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Ausgabe:

1978

Spalte:

843-845

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Titel/Untertitel:

Christen und Marxisten im Friedensgespräch 1978

Rezensent:

Kretzschmar, Gottfried

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843

Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 11

Sit

werden. Hartmut Menzel, der Autor des zweiten Beitrages, ist
Arzt und erläutert an einer großen Zahl von Krankengeschichten
und anhand von Fotografien, daß auch nach schwersten Schädigungen
eine Restitution der Funktionen möglich ist, daß aher auch
mit einem jahrelangen Überleben unter erheblichen Defekten
als Behandlungsergebnis gerechnet werden muß (z.B. S.65f.).
Menzel gibt Grundsätze an, die vom ärztlichen Standpunkt aus
einen Behandlungsabbruch oder -abbau begründen können
(S.72f.).

Den ersten Teil des Buches bildet ein großer Beitrag von Alfons
Auer, Professor an der Katholisch-theologischen Fakultät in Tübingen
. Unter der Überschrift „Die Unverfügbarkeit des Lebens
und das Recht auf einen natürlichen Tod" behandelt A. Grundfragen
der Anthropologie im Horizont der durch die Fortschritte
der Medizin und die Wandlungen des sittlichen Bewußtseins neuen
und veränderten Situation. Die Unverfügbarkeit des Lebens als
ethische Forderung und deren Relativierung bildet das Hauptthema
, die Frage nach dem Recht auf einen natürlichen Tod das
Ziel der Erörterung. Es-ist ein Vorzug dieser Arbeit, daß sie sowohl
fundamentale theologische und philosophische Fragen behandelt
wie deren praktische und handgreifliche Folgen.

Im dritten Teil hat Albin Eser „Lebenserhaltungspflicht und
Behandlungsabbruch aus rechtlicher Sicht" dargestellt. Zu seinen
Themen gehören das Problem eines ärztlichen Ermessens im
Grenzbereich des Sterbens und die Fragen „voluntas aegroti
suprema lex?" und „Wo findet der ärztliche Heilauftrag seine
Grenze?". Eser faßt seine Untersuchung in einer Thesenreihe
zusammen, die außerordentlich instruktiv ist und ein scharfgezeichnetes
Bild der rechtlichen Grundlagen und Kriterien vermittelt.
Freilich ist auf diesem Gebiet - wie auf den anderen - keineswegs
alles geklärt: „Insgesamt hat sich gezeigt, daß auf viele der im
Grenzbereich von Leben und Sterben aufgeworfenen Fragen noch
keine endgültige Antwort gegeben werden kann." (S. 147).

Dieses Buch hat seine Bedeutung ebenso durch die Fülle der
Belehrung, die es vermittelt, wie durch die Erwägungen und Argumentationen
, an denen es seine Leser partizipieren läßt. Deshalb
wird gerade dieses Buch geeignet sein, die notwendige Diskussion
zu beleben und weiterzufördern.

Tübingen Dietrich Kössler

Christen und Marxisten im Friedensgespräch. Materialien dreier
wissenschaftlicher Symposien, hrsg. vom Institut für Friedensforschung
und vom Internationalen Institut für den Frieden.
Freiburg-Basel-Wien: Herder [1976]. 318 S. 8". DM42,-.

Die beiden Herausgeberinstitute wurden in Wien als wissenschaftlich
-publizistische Einrichtungen Ende der sechziger Jahre
gegründet, um in der Friedensfrage engagierten Wissenschaftlern
aus Ost und West eine Möglichkeit der Begegnung zu geben. Dabei
steht dem „Internationalen Institut für den Frieden" der marxistische
Universitijfsprofessor Walter Hollitscher (zeitweilig auch
Gastprofessor an der Leipziger Karl-Marx-Universität) vor, während
das „Institut für Friedensforschung an der katholischen
theologischen Fakultät der Universität Wien" von dem katholischen
Theologen Rudolf Weiler geleitet wird. „Die örtliche Verbundenheit
und das wissenschaftlich gemeinsame Forschungsgebiet
unserer Institute haben zu Gesprächen zwischen Marxisten
und Christen über Fragen des Friedens geführt." (S. ö). Die Aktivitäten
beider Institute konzentrieren sich vor allem auf die
Friedensforschung, das Organisieren wissenschaftlicher Konferenzen
sowie die Veröffentlichung der auf diesen Symposien gehaltenen
Vorträge und Diskussionen. Enge Beziehungen bestehen
mittlerweile zum Weltfriedensrat, zum Fortsetzungskomitee des
Weltkongresses der Friedenskräfte sowie zum Brüsseler Forum
für europäische Sicherheit und Zusammenarbeit.

Der vorliegende Band bringt die Vorträge und die zum Teil gerafften
Diskussionsbeiträge dreier Symposien einer größeren Öffentlichkeit
zur Kenntnis. Ein Blick in die Teilnehmerliste läßt dabei
erkennen, daß sich hier Theologen verschiedener Konfessionen
und Soziologen, Philosophen und Juristen, Ökonomen und Historiker
aus sozialistischen und kapitalistischen Staaten getroffen
haben. Aus der DDR werden Professor Hans Moritz, Direktor der
Sektion Theologie der Karl-Marx-Univeristät in Leipzig, und
Professor Herbert Bertsch vom Institut für Internationale Politik
und Wirtschaft in Berlin genannt.

