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Ausgabe:

1979

Spalte:

510-512

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Schriftauslegung 1979

Rezensent:

Stuhlmacher, Peter

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Theologische Literalurzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 7

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ersten Komplex ab. — Unter dem Oberbegriff „Grundhaltungen
' werden sodann Umkehr und Buße, Glaube, Hoffnung,
Gottcsliebe und Nächstenliebe abgehandelt (79—139). Sch. verfolgt
diese Begriffe in ihrem geschichtlichen Werdegang von Ansätzen
in der griechischen Philosophie her quer durch AT, Judentum
und die einzelnen neutestamentlichen Schriftengruppen.
— Als „Ziele" gelangen in ähnlicher Weise in einem dritten
Komplex Freiheit, Frieden und Freude, Verzicht und Entsagung
, Heiligkeit, Gerechtigkeit, Reinheit und Vollkommenheit
zur Darstellung. Hier wie noch mehr im vierten und letzten
Komplex steht im Hintergrund die Uberzeugung, daß neutesta-
menthehes Ethos auch materiale Ethik bedeutet, nicht bloße
Liebes- oder Situationsethik. — Den breitesten Raum nimmt
die Erörterung verschiedener „Sachgebiete" ein. Als solche erscheinen
: Tugend und Tugenden, Gottesverehrung und Gebet,
Leben (Gabe, Schutz, Grenzfälle), Ehe und Ehelosigkeit, Unzucht
, Wahrheit und Lüge, Eid, Arbeit, Eigentum, Armut und
Reichtum, Ehre und Ruhm, Familie, Staat. Durch diese mate-
nale Aufgliederung gelingt es Sch., die Fülle entsprechender
alt- und neutestamentlicher Aussagen übersichtlich und umfassend
vorzustellen.

Der vierte Band ist in zwei gesonderten Halbbänden erschienen
. Offenbar entgegen der ursprünglichen Planung behandelt
der erste Halbband unter der Überschrift „Vollendung von
Schöpfung und Erlösung" die neu testamentliche Eschatologie.
Nach der Klärung einiger zentraler Begriffe macht Sch. ausdrücklich
auf die Schwierigkeit der Auslegung und Deutung der
eschatologischen bzw. apokalyptischen Texte aufmerksam. Sein
hermeneu tisches Rezept lautet: „Die apokalyptischen Motive
sind auf ihren literarisch-symbolischen Sinn und ihren existen-
tialcn Aussagewillen und Aussagewert hin zu befragen und zu
deuten . . . Alle eschatologische und apokalyptische Aussage steht
unter Vorbehalt und bedarf immer kritischer Zurückführung
nach Worten wie jenen des Apostel Paulus . .. (Rom 8,25; 2 Kor
4,18)" (S. 19). Als Teilthemen werden dann — fast durchweg
nach Schriftengruppen geordnet — behandelt: Königsherrschaft
Gottes, Endzeit, Tod und Leben, Parusie, Auferstehung der Toten
, Gericht, Himmel und Hölle, neue Schöpfung. Stärker als
sonst macht Sch. hier die geschichtliche Bedingtheit der Aussagen
geltend. Die geforderte symbolisch-existentiale Deutung
*ird freilich nur ansatzweise vollzogen.

Der zweite Halbband bringt schließlich die Ekklesiologie:
„Jüngergemeinde und Kirche'. Als wesentliche Themen — nach
Einzelaspekten gegliedert — erscheinen: Sondergemeinden und
Jüngergemeinde, Jüngergemeinde und Kirche, Charisma und
Amt, Ämter, Petrus, Wort, Sakramente, Taufe, Mahl, Israel und
die Kirche, Kirche und Völker. Die nachösterliche Herkunft des
Petrusspruches Mt 16,17—19 wird anerkannt, die Frage des Verhältnisses
von Mt 16,19b zu 18,18 bleibt unentschieden. Wohl
DMt Absicht erinnert Sch. daran, daß erst Papst Stephan L
(254-2! S7) beanspruchte, Nachfolger des Petrus zu sein. Die
neutestamentliche Tauftheologie wird ausführlich erörtert, die
frage nach dem historischen Ursprung der christlichen Taufe
und nach ihrer theologischen Notwendigkeit aber nicht gestellt.
Oer Hinweis auf die mittelalterliche, offensichtlich „zeit- und
kulturgeschichtlich bedingte" Transsubslantiationslehre führt zu
der Frage, ob man biblische Worte, Begriffe und Daten „unmittelbar
in Begriffe griechischer Metaphysik überleiten und da-
mU fassen kann" (156).

Dankenswerterweise ist jeder Band mit einem Sachregister
ausgestattet. Jedem Paragraphen sind ausführliche Literaturangaben
vorangestellt.

