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Ausgabe:

1979

Spalte:

386-388

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Goetschi, René

Titel/Untertitel:

Der Mensch und seine Schuld 1979

Rezensent:

Kiesow, Ernst-Rüdiger

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333

Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 5

386

Scheidung von .Erfüllungsgebot' und ,Zielgebot', durch die
etwas nur in der Intention erfüllt zu werden braucht. Schüller
will in der Auseinandersetzung mit einzelnen Autoren
zeigen, daß diese Interpretationsversuche auf eine teleologische
Normierung zielen, bei der die sittliche Richtigkeit oder
Falschheit an den Folgen einer Handlungsweise gemessen
wird.

Zu dieser Theorie sittlicher Normierung gibt der Vf. im
Anschluß an frühere eigene Veröffentlichungen einige weitere
Erläuterungen. „Tradition und neuere Moraltheologie
sind sich darüber einig, daß nur ein Handeln aus Liebe, aus
sittlich gutem Motiv, sittlich gutes Handeln ist. Die Kontroverse
bezieht sich lediglich auf die Frage, wie die sittliche
Richtigkeit einer Handlungsweise zu bestimmen ist" (157).
Wenn man dafür den Nutzen des Nächsten benennt, muß das
präzisiert werden. Die Frage lautet nämlich „Wer von uns
soll für wen sorgen?" Es geht also um gesellschaftliche Vereinbarungen
, wie das Wohl aller zu gewinnen ist. Dabei
bricht Schüller eine Lanze für den moralphilosophischen
Utilitarismus, der ähnliche Gedankengänge verficht wie die
teleologische Normierung in der Moraltheologie und den
man etwa auch bei Max Weber und in der Situationsethik
J. Fletchers findet.

Die weitere Entfaltung einer teleologischen Theorie ethischer
Normierung erscheint als wichtigste Aufgabe der gegenwärtigen
katholischen Moraltheologie.

Besonders instruktiv ist der kurze Bericht über ethische
Überlegungen in Polen, den Helmut J u r o s , Professor für
Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Akademie
Warschau, und Tadeusz S t y c z e n , Professor für Ethik
an der Universität Lublin, geben unter der Überschrift „Methodologische
Ansätze ethischen Denkens und ihre Folgen
für die theologische Ethik" (89-108). Für die polnische ethische
Tradition ist charakteristisch, „daß die ethischen Sätze
eine eigene Erkenntnisquelle und einen selbständigen Begründungsgrund
besitzen. Diese Quelle und dieser Grund
sind die sittliche Erfahrung. Diese Auffassung bedeutet die
Anerkennung der Ethik als einer methodologisch autonomen
Wissenschaft bzw. eines logisch von allen andern Erkenntnissen
unabhängigen Wissenschaftszweigs" (93f). Das humanistische
Prinzip, daß der Mensch für den Menschen einen
absoluten Wert darstellt, wird sowohl von der marxistischen
wie von der römisch-katholischen Ethik in Polen aufgenommen
. „Die theologische Ethik kommt ohne eine Anknüpfung
an die allgemeine Ethik, zumindest in einer so initialen
Form, wie sie die sittliche Erfahrung darstellt, nicht aus,
wenn sie überhaupt den Charakter einer normativen Disziplin
haben soll" (106). Das Offenbarungswissen erhält
für den Theologen dabei die Funktion, das humanistische
Grundprinzip zu explizieren. „Erst der Christ — also auch
der Theologe — erblickt in jedem, der wegen seiner personalen
Würde bejaht werden soll, denjenigen, der in der Dimension
der heilbringenden Liebe Gottes steht. Erst er erfaßt
die volle Tragweite dieser notwendigen Bejahung der
menschlichen Würde" (107).

An dem letzten Beitrag kommt das römisch-katholische
Denkschema der Ergänzung der Natur durch die Gnade besonders
klar zum Ausdruck, während in den beiden anderen
Beiträgen stärker die Auseinandersetzung mit der eigenen
moraltheologischen Tradition zum Zuge kommt. Für den Leser
ist daran erhellend, wie in der römisch-katholischen
Moraltheologie gerade die grundsätzlichen Überlegungen in
Bewegung gekommen sind.

Leipzig Joachim Wiebering

Commissio Theologica Internationalis: De promotione hu-
mana et salute christiana (Gr. 58, 1977 S. 413-430).

Gabus. Jean-Paul: L'attitude de Paul Tillich face ä l'amour
et ä la sexualite (RHPhR 58, 1978 S. 65-79).