Das Buch gliedert sich in drei Teile. Der erste steht unter dem
Gesamtthema „Friedenssuche aus verschiedener weltanschaulicher
Sicht" mit den Hauptreferaten des Katholiken Rudolf Weiler,
des marxistischen Historikers Nikolai Kowalski aus Moskau und
des Völkerrechtlers Otto Kimminich von der Universität Regensburg
. Dabei wird die moderne katholische Lehre vom Frieden
ebenso klar dargestellt wie die Problematik der friedlichen Koexistenz
und der europäischen Sicherheit unter marxistischem
Aspekt. Kimminich schließlich stellt seine Ausführungen unter
den programmatischen Titel: „Der Friede ist unteilbar".

Zum Schluß dieses ersten Symposions, das vom 4. bis 6. November
1971 in Wien stattfand, notiert Hollitscher als den wichtigsten
Ertrag der Diskussion: „Ein prominenter theologischer Teilnehmer
erklärte, noch nie habe er bei einer der zahlreichen Dialogveranstaltungen
, an denen er teilnahm, so sehr das befriedigende Gefühl
gehabt, daß Mauern des Mißverstehens gefallen und die Partner
einander in Freimütigkeit nahegekommen waren." (S. 58).

Im zweiten Teil des Buches werden die Vorträge wiedergegeben
, die auf dem Moskauer Treffen vom 25. bis 31. Oktober
1973 gehalten wurden. Sie standen unter dem Gesamtthema
„Mittel und Wege zur Lösung der gesellschaftlichen Entwicklung
aus verschiedener weltanschaulicher Sicht". Zu den Hauptrednern
gehörten auch hier wieder N. Kowalski: „Die sozialpolitischen
Probleme der Gegenwart und der Weltfriede" und R. Weiler:
„Dialog und gesellschaftliche Kooperation nach der katholischen
Soziallehre". Dabei formulierte er abschließend einige Grundregeln
der Kooperation wie etwa: Kritisches Festhalten an der eigenen
Weltanschauung und kritische Toleranz gegenüber der Weltanschauung
der anderen, Respekt vor der Ehrlichkeit der Überzeugung
anderer, das Vertrauensprinzip und die Notwendigkeit zur
bedingten Zusammenarbeit.

Der Budapester Ökonom Michail Simai referierte über „Koexistenz
, Konvergenz oder friedlicher Wettbewerb. Über einige strategische
Fragen der Weltentwicklung", während der Jesuit
Gustav A. Wetter auf die „Bedingungen und Voraussetzungen
der Zusammenarbeit" einging, um schließlich zu formulieren:
„Daraus ergibt sich dann für die Praxis des Dialoges: Annahme der
Herausforderung im Hinblick auf die Wahrheitsfindung, Bereitschaft
zur Korrektur der eigenen Meinung, Toleranz den Andersdenkenden
gegenüber." (S.135)

Die 22 Diskussionsbeiträge verraten einerseits die unterschiedliche
weltanschauliche Position, zeigen aber andererseits die Notwendigkeit
des Friedensgespräches von Christen und Marxisten.
Dabei sind die Ausführungen des Leipziger Professors Moritz über
die Erfahrungen der Friedensarbeit in der DDR ebenso interessant
wie seine These, daß, weil die Menschen vor Gott gleich seien,
daraus die Folgerung unausweichlich werde, daß „die Menschen
auch im gesellschaftlichen Bereich gleich sein" (S. 156) sollen.

Der dritte Teil des Buches (leider erfährt man nicht, wann und
wo das entsprechende Symposion stattfand!) steht unter dem
Leitthema „Weltanschauung und Frieden". Er wird eingeleitet
mit den Referaten von Juri Samoshkin, Professor am Institut für
Geschichte der Internationalen Arbeiterbewegung in Moskau, zum
Thema: „Ideologie und Friede" und von Professor Heinrich
Schneider, Co-Vorstand des Instituts für Friedensforschung an der
Universität Wien, der über „Weltanschauung und Friede" sprach.
Vertrat Samoshkin eine unmißverständliche marxistisch-leninistische
Position, so läßt sich Schneiders Stellung schwerer umschreiben
. Sie ist jedenfalls bestimmt von philosophischem und
katholischem Sozialdenken und verrät damit grundlegende Unterschiede
gegenüber der Perspektive des Marxismus-Leninismus.

Die Diskussionsbeiträge gewähren leider nur einen unvollkommenen
Einblick, da wegen fehlender Autorisierung nicht alle
Wortmeldungen abgedruckt werden konnten. Dadurch ließ es sich
auch nicht verhindern, daß Hinweise auf Diskussionsbeiträge vorkommen
, die nicht abgedruckt sind (z.B. Wetters Bezugnahme auf
den fehlenden Beitrag von Moritz, S.256f.).