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Ausgabe:

1978

Spalte:

758-759

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Gosselin, Edward A.

Titel/Untertitel:

The king's progress to Jerusalem 1978

Rezensent:

Möller, Hans

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757

Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Kr. 10

758

müntzerische Flugschriften in einer handlichen Ausgabe
nach den Erstdrucken (Lautstand, Orthographie, Interpunktion
blieben unverändert) als Arbeitsmaterial für
Studierende und interessierte Laien veröffentlicht: 1.
Luthers „Brief an die Fürsten zu Sachsen", 2. Luthers
.,Sendbrief an... Mühlhausen" (nicht bei Laube/Seiffert),
3. Luthers „Schreckliche Geschichte", 4. Melanchthons
„Historie Thomas Müntzers", 5. Johann Agricolas
„Auslegung des 19. Ps." (erster Neudruck), 6. Johann
Agricolas „Nützlicher Dialogus", 7. „Ein glaubwürdiger
Unterricht". Die Reihenfolge richtet sich nicht nach der
Chronologie, sondern dem Gewicht der Verfasser. Leider
ist das zu diesem Schriftenkomplex gehörende gedruckte
Verhörsbekenntnis Müntzers ausgelassen worden. Die
Druckvorlagen und die originalen Paginierungen sind verzeichnet
. Da Fischer in Einzelfällen auch Druckvarianten
angibt (z. B. 202), Druckfehler notiert (218), Titelblätter
in Faksimile wiedergibt und die Texte unter Heranziehung
der neueren Forschungsergebnisse philologisch und historisch
ausführlich erläutert, kommt seine Edition einer
kritischen Ausgabe nahe. Leider fohlt ein Register.

Die Kommentierung (107 — 202), einerseits hilfreich
für den Benutzer, bietet zugleich der Kritik eine offene
Planke dar. Davon sind die philologischen Erläuterungen
und vielen verifizierten Bibelstellen kaum betroffen, von
Einzelirrtümern abgesehen. Bedenken erheben sich aber
gegen die z. T. exkursartigen historischen Erklärungen.
Hier wird häufig des Guten zu viel getan (z.B. 198f.:
Kloiderordnungen). Auch die Versuche auf dem Gebiet
der theologischen Begriffsgeschichte rufen zwiespältige
Empfindungen hervor (Z. B. 148, 156f., vgl. Lit.-angaben !).
Zuweilen flicht Fischer umfangroicho Zitate aus Quellen
oder Sekundärliteratur in die Erläuterungen ein oder verweist
recht summarisch auf Titel, hinter denen z. T.
sehr unterschiedliche Standpunkte stehen. Die Breite der
Erläuterungen und die Fülle der darin untergebrachten
Information macht dio Art und Weise der Kombination
von gesicherten und wenig sicheren Forschungsergebnissen
oft nicht leicht durchschaubar.

Eine Reihe von Angaben sind zu korrigieren: Böhmers
Aufsatz ist nicht die verlorene Fortsetzung seiner Studien
(XIV); die Darstellung der Zwickauor Situation entspricht
nicht dein Forsohungsstand (1 I Of.); vermutlich ist Luthers
Äußerung über Müntzer im übertragenen Sinne zu verstehen
(115); 4. Esra (129); berechen = Rechenschaft
geben (130); der Büchsenguß steht fest (144); Eberlins
Wolfens, war keine Bauornkriegsschrift (138); statt Joh
9,5 => Joh ll,9f. (162); zu 52,12 besser: unter Hintenanstellung
der eigenen Person (103); zu 52,19 besser:
erhalten, bekommen (104); zu 58,15: Lk 12,50 (168); bei
03.25 ist wohl Petrus Lombaidus gemeint, vgl. Franz,
Schriften, 526 (173); die Lit.-angaben zu Karlstadt sind
unzulänglich (174); der 2. Druck stammt von Johann
Grüninger/Straßburg (181.201); Kaczerowskys Stellungnahme
läßt die literarische Form außer acht (I81f.); bei
89,9 ist nur die Leidensmieno gemeint (182); der Schultheiß
hieß Hücker (190); die angebliche Plünderung des Scharfen-
steins ist als Legende nachweisbar (195); Diözese Halberstadt
und nicht „in Halberstadt" (196); die Angabo zu
99,0f. bezieht sieh auf Vorkommnisse in Sehlotheim und
Langensalza (203); die Quelle meint offensichtlich den
Weißenfelser Amtmann Hans von Werther zu Wiehe
(207); dio Beziehungen Hieronymus Einsers zum „glaubwürdigen
Unterricht" worden nicht erkannt (200f.).

