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Ausgabe:

1978

Spalte:

577-579

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Illman, Karl-Johan

Titel/Untertitel:

Leitwort, Tendenz, Synthese 1978

Rezensent:

Heller, Jan

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577

Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr.8

578

Hlman, Karl-Johan: Leitwort - Tendenz - Synthese. Programm
und Praxis in der Exegese Martin Bubers. Abo: Abo Akademi
1975. 308 S. 8° = Meddelanden fr&n Stifteisens för Abo Akademi
Forskningsinstitut, Nr. 2. £ 7.-.

Das Hauptanliegen der Arbeit ist eine Beschreibung und kritische
Auseinandersetzung mit der exegetischen Methode des großen
jüdischen Gelehrten, dessen anregendes Erbe noch zu einem guten
Teil unbekannt und unbeachtet ist. So ist es nach Meinung des Rez.
sehr nützlich, diesem Thema Aufmerksamkeit zu widmen.

Das Buch beginnt mit einem kurzen Vorwort, in dem der Vf.
seinen Lehrern und Mitarbeitern dankt. Dann kommt auf zwei
Seiten die Inhaltsübersicht. Die folgende Einleitung befaßt sich
mit dem Lebenslauf und Werk von Martin Buber und erwähnt
auch die bisherigen Bearbeitungen seines Nachlasses, unter denen
die umfangreiche Dissertation von Rudolf Mack „Martin Buber als
Ausleger des AT", Edinburgh. 1969, besonders wichtig sei. Der Vf.
hat auf diese Arbeit oft hingewiesen; leider liegt sie nur in Maschinenschrift
vor und so blieb sie dem Rez. in Prag unerreichbar.

Die eigentliche Arbeit zerfällt in zwei Teile: I. Tradition und
Methode, und II. Methode und Interpretation. Die beiden Teile
haben dann eine parallele Unterteilung in drei Abschnitte: A. Stilanalyse
, B. Traditionskritik, C. Historische Darstellung. Der erste
Teil enthält eine prinzipielle Darlegung von Bubers hermeneuti-
scher Methode, wie diese aus seinen Werken abzulesen ist. Der
zweite Teil ist ihre Überprüfung an konkreten Texten, wobei Bubers
Exegese mit den exegetischen Ergebnissen moderner Forscher
verglichen wird. Am Ende des Buches findet man noch Anmerkungen
, meistens Literaturhinweise, ein Abkürzungsverzeichnis und
Literaturverzeichnis mit etwa 200 Titeln.

Bubers Stilanalyse wächst aus seiner Überzeugung heraus, daß
für die Entstehung und Eigenart der biblischen Überlieferung die
mündliche Tradition, das gesprochene Wort, besonders wichtig
war. Seine Hüter sind nach Buber vor allem in den prophetischen
Kreisen zu suchen. Die Botschaft bedient sich eines ganz bestimmten
Gestaltungsprinzips, nämlich des Rhythmus, der durch Wiederholung
eines konstanten Elementes entsteht. Diese Wiederholungselemente
sind verschieden, die prägnanteste Form unter
ihnen nennt Buber „Leitwort". Es ist also besonders die Wiederholung
der Leitworte, die den Rhythmus der Überlieferung prägt.

Im Bereich der Traditionskritik lehnt Buber die in seiner Zeit
übliche Form der Quellentheorie ab, ähnlich wie Umberto Cassuto
und Benno Jacob. Statt einer „Redaktion", die auf Grund von
Auszügen aus Quellenschriften fertiggestellt worden wäre, sieht
Buber die Entstehung des vorhandenen biblischen Textes als
„Komposition", bei der der Kompositor den für seinen Zweck am
besten geeigneten Stoff auswählt. Die Komposition ist also kein
fremder Eingriff in den Traditionsprozeß, sondern seine spontane
Vollendung. Die für den Exegeten wichtigen Bearbeitungstendenzen
kann man durch die tendenzgeschichtliche oder tendenzkritische
Methode herausschälen. Die erste kritische Aufgabe dabei ist
zu entscheiden, ob die vorliegende Tradition „geschichtsnah" oder
„geschichtsfern" sei. Daraus kann man erschließen, ob uns
„eine literarisch authentische Urkunde" vorliegt.

Die historische Darstellung, wie der Vf. den dritten Aspekt seiner
Untersuchung nennt, ist m. E. ein nicht ganz glücklich gewählter
Begriff. Im ganzen Werk von Buber liegt ein großer Nachdruck
auf dem Geschichtlichen und nicht auf dem Historischen. Da
könnte wahrscheinlich Bubers Philosophie eine gute Hilfe leisten.
Bubers Aussagen über „authentische Tradition" und „Geschichtlichkeit
", die der Vf. mit einem Fragezeichen versieht, sind nach
der Meinung des Rez. vielmehr auf die Gegenwart als auf die Vergangenheit
hin orientiert: sie sollen primär die Nachvollziehbarkeit
und die Möglichkeit und dadurch die Geschichtlichkeit hervorbringen
. Der Vf. befaßt sich hier besonders mit den Grenzen der
historischen Darstellung bei Buber und mit dem schwierigen und
feinen Unterschied zwischen der „Glaubensgeschichte" und „Religionsgeschichte
", die Bubor oft benützt.

Der letzte Absatz des ersten Teiles heißt „Der methodologische
Standort", in dem der Vf. verschiedene Meinungen über Bubers
Exegese zitiert und Bubers Einstellung zu einzelnen exegetischen
Methoden (Literarkritik, Formgeschichte, Übcrlieferungsgeschich-
te, Redaktionsgeschichte usw.) beschreibt. Er kommt hier zum

vorläufigen Schluß, daß von den drei Hauptmethoden die stilanalytische
am originellsten ist, die anderen dagegen sehr der
Subjektivität unterworfen sind.

