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Ausgabe:

1978

Spalte:

869-874

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Neusner, Jacob

Titel/Untertitel:

Eliezer ben Hyrcanus 1978

Rezensent:

Wächter, Ludwig

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Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 12

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Zweck man geteilter Meinung sein kann. Mit Recht wird aber einer
gerafften und eingängigen Darstellung der theologischen Grundgedanken
der einzelnen Schriften jeweils größerer Raum gewährt.
Insgesamt versucht also das vorliegende Werk einen zusammenfassenden
Überblick nicht nur der Ergebnisse der Einleitungs-
wissenschaft im engeren Sinne, sondern auch der Geschichte
Israels und der alttestamentlichen Theologie zu geben. Für ein
Studenten-Lehrbuch eine zweifellos sehr nützliche Konzeption,
die sich bewähren wird.

Dieser Konzeption gemäß eröffnet den Band ein gehaltvoller
Abriß der Geschichte Israels von E. Cavaignac f, P. Grelot und
J. Briend (S. 21-93). Er umspannt die Geschichte Palästinas von
prähistorischer Zeit bis zur Einnahme Jerusalems durch Pom-
pejus und wird ergänzt durch ein dem Buche beigefügtes Heftchen
mit neun Karten. Inhaltlich handelt es sich um eine ausgewogene
Darstellung, die bemüht ist, den neuesten Ergebnissen der Forschung
Rechnung zu tragen, ohne sich auf eine bestimmte Auffassung
ausdrücklich festzulegen. Für die Geschichte des vorisraelischen
Palästinas und für die Frühgeschichte Israels schließen
sich die Vf. allerdings eng an R. de Vaux an.1 Das zeigt sich auch in
der starken Berücksichtigung der archäologischen Forschung.
Der umfangreiche Abschnitt ,Le Pentateuque et l'archeologie'
(S. 140-150) bietet einen weitgespannten Abriß der vorderasiatischen
Archäologie und ihrer Forschungsgeschichte. Darüber hinaus
werden bei der Behandlung der Geschichtsbücher die jeweils für
die betreffende Epoche in Betracht kommenden Ergebnisse der
Palästina-Archäologie im einzelnen bekanntgemacht (S. 257ff.,
324f.) und überhaupt laufend Bezüge zur archäologischen Forschung
hergestellt.

Großes Gewicht gelegt wird auch auf die Darstellung der altvorderasiatischen
Grundlagen der alttestamentlichen Literaturgattungen
. Besonders ragt heraus die nützliche Beschreibung der
überlieferten Werke und der klassischen Themen der Weisheitsliteratur
in der Umwelt des Alten Testaments von H. Lusseau f
(S. 531-565). Hervorzuheben ist, daß auch die Apokryphen eine
erfreulich ausführliche Behandlung erfahren (S. 680-739). Den
Band beschließt ein Überblick über ,La formation de l'Ancien
Testament' aus der Feder von P. Grelot (S. 742-792). In interessanter
Perspektive wird dabei die Schilderung der mutmaßlichen
Phasen der .Sammlungsgeschichte' des Alten Testaments und der
Entstehung des Kanons eingebettet in die Religions- und Geistes-
geschichto des nachexilischen Judentums, so daß auch dieses
Kapitel neben der leichtverständlichen Wiedergabe herkömmlicher
Lehrinhalte neue Einsichten vermittelt und den Blick auf größere
Zusammenhänge lenkt.

Berlin Karl-Heinz Bernhardt

1 Hlstolre anclenne d'Israel, Paris 1971-1973. Vgl. die Besprechung in dieser
Zeitschrift, 100, 1975 Sp. 898-898.

JUDAICA

Neunter, Jacob: Eiiezer Ben Hyrcanus. The Tradition and
the Man. Ii The Tradition. II: Analysis of tho Tradition. The
Man. Leiden: Brill 1973. XIX, 500 S. u. XIII, 528 S. gr. 8°
= Studie« in Judaism in Late Antiquity from the f irst to the
sevonth Century, ed. by J. Neusner, 3 and 4. Lw. hfl. 240.-.