In seiner Einleitung weist Fischer an neueren refor-
mationsgeschichtlichen Darstellungen und an Schulbüchern
der BRD nach, daß die Wirkungsgoschichte der
frühen antimüntzerischen Polemik noch nicht beendet ist.
Auch der gegenwärtigen Müntzorforschung erspart er Vorwürfe
(Vorverständnis, undialoktische Aktualisierung)
nicht. Er stellt oiuo Reihe anregender kritischer Fragen,
die sieh letztlich auf die Einheit von „Müntzers Denken
und Handoln im widersprüchlichen Verhältnis zu den

objektiven historischen Bewegungen" (XXXI11) und auf
die Relevanz Müntzers für dio Gegenwart beziehen. Einen
eigenen Beitrag zu dieser Problematik, der „bei der aufs
höchste gesteigerton apokalyptischen Rhetorik der letzten
Briefe Müntzers, gesehen im Verhältnis zur gleichzeitigen
Entschoidungsphaso des Bauernkriegs in Mitteldeutschland
", ansetzt, kündigt er an (XXXI). Ungeachtet der
genannten Ausstellungen muß dem Hrsg. für diese bisher
vollständigste Ausgabe der antimüntzerischen Pamphlete
gedankt werden.

Druckfehler: Honcmcyer (107); 18, 28ff.: 16. April 1525 (125); 21,18 statt
21, 17 (ISO); 28,23ff. statt 28,33ff. (136); Weißenfels statt Welßenburg
(146); 44,18 statt 44,13 (156); 98,9: Juniwoohe (201).

Krummenhennersdorf Siegfried Bräuer

»■osselin. Edward A.: The king's Progrcss to Jerusalem. Somo
Interpretations of David during the Reformation Period and
their Patristic and Medieval Background. Malibu: Undena
Publieations; Los Angeles: The Regent« of the Univorsity of
California 1976. IX, 131 S. 4° = Humana Civitas, 2.

Vf. ist Gesehichtsprofessor in Long Beach, der staatl.
Lniversität in Californien. Er bearbeitet in einem ersten
Teil das Davidsbild der Psalmenkommentare von Augustin,
Nik. v. Lyra, Faber Stapulensis. In einem zweiten Teil
behandelt er Luther, Melanchthon, Calvin und Beza in den
Kapiteln: Die Reformation und dio Wiederentdeckung des
Propheten; David als Theologe; David und die in Kampf
gestellte Kirche. Wenn als Beispiele für die Exegese
einzelne Psalmen angeführt werden, geschieht es bei den
Vorreformatoron nach der Zählweiso von LXX/Vulgata,
bei den Reformatoren nach der Zählweise von masoroti-
schem Text/Lutherbibel.

Für Augustin stellten sich in David neutestamentliche
Gegebenheiten dar, wenn ihm auch der wörtliche Sinn als
Grundlago für den höheren wichtig ist. Lyra behauptet
einen zweifachen wörtlichen Sinn, der erste bezieht sich
auf die Zeit des Propheten, der zweite auf Christus und dio
Christenheit. Vier Gesichtspunkte: David als Prophet und
Figur Christi; als Sprecher der christl. Kirche; als Vorbild
für Prälaten und Könige; als frommer, aber Versuchungen
und Anfechtungen ausgesetzter Pilger und als solcher besonders
den Franziskanern nahestehend. Lefevre vorwirft
den ersten wörtlichen Sinn Lyras, behält aber den zweiten
bei. David verliert dabei alles Persönliche.

Für die Protestanton wurden David und die Psalmen
wichtig, weil sie sich und ihro Zeit darin wiederfanden,
weil sie in David den Prediger der Verheißung sahen, und
weil sie sieh nicht an kath. Hoiligenlegenden sondern an die
Schrift halten wollten. Für Melanchthon ist David Beispiel
rechton Glaubens an dio mit dem Evangelium gleichgesetzte
Verheißung. Nach Calvin verhelfen dio Psalmen
zu frommem Leben und zum Krcuztragon als Probe dos
Gehorsams gegen Gott.

Vor der Zoit der Reformation war selten Gelegenheit zu
historischer Parallelität zwischon dor Kirche vor und nach
dem Kommen Christi. Melanchthon nimmt mehr als
Calvin Bezug auf Zeitereignisse und Personen. In Verfolgung
mahnt Calvin strikt zu geduldigem Aushalten, Gebet
oder Auswanderung und will von Widerstand nichts wissen.
Melanchthon stellt auch den David, der Saul verschont,
als Beispiel hin, läßt aber die Möglichkeit des Tyrannenmords
offen als durch natürliches Gesetz erlaubt und als
durch Moses und Abisais Beispiel donkbar. Der wichtigste
Abschnitt der Intention des Buches nach ist der letzte:
Beza und David in tempore belli. Bezas Psalmenkommcn-
tar ist neben seinen vorangegangenen politischen Schriften
eine wichtigo Quelle für seine Ansicht vom Widerstand
der Hugenotten gegen das französische Königshaus. Ohne
daß Personen oder Ereignisse namentlich genannt werden,
sind doch die Anspielungen für die Zeitgenossen in der
Schweiz und in Krankreich deutlich. Heinrich v. Navarra