Der zweite Teil, wie schon oben erwähnt wurde, bringt die Beispiele
. Es sind zu A. Stilanalyse: 1. Turmbau und Sprachenverwirrung
, 2. Die Sünde Kanaans, 3. Volk und Land, 4. Bundesschluß
und Freilassung, 5. Der Aufstand Korachs, 6. Schuld und Sühne,
7. Abraham der Seher, 8. Dialog zwischen Mose und JHWH, 9.
Einige Gesetze, 10. Israel in Ägypten, 11. Die Berufung des Mose,
12. Mose und Jethro, 13. Das Deboralied, 14. Gideon und Abime-
lek, 15. Samuel und Saul, 16. Aus den Schriftpropheten, 17. Aus
Hiob, 18. Einige Psalmen, 19. Zusammenfassung und Kritik. -
Zu B. Die Traditionskritik: 1. Die Abrahamsüberlieferungen, 2.Die
Moselegenden, 3. Der brennende Dornbusch, 4. Plagen, Passah und
Auszug, 5. Bundesschluß und Dekalog, 6. Der Landtag zu Sichern,
7. Die zwei Richterbücher, 8. Zusammenfassung und Kritik. -
Zu C. Die historische Darstellung: 1. Das Königtum JHWHs,
2. Der Gesalbte JHWHs, 3. Der prophetische Glaube, 4. Mose -
der Stifter, 5. Zusammenfassung und Kritik. - D. Ergebnisse.

In den Untersuchungen der einzelnen Abschnitte gibt es zwar
viel Interessantes, aber eine kurze Besprechung darf sich nicht in
Einzelheiten verlieren. So sind es besonders die Ergebnisse, die hier
wichtig sind. A. Stilanalyse: Hier wirft der Vf. Buber vor, daß dieser
keine sicheren Kriterien für die Bestimmung dessen, welche
Wiederholungen eine Funktion haben und welche nicht, gegeben
hat. Das Vorkommen von Wiederholungen und Anknüpfungen
kann nach der Meinung des Vfs. schwerlich als Argument gegen die
Quellentheorie benutzt werden. Obwohl es um Stilanalyse geht,
scheint bei Buber eine deutliche Tendenz vorzuliegen, jene Leitworte
„synthetisch" zu interpretieren; diese Interpretation erscheint
oft als keineswegs zwingend. - B. Traditionskritik: Da
scheint dem Vf. besonders Bubers Verwerfung der Quellentheorie
und die dominierende Rolle der mündlichen Tradition fraglieh,
ähnlich wie die wissenschaftlich verdächtigen Begriffe „geschichts-
möglich" oder „geschichtsnah" und letztlich die ganze „wissenschaftlich
-intuitive Methode" Bubers. Seine tendenzkritische Methode
, meint der Vf., bemüht sich vorschnell um eine Synthese und
trägt die Gefahr eines Zirkelbeweises in sich. - C. Die historische
Darstellung: Da bemüht sich der Vf. besonders, den Unterschied
zwischen der Religion und dem Glauben in Bubers Auffassung zu
bedenken. Sein Hauptvorbehalt gilt den Kriterien der Geschichtsmöglichkeit
und der Faktumseinzigkeit, die - wie der Vf. wörtlich
sagt - für die Phantasie nicht nur Raum schaffen, sondern diese
beinahe systematisch verwenden.

Das ganze Buch schließt mit dem Absatz D. Ergebnisse ab.
Da rindet der Leser manche interessanten Beobachtungen, z. B.,
daß Bubers Betonung der mündlichen Traditionsweise teilweise die
Auffassung der Uppsalaer Schule vorwegnimmt oder daß die „Traditionsbearbeitungen
", die bei Buber an die Stelle der Quellen
treten, auf bestimmte „soziologisch bestimmbare Kreise" zurückgeführt
werden können. Die Untersuchungen der Texte aus dem
deuteronomistischen Geschichtswerk seien wesentlich überzeugender
als diejenigen der Thora. Das beweist besonders das Buch
„Königtum Gottes". In anderen Werken Bubers überwiegt das
synthetische Bild über die Analyse, (bes. in „Glaube der Propheten
" und „Der Gesalbte"); in „Mose", wo das Kriterium der „Geschichtsmöglichkeit
" häufig verwendet wird, werden die Lücken
mit novellistischer Phantasio ausgefüllt, so daß sich das Werk
einem „Moseroman" nähert. Auch das dialogische und das theopolitische
(= Rücksicht auf das ungespa ltene Gemeinschaftsleben)
Prinzip sind eigentlich keine wirklich analytische Methode. Das ist
- meint der Vf. - ein großer Fehler, denn „der Drang zur Synthese
macht sich bei Buber eben darin geltend, daß er Bezüge, Zusammenhänge
und Brücken dort sieht, wo andere Forscher vor Rissen,
Widersprüchen und Kluften stehen". Wohl muß man mit Anerkennung
feststellen, daß sich „die Originalität und Eigenständigkeit
der Buberschen Interpretation durch keine Vergleiche verwischen
läßt. . . und daß seine Ergebnisse eine ungewöhnliche Geschlossenheit
(jihüd)" zeigen. So mündet das ganze Buch in eine ziemlich
harte Ablehnung von Bubers exegetischer Methode. In Anknüpfung
an Scholem sehreibt der Vf. (S. 215f.) wörtlich: „Im Rückblick
sei noch hervorgehoben, daß die oben besprochenen Arbeiten Bubers
durchaus in der traditionellen Form bibelwisscnschaftlicher