Giers, Joachim: Theologische Aspekte der Menschenrechtserklärungen
in der kirchlichen Verkündigung (MThZ 29.
1978 S. 36-63).

Haacke, Rhaban: Zur Frage der Zeitwahlmethode (MThZ
29, 1978 S. 64-70).

Herr, Theodor: Der Mensch und seine Arbeit im Lichte der
Sonntagsfeier (ThGl 68, 1978 S. 62-76).

Hilpert, Konrad: Die Theologische Ethik und der Autonomie
-Anspruch (MThZ 28, 1977 S. 329-366).

Hohlfeld, Winfried: Mitkreatürlichkeit als neuer Lebensstil.
Theorie, Praxis und Konsequenzen (DtPfrBl 78, 1978 S.
451-453).

Leclercq, Jean: Askese — ein bleibender Wert im heutigen
Mönchtum (EuA 53, 1977 S. 337-360).

Nell-Breuning, Oswald von: Das Recht auf Arbeit (StZ 103,
1978 S. 523-532).

Piegsa, Joachim: Autonome Moral und Glaubensethik. Begründung
der Autonomie aus dem Glauben (MThZ 29,
1978 S. 20-35).

Roberts, Augustin: „Der Liebe Christi nichts vorziehen ...".
Die Keuschheit im monastischen Leben heute (EuA 54,
1978 S. 23-46).

Rock, Martin: Hat das Ethos der Arbeit eine Zukunft?

(TThZ 86, 1977 S. 296-305).
Rühl, Rudolf: Liebe als Lebensbewegung. Das christliche

Liebesgebot — Anspruch und Wirklichkeit (DtPfrBl 78,

1978, S. 424-426).
Seifert, Josef: Das Unsterblichkeitsproblem aus der Sicht

der philosophischen Ethik und Anthropologie (FS 59,

1977 S. 289-310).
Tillard, J. M. R.: Le propos de pauvrete et l'exigence cvan-

gelique (NRTh 100, 1978 S. 207-232).
Türk, Hans Joachim: Christen auf der Suche nach einer

neuen Umweltethik (WuA[M] 18, 1977 S. 129-134).

Praktische Theologie:
Seelsorge/Psychologie

Goetschi, Rene: Der Mensch und seine Schuld. Das Schuldverständnis
der Psychotherapie in seiner Bedeutung für
Theologie und Seelsorge. Zürich—Einsiedeln—Köln: Benziger
[1976]. 383 S. gr. 8°. DM 34,80.

Mehr als ein Jahrzehnt verging, ehe die Untersuchung von
H. Harsch über „Das Schuldproblem in Theologie und Tiefenpsychologie
" (1965) auf katholischer Seite eine Parallele
in dem nun vorliegenden Buch fand. Die Reihenfolge der von
beiden behandelten Psychologien gleicht einander. Während
Harsch aber das theologische Schuldverständnis ausführlich
von den biblischen Grundlagen her entwickelte, stellt Goetschi
in seinem 1. Kapitel (26 S.) „Schuld und Gewissen in
theologischer Sicht" dogmatisch dar, d. h. auf thomistischer
Basis. Besonderes Gewicht legt er auf die detaillierte Erörterung
des Gewissensbegriffs.

Im 2. Kapitel (71 S.) wendet er sich Sigmund Freud zu, dessen
Auffassungen von Schuld und Schuldgefühlen er eingehend
referiert. Trotz vielfacher Zustimmung zu Freuds
Ansichten lehnt er aber die Identifizierung von Gewissen
und Über-Ich ab und sieht im Über-Ich nur eine „vor-sitt-
liche" Form des Gewissens. Gesundes und krankhaftes
Schuldgefühl seien sorgsam zu unterscheiden (obwohl im
konkreten Falle beides ineinanderwirke). Das psychoanalytische
und das moraltheologische Schuldverständnis sind
nach Goetschi nicht in Einklang zu bringen, weil ersterem
der Transzendenzbezug fehle.

Das 3. Kapitel (36 S.) ist Alfred Adler gewidmet (und z. T.
auch F. Künkel). Obwohl der Vf. im Gemeinschaftsgefühl
bzw. in der Nächstenliebe das gemeinsame Dritte von Indi-
vidualpsychologie und Theologie sieht (139) und man auch
sonst manches dem katholischen Denken Verwandte entdek-
ken kann (z. B. die Behauptung der menschlichen Willensfreiheit
), ergibt sich doch als lapidar festgestellte Diskrepanz
: ..Adler spricht von .Irrtum' und nicht von .Schuld'".
(132)