Die kritischen Anmerkungen, die Rez. zum ersten Band geäußert
hat, gelten auch für die weiteren Bände und brauchen
hier nicht wiederholt zu werden. Ausdrücklich vermerkt sei der
sehr lesbare, von Fachtermini fast freie Stil. Die Darstellung
hält die rechte Milte zwischen detaillierter .uslegung wichtiger
Texte und dem Aufzeigen allgemeiner Enlwieklungslinien und
Tendenzen Der öfter eingeblendete Hinweis auf grundsätzliche
Probleme und gegenwärtige Fragen ist einerseits zu begrüßen,
hleibt aber andrerseits infolge der Kürze und der mehrfach fest-
*U*t( llonden Uncntschiedcnheit des Vf. sachlich weithin unbefriedigend
. Bedauerlich ist, daß die ausführlichen Erörterungen
einzelner Begriffe und Themen nicht jeweils mit einem
systematisierenden „Ergebnis" abgeschlossen werden. Gerade in
einem so systematisch angelegten Werk wie dem vorliegenden
wäre dies wünschenswert. Die bleibende Bedeutung dieses Alterswerkes
dürfte darin bestehen, daß hier nach E. Stauffers
eigenwilliger Darstellung von 1941 im deutschsprachigen Schrifttum
erstmals wieder eine sachlich, nicht historisch geordnete
Erhebung der neutestamentlichen Theologie präsentiert wird.

Greifswald Günter Haufe

Ernst, Josef [Hrsg.]: Schriftauslegung. Beiträge zur Hermeneutik
des Neuen Testaments und im Neuen Testament. München
-Paderborn-Wien: Schöningh [1972]. 412 S. gr. 8°. Lw.
DM 32,-.

Der von J. Ernst herausgegebene und mit einem ausführlichen
Vorwort versehene Sammelband ist deshalb eine ausgesprochen
interessante Publikation, weil hier versucht wird, eine
Bestandsaufnahme der Situation und der herraeneutischen Probleme
zu bieten, in der die kritische katholische Exegese gegenwärtig
steht und mit denen sie sich auseinanderzusetzen hat.

Von den insgesamt zehn Einzelbeiträgen des Bandes sind
sieben schon früher in katholischen Sammelwerken und Zeitschriften
erschienen, wurden jedoch für den Neudruck z. T. abgeändert
und vervollständigt. Der eigentlich überragende Autor
ist der Münchner Neutestamentier Otto Kuss mit seinen drei
Abhandlungen „Zur Hermeneutik Tertullians" (55—87), „Uber
die Klarheit der Schrift. Historische und hermeneutisclie Uber-
legungen zu der Kontroverse des Erasmus und des Luther über
den freien oder versklavten Willen" (89—149) und „Exegese
und Theologie des Neuen Testamentes als Basis und Ärgernis
jeder nachneuteslamentlichen Theologie" (359—408). Josef Ernst
ergänzt die Darlegungen von Kuss durch einen Uberblick über
„Das hermeneutische Problem im Wandel der Auslegungsgeschichte
" (17—53) und einen Aufsatz über „Schriftauslegung und
Auferstehungsglaube bei Lukas" (177—192). Alexander Sand
ist der Verfasser von zwei Beiträgen, einem systematischen über
„Hermeneutische Prinzipien des Offenbarungsverstehens bei Rudolf
Bultmann" (151—175) und einem historischen ,„Wie geschrieben
steht...'. Zur Auslegung der jüdischen Schriften in
den urchristlichen Gemeinden" (331—357). Georg Richter hat
eine den Band fast sprengende Studie über „Die alttestament-
lichen Zitate in der Rede vom Himmelsbrot Joh. 6,26—51a"
(193—279) beigetragen. Jost Eckerts Überlegungen gelten dem
J'roblem „Paulus und die Jerusalemer Autoritäten nach dem
Galatcrbrief und der Apostelgeschichte. Divergierende Geschichtsdarstellung
im Neuen Testament als hermeneu tisches Problem"
(281—311). Friedrich Schröger schließlich handelt mustergültig
knapp und kenntnisreich über „Das hermeneutische Instrumentarium
des Hebräerbriefverfassers" (313—329). Die Grundfragen
der Schriftauslegung werden also von den biblischen Ursprüngen
bis zur Gegenwart behandelt, und kontroverstheologische
Stellungnahmen linden sich ebenso wie diffizile historische
Dctailerörterungcn.

Die im exegetischen Ansatz, in der dogmatischen Fundierung
und auch im Darslcllungsniveau recht unterschiedlichen Aufsätze
sind gemeinsam bewegt von der hermeneutischen Grundfrage
, wie sich das Neue Testament heute historisch gewissenhaft
und zugleich theologisch verbindlich auslegen läßt. Und
auch die Grundüberzeugung ist allen Autoren, die hier zu Wort
kommen, gemeinsam, daß es eine derartige Auslegung nur geben
kann, wenn sie kirchliche Schriftauslegung ist, d. h. eine
Interpretation, welche die Kirche mit dem verbindlichen, z. T.
aber ärgerlichen und anstößigen biblischen Ursprungszeugnis
des christlichen Glaubens konfrontiert, gleichzeitig aber dieselbe
Kirche in einem nicht mehr hinterfragbaren gläubigen Vertrauen
als die normierende und Einheit selzende Instanz solcher
Exegese akzeptiert. Unter diesen Umständen ist es konsequent,
daß sich alle Autoren dem kirchlichen Imprimatur gestellt und
es auch gefunden haben.

Wenn der protestantische Leser (und Fachkollege) solche
respektable Grundüberzeugung nun aber verbunden sieht mit