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Ausgabe:

1978

Spalte:

599-601

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Balthasar, Hans Urs von

Titel/Untertitel:

Theodramatik, I: Der Mensch in Gott 1978

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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Theologische Literat urzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr.8

600

Der VI', ist Oblatus Mariae Immaculata^. Kr leitet ein Haus de«
kontemplativen Gebets, Leb fSchoraea, hörendes Herz (nach lKön
3,9) genannt, in Texas. Henri de Lubac betreute die vorliegende
Dissertation aus Lyon. Die Arbeit geht einem uralten, uns Menschen
tief bewegenden Thema nach, dem Wort des Leidens. Johannes
vom Kreuz (|1591) und Teilhard de Chardin (fl955) haben
Wesentliches zu dieser Thematik geschrieben. Kelly vergleicht die
„passivites" in der Teilhardschen Mystik mit bestimmten Aspekten
der „dunklen Nacht" bei Johannes vom Kreuz. Kr fördert
damit die Teilhard-Forschung, die dieser Seite des Jesuiten woniger
Aufmerksamkeit geschenkt hat; er trägt aber auch dazu bei,
Gedanken von Rang bereitzustellen, die in ihrer Tiefe uns jenseits
der akademischen Diskussion berühren.

Die Arbeit ist klar aufgebaut. In der Einleitung werden die nicht
zahlreichen Notizen Teilhards zu Johannes vom Kreuz vorgeführt,
und erörtert. Jeder der beiden Mystiker wird in einem Abschnitt
dargestellt, der dritte Abschnitt sucht „convergence" und „dif-
ferentation" zu bestimmen. Die Quellenangabe ist zumal für Teilhard
ausführlich, für die Literatur werden freilich nur Bibliographien
genannt.

Le Milieu Divin, dieses bedeutende Werk Teilhards aus dem Jahr
1927, ist bezeichnenderweise „jenen gewidmet, die die Welt lieben
". Teilhard geht dem nach, wie das menschliche Handeln ver-
göttlicht werden kann, geht den Formen menschlichen Leidens
nach, um dann den „göttlichen Bereich" zu besehreiben. Teilhard
findet in der Materie eine geistige Potenz, in der Arbeit an und für
die Welt eine geistliche Aufgabe. Die Wurzeln unseres Seins tauchen
in unergründliche Vergangenheit hinab. Ja, auch der Bereich des
Krleidens ist ihm nicht beschränkt auf Übel wie den Tod. Wir erleiden
das Leben. „Ich empfange mich weit mehr, als ich mich selber
schaffe." Andererseits ist Kampf gegen das Übel ein Kampf
mit Gott. Am Knde dieses gottgewollten Kampfes, am Ende
unserer menschlichen Kräfte werden wir dem Willen Gottes in seiner
zu erleidenden Gestalt begegnen. „Der Verzicht muß uns über
alles, was es in der Welt gibt, hinausführen. Der Verzieht muß uns
gleichzeitig nötigen, die Entfaltung dieser selben Welt überzeugt
und leidenschaftlich voranzutreiben." Es wird, bei dieser positiven
Wertung des Erleidens, verständlich sein, daß Teilhard in der
Beschreibung der „dunklen Nacht" bei Johannes das Xegative,
das Statische zu betont fand. Eine andere Mystik, eine andere
Aszese, eine andere Kontemplation schwebte ihm vor. Der Vf. versucht
nun zu zeigen, daß die von Teilhard gesehene Andersheit des
Johannes keine „Opposition", sondern „complementarite" sei.
Letzteres ist freilich kein eindeutige]' Begriff; der Vf. füllt ihn indes
durch seine Johannes-Interpretation. Auch bei Johannes sei die
Reinigung positiv gesehen, sei die kenosis der Seele eine dynamis.
Dieser Deutung wird man weithin folgen können. Für eine Theologie
der Erlösung wird relevant sein, daß für Johannes wie für Teilhard
alles, was der Seele widerfährt, um sie zu vergöttlichen, von
Gott geschieht, und zwar in einer vollständigen kenosis der Seele.
Etwas blaß wirkt die Feststellung, die Konvergenz der „passivites"
und der „dunklen Nächte" zeige sich in demselben lebendigen
Glauben. Warum ist das so grundlegend? Ist das nicht viel zu allgemein
? Die Übereinstimmung zeige sich des weiteren in demselben
Christus, den die beiden in sehr unterschiedlichen Erfahrungen
erfahren haben. Für beide sei Christus Ausgangspunkt und
Zielpunkt (Alpha und Omega) und Kraft vom Anfang bis zum
Ende (Zentrum). Diese Formulierungen des Ergebnisses scheinen
hinter dem Reichtum der Studie zurückzubleiben, die - wie wir
mit dem Vf. sagen - dazu beiträgt, das Geheimnis Christi zu
würdigen.

.Rostock Peter Heidrich

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Balthasar, Hans Urs von: Theodramatik. II: Die Personen des
Spiels. 1: Der Mensch in Gott. Einsiedeln: Johannes Verlag
[1976]. 400 S. 8°.

Die Besprechung von Band I ist in ThLZ 99, 1974 Sp. 944-946
erfolgt. Balthasar hatte einen zweiten Band angekündigt, dessen

Inhalt wir nach seinen eigenen Worten am Schluß der Besprechung
angodeutet hatten. Doch hat die Erwartung getrogen. Statt des
zweiten Bandes ist ein Halbband erschienen, dem noch andere
Bände folgen sollen. Erst auf das in Aussicht gestellte ganze Werk
wird die frühere Vorschau zutreffen.

