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Ausgabe:

1978

Spalte:

891-892

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Klein, Aloys

Titel/Untertitel:

Glaube und Mythos 1978

Rezensent:

Jenssen, Hans-Hinrich

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Seite 1

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Thoologischo Literat urzeitung 108. Jahrgang 1978 Nr. 12

892

Mystik. In: Mediaovalia litteraria a. a. 0. S. 413-450, S. 449), es
handelt sich nicht um „dämonisch verzerrte Liebesreligion" (gegen
Gerhard Schindele, Tristan. In: Kindlers Litoraturlexikon Bd. VI
Werke. Zürich 1971, Sp. 3058), wenn auch eine allerdings schwer
begründbare Beziehung zu den Katharern vorliegen könnte (Gottfried
Weber, vgl. u. a. Mieth, Dichtung . . . S. 131). Es handelt
sich aber gewiß um die im Unterschied zur höfischen Minne (oder
in deren Radikalisierung?) auf Gedeih und Verderb zum Leiden
bereite Liebe, ohne daß die Parallele zur Märtyrerlegende so
strikte durchgezogen werden müßte wie bei Holmut de Boor
(Kleine Schriften 1. Bd. Mittelhochdeutsche Literatur. Berlin
1964, S. 136-172: Die Grundauffassung von Gottfrieds Tristan
[= DVfLG 18, 1940, S. 264-306], bes. S. 145). Mieth sagt: „Wem
der Tod als Preis für die „ungeordnete" Selbstvcrwirklichung
wichtiger ist als die Enthaltung, der wird zum Blutzeugen dafür,
daß dio Enthaltung menschlich unmöglich war" (Dichtung . . .
S. 240). Einer solchen Liebe gegenüber entlarvt sich dio höfische
Ehe als „Scheinmoral", als eine Form der „Repräsentation"
(Spiowok 1962, S. 97).'Es bedarf m. E. keiner religiösen Überhöhung
einer solchen Liebe, wenn Gottfried als mittelalterlicher
Christ auch die Liebendon durch wog unter der Gnade (Dichtung...
S. 233), ja unter dem unmittelbaren Beistand Gottes weiß. Ihr
Leid ist aber so wenig wie ihre Liebe Schickung Gottes. Der Zaubertrank
hat sie in ihre peinvolle Lage gebracht. Ihr Leid ist
„situationsbedingt" (Spiewok, ebenso Mieth, Dichtung . . . S. 163:
„Wenn in dor Folgo die „mores" nicht immer in das Minneethos
integrierbar sind, so liegt das an der besonderen Situation dieser
Minne"). Dio Analyse der Dichtung durch einen Ethiker müßte
deshalb auf eine Situationsethik, nicht auf eine Ausnahmeethik
hinauskommen. Dio hohe wissenschaftliche (und praktische!)
Bedeutung der Arbeit für die theologische Betrachtung der Dichtung
wie für die theologische Ethik ist mit diesem Einwand nicht
bestritten.

Dio „Selbstverwirklichung" der Liebenden in ihrer Trennung
von der höfischen Gesellschaft ist ebenso Gegenstand und ethischer
Gehalt im Tristanfiagmont Gottfrieds wie die Sclbstverwirkli-
chung Josephs inmitten der ihm fremden Welt Ägyptens in dem
Romanwerk von Thomas Mann. Mieth spricht von „sozialer
Selbsterwirkung" (S. 17 u. ö.). Joseph begreift sein Leben „als
Kunstwerk" und damit als „ethischen Lebensentwurf" (S. 189).
Frömmigkeit erscheint als Gestaltfindung der eigenen Praxis. Die
„Theologie" der Josephromane hat einen „praxeologischen" Sinn
(S. 202). „,Gnade' ist ein Strukturzug von Menschsein überhaupt"
(S. 197). „Die Theologie entsteht aus der Anthropologie" (S. 126).
„Das soziale Selbst Josephs des Ernährers ist dio Einlösung des
mythischen Selbst Josephs des Träumers" (S. 149).

Diese fast zufälligo Zusammenstellung von Zitaten kann nur
Beispiele für die prägnante Formulierungskunst des Vfs. bieten,
keinesfalls einen Begriff von den subtilen Analysen geben, in
denen „das Geflecht von Relationen, in dessen Mitte der Mensch
steht" (S. 216) vor dem Leser ausgebreitet wird. Ähnlich wie bei
Gottfried von Straßburg der Blick auf Beziehungen zur Antike
fehlt, tritt bei Thomas llaan der Blick auf die Zeitgeschichte,
- von wiederholten Hinweisen abgesehen, - merklich zurück. Der
Begriff Faschismus fehlt im Sachregister. Geben wir darum zum
Schluß Thomas Mann selbst das Wort: „Der Mythos wurde in
diesem Buch dem Fascismus aus den Händen genommen und bis
in den letzten Winkel der Sprache hinein humanisiert, - wenn die
Nachwelt irgend etwas Bemerkenswertes daran finden wird, so
wird es dies sein" (Gesammelte Werko 12. Bd. Berlin 1955, S. 452).

