie, wobei manches ungeklärt blieb. Von daher
hält Savon eine Untersuchung der Beziehungen des
Ambrosius zu Philo für nützlich. Solche Beziehungen waren
von Philologen bereits aufgewiesen worden. Nur einmal
hat sich Ambrosius direkt über Philo geäußert ; Savon zitiert

die Stelle: „Philon autem, quoniam spiritalia Judaico non
capiebat affectu, intra moralia se tenuit" (55). Tatsächlich
lassen sich Anklänge an Philo bei Ambrosius in großem
Umfang zeigen. Vermutlich ist Ambrosius der philonischen
Exegese früher begegnet als den Werken Philos; es gibt
zwischen Philo und Ambrosius drei Jahrhunderte christlicher
Auslegungsgeschichte, die Anregungen von Philo
aufgenommen hat (19). Das gilt für Origenes und seine
Fortsetzer, Euseb von Cäsarea konnte sich auf Philo berufen
(379). Die Quellengrundlage ist breit. Das genannte
Ambrosiuszitat steht in „de paradiso", einer Frühschrift des
Ambrosius, die in das Jahr 377 datiert wird (17). Kurz danach
könnte die Arbeit über Kain und Abel entstanden
sein. Uber Abraham gibt es zwei Auslegungen von Ambrosius
; für die vorliegende Thematik scheint nur „de Abraham
II" von Bedeutung zu sein (141-195). In die Jahre 386-383
dürfte die wichtige Schrift „de fuga" gehören, der die Arbeit
„de Isaac" verwandt erscheint. Eine ganz sichere Chronologie
läßt sich aber nicht erreichen (18). Doch stellt Savon
eine Gliederung auf, die eine gewisse Entwicklung im Verhältnis
des Ambrosius zu Philo zum Ausdruck bringt: Teil I
spricht von einer „Begegnung mit der Exegese Philos" auf
Grund der Schrift „de paradiso" (23-81). Teil II ist überschrieben
„Ambrosius als Zensor von Philo" (83—195) und
stützt sich auf „de Cain" und „De Noe" sowie auf „de
Abraham II". Teil III „Ambrosius christianisiert Philo"
(197-325) zieht mehrere Schriften heran. Teil IV spricht
von einer Assimilation philonischer Themen und stützt sich
vor allem auf „de fuga" (327-376). Es folgt die Zusammenfassung
der Ergebnisse (377—385).

Es gibt gemeinsame Grundlagen für Philo und Ambrosius
. Die Unterordnung des Menschen unter das Wort der
Bibel wird von beiden Theologen vertreten. Argwöhnischen
Untersuchungen bleibt das Wort verschlossen, nur gehorsame
Gelehrsamkeit kann den Sinn öffnen. Der Sinn ist oft
schwer verständlich, so daß allegorisch gedeutet werden
muß. Soweit folgt Ambrosius Grundsätzen Philos. Im Detail
freilich zeigen sich die Unterschiede. Zum Thema
„Glück" äußert sich Philo nur von irdischen Überlegungen
aus; Ambrosius dagegen bezieht auch die Auferstehung und
das ewige Leben mit ein. Savon spricht von einem „tiefgreifenden
Antagonismus der zwei Systeme" (379). Zumal
in der Schrift „de fuga" geht es Ambrosius darum, die Idee
einer diesseitigen, in sich geschlossenen Welt zu widerlegen.
Natürlich war auch für Philo die Welt eine Schöpfung Gottes
, dessen Gesetze hier wirksam waren. Aber seit der Gesetzgebung
stand Gott dieser Welt fern. Für Ambrosius war
die Sicht anders, da für ihn die Offenbarung in Christus
entscheidend war. Dadurch sind die Möglichkeiten der Auslegung
für Ambrosius viel größer geworden. Philo bezog
sich weithin nur auf die fünf Bücher Mose; Ambrosius bezog
auch das Hohelied, die Propheten und Psalmen mit ein;
er kannte verschiedene griechische Übersetzungen, die neue
Auslegungsmöglichkeiten erschlossen. Vor allem aber
brachte das Neue Testament zusätzliche Möglichkeiten. Die
Technik ist einfach und erinnert an unsere Konkordanzen:
Jedes Wort in der Bibel wird untersucht auf die verschiedenen
Zusammenhänge hin, in denen es vorkommt. Daraus
entstehen lange Ketten von Assoziationen. S. spricht von
einem „Netz von Assoziationen", das so entsteht (383). Das
soll nicht ein Spiel mit geistreichen Möglichkeiten sein, sondern
hinführen zu einer „Zentralzelle": zu dem Mysterium
des gestorbenen und auferstandenen Christus. Diese „Zentralzelle
" bewahrt davor, daß die Allegorien als Labyrinth
empfunden werden. Drei Modifikationen stellt H. heraus:
Ambrosius hat die Möglichkeiten der Auslegung verwickelt
und bereichert. Er hat sie konzentriert um das Mysterium
Christi. Er hat schließlich von den Beschlüssen des Konzils
von Nicäa her einen Maßstab erhalten: Christus ist mit
Gott-Vater gleichen Wesens, jede Unterordnung wird abgelehnt
. Gerade an dieser Stelle wird die besondere Problematik
der Übernahme philonischer Auslegungen deutlich
: Philo wußte als Jude mit griechischer Bildung durch-