Das neue Buch bringt zunächst wieder Prolegomena. Wohl weil
Band I diesen Untertitel hatte und um sich nicht verbal zu wiederholen
, setzt der Vf. jetzt die Überschrift „Hinführendes" (S. 17 bis
152). Hatte Band I in ungewöhnlich großem Umfang die dramatische
Dichtung der Weltliteratur als vorbereitendes Material herangezogen
, so geschieht jetzt ein Gleiches mit der Dogmengeschichte,
speziell der der Alten Kirche. Für die Arbeitsweise geben wir zwei
Beispiele. Die Nachfolge Christi als Kriegsdienst wird mit seclis
einleitenden Zeilen thematisch erläutert. Dem folgen auf fünf Seiten
Belege zum Thema aus dem Neuen Testament, aber auch schon
aus dem Alten Testament,} dann aus Origenes, Augustin, Ignatius
von Loyola, dem Mönchtum; auch die griechische Philosophie
wird hereingezogen; in einem Anhang erscheinen Hinweise auf
Milton, Dostojewski, Strindberg, Bunyan (147ff.). Zweites Beispiel
: über den Erweis der christlichen Wahrheit werden große
Exkurse über die frühchristlichen Apologeten und Irenäus beigesteuert
(122-134). Darüber sei nicht verschwiegen, daß die heutigen
Aussagen zur biblischen Theologie reich herangezogen werden
. - Im zweiten Hauptteil des Bandes, mit dem die eigentlich
dogmatischen Ausführungen beginnen - er hat die Überschrift
„Dramatis personae (I)" - kann die dogmen- und theologiegeschichtliche
Häufung wiederkehren. So heißt es zum Problem
„Endliche Freiheit" nach kurzer thematischer Einleitung: „Beginnen
wir mit Augustinus, Thomas (und in etwa mit Descartes)"
mit folgenden fünf und mehr Druckseiten theologiegeschichtlichen
Inhaltes (187 ff.). Im Thema „Freiheit als Selbstbowegung" (192ff.)
treten als Gesprächspartner auf: Gregor von Nyssa, Epiktet, Irenäus
, Klemens, Thomas, Augustin, Maximus Confessor u. a. Doch
wendet sich jetzt das Interesse mehr den Philosophen der Neuzeit
zu, - so im Thema „Titanismus" (385ff.) Herder, Lessing, Goethe,
Kant, Fichte, Hegel, Feuerbach, Marx, Sartre u. a. Auffallen katm
wohl, daß der s. Z. von Rom gemaßregelte und heute fast vergessene
Anton Günther (gest. 1863; s. RGG3, II, 1902f.) fünfmal
in die Diskussion einbezogen wird. - Dies zur formalen Seite des
Werkes, das seinen Umfang miterklärt. Wer zu dem Buch greift,
möge wissen, was ihn erwartet.

Über die Sachanliegen des Buches kann kein Referat gegeben
werden, das bis in die zahlreichen subtilen Einzelfragen vordringt.
Wir können nur das Hauptanliegen näher ins Auge fassen. „Das
Ur-Drama spielt zwischen göttlicher und menschlicher Freiheit"
(393). Soll Dramatik überzeugend aufgewiesen werden, muß der
absolut freie Gott im Menschen sein relativ freies Gegenüber haben
. Daß Luther hierbei als Gesprächspartner ausscheidet, liegt
auf der Hand. Er hätte die Absolutheit des göttlichen Willens überbetont
; bei ihm sei die menschliche Freiheit nur eine solche nach
unten, nicht nach oben. Nach dem Sündenfall sei aber dem Menschen
die relative Freiheit zu Gott hin geblieben. Dafür sucht
Balthasar eine christologische Begründung zu geben, und zwar
durch neuen Rekurs auf Maximus Confessor, dem schon immer
Balthasars besondere Sympathie galt; sein Buch „Kosmische Liturgie
", 19612, hat den Untertitel: „Das Weltbild Maximus des
Bekenners". Jesus ist im Dogmenstreit des Dyotheletismus der
Besitz des menschlichen Willens, anders gesagt: der relativen Freiheit
zuerkannt. Darin fände das ganze Theodrama sein Zentrum
(182). Denn da der Gläubige mit Christus eins wird, entstände eine
Welt mit endlichen Freiheiten (243). Nun kann „von den einzelnen
menschlichen Personen als Rollenträgern im Weltspiel" gehandelt
werden. Die Gläubigen sind „Personen innerhalb der Gesamtperson,
als Beirollen zur Hauptperson" (245). Die Teilhabe an Christus
führe auch zur „Teilgabe an Gottes Wesen", weil der Sohn gleichen
Wesens mit dem Vater ist. So empfängt der Gläubige eine
„neue Qualität" (368). Es überrascht nun nicht mehr, daß zunehmend
auf den letzten Seiten des Buches „Teilnahme an der göttlichen
Natur" erscheint, ein Wort aus 2Petr 1,4, das in der Geschichte
der Mystik und des Pietismus einen bevorzugten Platz
hatte. „Ist der Einzelne zum ganzen Gotteswillen hin entbildet,
gelassen und indifferent, so versinkt er nicht in den ,weiselosen'
Ungrund der Gottheit, sondern wird vom unendlichen väterlichen