Dieses großangelegte Work rundet die bisher vorliegenden
Untersuchungen Jacob Neusnors über das rabbinischo Judentum
ab. In der wissenschaftlichen Methode ist es am meisten ausgereift.
Den Einstiog hatte N. einst bei Jochanan bon Zakkai genommen
(A Life of Rabban Yohanan ben Zakkai, Leiden 1962), indem er
versuchte, ein Lebensbild auf Grund des gesamten Quollenmate-
rials zu zeichnen. Weitgehend wertete N. dio Quellen damals noch
in der üblichen Weise aus, ihre Zuverlässigkeit etwa in den Autorenangaben
voraussetzend. Nur in Ansätzen befragte er sio kritisch
. In umfassender Weise wandte N. dann die in der Bibelwissenschaft
entwickelten kritischen Methoden - Literarkritik,
Formkritik, traditionsgeschichtliche und redaktionsgeschichtliche
Fragestellung - in dem fünf bändigen Werk "A History of the
Jews in Babylonia" (Leiden 1965-1970) auf die rabbinische Literatur
an. Dieses Werk ist darum als ein Wendepunkt in der
Judaistik zu betrachten. Mit den inzwischen gewonnenen methodischen
Kriterien ging N. darauf erneut an den Jochanan-Stoff
heran, den er nunmehr konsequent traditionsgeschichtlich befragte
: Development of a Legend. Studies on the Traditions
Concerning Yohanan ben Zakkai (Leiden 1970). Es schloß sich ein
dreibändiges Werk über die jüdischen Gelehrten an, die der
Epoche Joohanans vorausgingen: The Rabbinic Traditions about
the Pharisees before 70 (Leiden 1971). In den vorliegenden Bänden
wendet N. sich der unmittelbar Jochanan folgenden Zeit zu,
indem er sich mit dem Mann befaßt, der unter den in Abot II
genannten Schülern Jochanans den umfangreichsten Komplex
bezeugter Materialien auf sich vereinigt. Mitarbeiter Neusners
unternehmen, wie aus dem Vorwort hervorgeht, vergleichbare
Studien über weitere Gelehrte der Zeit, in der die Schule von
Jabne blühte-Josua ben Chananja, Akiba, Ismael, Eleazar ben
Azarja, Gamaliel u. a. -, so daß es nicht mehr lange dauern wird,
bis ein Gesamtbild dieser Periode erstellt ist, das auf den von
Neusner erarbeiteten Kriterien beruht. Was das, im Zusammenhang
mit dem, was N. in "The Rabbinic Traditions about the
Pharisees before 70" gebracht hat, für die Verwertung der rabbi-
nischen Quellen in der Neutestamentlichen Wissenschaft bedeutet,
läßt sich kaum abschätzen. Das bisher weithin übliche unkritische
Heranziehen rabbinischer Belege, das jüngsten Traditionen einen
gleichen Wert wie ältesten beimißt und Legenden für Geschichte
nimmt, wird abgelöst werden von einem verantwortlichen Abwägen
, das nur noch das, was wirklich nach Alter der Tradition und
Struktur der Aussage einen Vergleich zuläßt, an das Neue Testament
heranträgt.

Das Textmaterial, in dem Eliezers Name genannt wird, ist
recht umfangreich. So ist der erste Band ganz mit der Wiedergabe
der übersetzten Traditionen ausgefüllt: der rechtlichen, der historischen
und biographischen, der exegetischen und theologischen.
Der zweite Band bringt dann die Auswertungen: die Analyse der
Traditionen und ihre Einordnung sowie den Versuch einer Erfassung
der Gestalt Eliezers, sowohl der geschichtlichen als auch
der durch die Tradition weiter ausgestalteten und der durch die
Legende übermalten.

Zu den Übersetzungen wird meist ein Stück Kommentar gebracht
. In manchen Fällen bietet er eine gute Ergänzung zum
Kommentar der „Gießener Mischna", da diese ihre Sacherklärungen
in der Regel vom Einzelpunkt ausgehend bringt, während N.
stärker die Bezogenheit der Argumente der Rabbinen aufeinander
berücksichtigt. Freilich hat Neusners Kommentierung eine ungleichmäßige
Dichte. Manchmal begnügt er sich mit dem Hinweis
auf andernorts gegebene Kommentierung, so bei Stellen aus der
Mechilta, wo einfach auf Lauterbach verwiesen wird. Es ist in
Rechnung zu stellen, daß bei der Fülle des Materials eine ausgiebige
Kommentierung zu viel Platz erfordern würde und das Hauptanliegen
Neusners nicht bei Sacherklärungen liegt.

In der Einführung (Introduction, S. 1-17) wird eine wichtige
Vorfrage geklärt: Eiiezer wird oft ohne seinen Beinamen angeführt
, und es gab eine ganze Reihe weiterer Rabbinen mit dem
gleichen Namen, für die das gleiche gilt; dazu kommt eine nicht
minder große Anzahl von Rabbinen mit dem Namen Eleazar, der
oft, zumal wenn er abgekürzt gebraoht wird, nicht von Eiiezer
unterschieden werden kann. Es müssen also Kriterien gefunden
werden, die es gestatten, eine Perikope Eiiezer ben Hyrkanos
zuzusprechen. Die wichtigsten sind naoh N.: Nennung von Zeit -
gonossen oder Schülern Eliezers im Zusammenhang mit seinem
Ausspruch; Zitierung oines Ausspruchs durch Hai, der sein Schüler
war, oder durch dessen Sohn Juda bon Hai. Perikopen, deren
Herkunft aus der Eliezer-Tradition auf Grund dieser Kriterien
zweifelhaft bleibt, werden nicht mit den übrigen aufgeführt, sondern
in einem Appendix nachgetragen (Legal Pericopae not demon-
strably Part of tho Traditions about Eliezor ben Hyrcanus, S. 346
bis 393).

Band II ist in zwoi Teile eingeteilt, die von je verschiedener
Fragestellung aus an die Texte herangehen. Der erste Teil, Analysis
of the Tradition (S. 1-245) fragt überlieforungsgeschichtlich und
logt so dio Schichten der Eliezer-Tradition bloß. Der zweite Teil,