Berlin Hans I rin r

PHILOSOPHIE UND
RELIGIONSPHILOSOPHIE

Klein, Aloys: Glaube und Mythos. Eine kritische, religionsphilo-
Bophisch-theologische Untersuchung des Mythos-Begriffs bei
Karl Jaspers. München-Paderborn-Wien: Schöningh 1973.
XXVI, 246 S. 8° = Abhandlgn. zur Philosophie, Psych'»'0.?'«''

Soziologie der Religion und ökumenik, hrsg. v. J. Hasenfuß,
26 N.F. Kart. DM28,-.

Das Buch ist als Dissertation bei dem bekannten katholischen
Religionsphilosophen Heinrich Fries entstanden. Der hinführende
erste Hauptteil behandelt im Anschluß an Jaspers „Allgemeine
Psychopathologie" und vor allem Beine „Psychologie der Weltanschauungen
" „das Mythische als psychologisches Phänomen".

Der zweite Hauptteil „Der Mythos als Gegenstand und Medium
des Philosophiorens" vermittelt in einem ersten Kapitel in sorgfältiger
, klarer Nachzeichnung einen Uberblick über die Grundzüge
der Jasperschen Philosophie und wendet sich dann im zweiten
Kapitel der „systematischo(n) Darstellung des philosophischen
Mythosbegriffs" von Jaspers zu. Dazu gehört auch eine - vorzüglich
gelungene - Darstellung der Kontroverse zwischen Jaspors
und Bultmann. Ich möchte Klein zustimmen, wenn er urteilt,
„daß der Gegenstand der Auseinandersetzung Jaspers' mit Bultmann
mehr die Orthodoxie als die Entmythologisierung ist" (151).
Recht instruktiv ist auch der Abschnitt über dio „Einflüsse der
Tradition auf den Mythosbegriff" mit einem Exkurs über „die
platonischen Mythen im Urteil von Jaspors", denn neben dem
dominierenden Einfluß Kants ist ein ausgeprägt neuplatonisches
Element bei Jaspers unverkennbar.

Besonderes Gewicht kommt dann dem dritten Hauptteil zu, in
dem es um die „religionsphilosophische und theologische Würdigung
des Mythos" geht. Eingeleitet wird dieser Abschnitt mit
einem instruktiven, kurzen Überblick über das Mythos-Verständnis
bei E. Cassieror, P. Tillich, G. Mensching, W. Knevels und
K. Goldammer, wobei jeweils knapp ein Vergleich mit der Position
von Jaspers gezogen wird. Dann wird in drei weiteren Kapiteln
das Verhältnis des Mythos zu Religion, Symbol und Offenbarung
in kritischer Auseinandersetzung mit Jaspers untersucht.

Die Position, von der aus der Vf. Jaspers kritisiert, ist dio
scholastische Lehre von der Analogie des Seins, bzw. eine (kritisch)-
realistischo Erkenntnistheorie. Die natürliche Theologie des
„philosophischen Glaubens" wird akzeptiert als Bundesgenosse
gegenüber Positivismus und vordergründigem Rationalismus,
wenn auch der Versuch zur Überordnung über dio positive Theologie
zurückgewiesen wird.

Soweit der Mythos als bildlicher Ausdruck lebendiger Begegnung
des leiblich-seelischen Seins mit der absoluten Wirklichkeit als
einem letzten bestimmenden Seins- und Sinugrund (196) gewertet
wird, kann Jaspers akzeptiert werden. Kritisiert wird, daß Jaspers
von seiner so stark durch Kant bestimmten Position aus dem
Mythos keine reale Erkenntnisfunktion zugestehen kann, die Verborgenheit
Gottes werde von ihm überspitzt betont. Nur das unbestimmte
„Daß" und ein unaussagbares „Was" der Transzendenz
werden nach Jaspers durch Mythos und Symbol, bzw. Chiffre zur
Sprache gebracht (208). „Sind sie nicht im wörtlichen Sinne nur
.Blinklichter', die zwar blinken, aber nicht lichten? Der kantischo
Ansatz hindert Jaspers, über die in der Chiffro .gemeinte' Wirklichkeit
wirklich etwas auszusagen" (212). „Der Verzicht auf jedes
mitteilbare Erkenntnismoment und das Boharron auf dem rein
existenziellen Wahrheitskritorium im Umgang mit den Mythen
läuft im Grundo hinaus auf eine Leugnung der im kritischen Realismus
festgehaltenen Einheit von Donkon und Sein und läßt außer
acht, daß in den mythischen Bildern mit dem Erkenntnisverzicht
doch auch eine Erkenntnisbehauptung gekoppolt ist. Bei Jaspers
meinen wir, den einen Pol zu Ungunsten des anderen übersteigert
zu sehen, selbst dann, wenn wir grundsätzlich zu der Not des
Menschen stehen, daß er nicht erkennen kann, was er erkennen
möchte" (240/241).

Unzweifelhaft geht es in dorn Buch von Kloin um wesentliche
Grundfragen heutiger Religionsphilosophie und Theologie. Und da
Jaspers zum Thema Bedeutendes zu sagen hat und Klein gut darstellen
und kritisch fragen kann, lohnt sich dio Auseinandersetzung
mit dieser eindeutig katholisch orientierten Veröffentlichung auch
für den evangelischen Theologon. Im übrigen sei abschließend zur
Thematik an die Veröffentlichungen in der ThLZ 83, 1958 Sp. 321
bis 330 und 93, 1968 Sp. 563ff. erinnert.

Berlin Hana-Hinrich Jenascii