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Ausgabe:

1978

Spalte:

507-509

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Tardieu, Michel

Titel/Untertitel:

Trois mythes gnostiques 1978

Rezensent:

Schenke, Hans-Martin

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507

Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 7

50!!

Tardieu, Michel: Trois Mythes Gnostiqucs. Adam, Eros et les
animaux d'Egypte dans un ecrit de Nag Hammadi (II, 5).
Paris: Etudes Augustiniennes 1974. 387 S. gr. 8° = Centre
d'Etudes des Religions du Livre. Laboratoire associe au
CNRS no. 152. Ecole pratique des Hautes Etudes - Ve
Section.

Die vorliegende Arbeit stammt aus der .Schule von H.-Ch.
Puech. Ihr Vf. hat mit ihr 1972 an der Pariser Sorbonne
(Lettres et Civilisations) promoviert. Sie ist der Weiterführung
der Erschließung der von A. Böhlig herausgebenen
sogenannten Titellosen Schrift aus Nag-Hammadi-Codex II
(auch „Vom Ursprung der Welt" [UW] bzw. „On the Origin
of the World" [OnOrgWld] genannt) gewidmet (vgl. ThLZ
84, 1959 Sp. 243-256; 89, 1964 Sp. 17-20). So arbeitet sie zunächst
einmal die kurze Geschichte der ihr bereits gewidmeten
Forschung ausführlich auf. Daß sie dabei vom Fortgang
des beschriebenen Prozesses selber eingeholt und überholt
wird (vgl. besonders Chr. Oeyen: Fragmente einer sub-
achmimischen Version der gnostischen „Schrift ohne Titel",
Essays on the Nag Hammadi Texts in Honour of Pahor La-
bib, NHS VI, Leiden 1975, 125-144; H.-G. Bethge: „Vom
Ursprung der Welt" — Die fünfte Schrift aus Nag-Hammadi-
Codex II neu herausgegeben und unter bevorzugter Auswertung
anderer Nag-Hammadi-Texte erklärt, Theol. Diss.
[A] Berlin 1975), ist auf diesem Forschungsfeld, wo gerade
jetzt besondere Intensität herrscht, ganz natürlich und darf
keinesfalls — unter Verkürzung der zeitlichen Perspektive —
den Blick für den spezifischen Beitrag und den eigenen Stellenwert
der Arbeit T.s verstellen. In einem Anhang bietet
der Vf. auch noch eine eigene und — von Kleinigkeiten abgesehen
— gute französische Ubersetzung dieser Schrift und
der ihr nächstverwandten „Hypostase der Archonten". Der
bleibende Wert des Hauptinhalts der Arbeit von T. besteht
m. E. vor allem in der Bereitstellung eines umfangreichen
Materials an direkten oder auch weitläufigen Parallelen zu
den drei im Untertitel angegebenen Themenkomplexen, das
hin und wieder deren unmittelbaren, vor allem aber ihren
entfernteren Hintergrund erhellt. Der Vf. vermag der Forschung
diesen Dienst in solchem Umfang zu erweisen, weil
er ein vorzüglicher Kenner der einschlägigen, besonders der
klassischen und der patristischen Literatur ist.

Mit dem Gesagten ist aber das eigentliche Anliegen des
Werkes von T. noch keineswegs bezeichnet. Zu diesem gehört
aber schon, daß dem Vf. — und zwar im Zusammenhang
mit seinem Gesamtverständnis der Gnosis in Ägypten
— sehr viel daran liegt, eine Vorstellung von der griechischen
Originalgestalt des allein erhaltenen koptischen Übersetzungstextes
, wenigstens hinsichtlich ihrer zentralen Begriffe,
zu gewinnen. Diese Bemühungen erfolgen allerdings mit unzureichenden
Mitteln, wobei besonders auffällig ist, daß
relativ oft die Äquivalenz der Wortpaare nicht gegeben ist
(vgl. z. B. S. 74 Anm. 171: das Äquivalent zu eklektoi ist keineswegs
sotp, sondern e u sotp, das wiederum genaugenommen
einem eklektoi einai entspricht). Letzten Endes
aber geht es dem Vf. um nichts Geringeres als um das rechte
Verstehen des vorliegenden individuellen Textes. Dieses
gnostische Kompendium, das in seinem Rahmen sehr verschiedenes
Material birgt, ist nun in der Tat nicht ohne weiteres
zu begreifen. So ist jeder neue und mit neuen — auch
ungewöhnlichen — Mitteln erfolgende Versuch in dieser
Richtung an sich zu begrüßen. Wenn T. aber vorauszusetzen
scheint, daß der Sinn der einzelnen koptischen Konstruktionen
, Satzteile und Satzgefüge bereits feststeht und neue
Bemühungen also nur von der Makrostruktur des Textes
ausgehen können, so befindet er sich m. E. im Irrtum und
gleicht einem Mann, der den fünften Schritt vor dem zweiten
tun will. Es wird von T. im Grunde abgezielt auf eine
Betrachtungsweise und exegetische Methode ähnlich der,
die man aus der Bibelwissenschaft als die „redaktionsgeschichtliche
" kennt. Mit einem gewissen Recht glaubt der
Vf., daß die literarkritische und traditionsgeschichtliche Arbeit
am Text — namentlich in der Böhligschen Ausprägung

— nichts Entscheidendes zum Verstehen des Textes, wie er
nun einmal ist, abwirft; und er hält auf der anderen Seite
das Anlegen Philosophie- und theologiegeschichtlicher Maßstäbe
an gnostische Texte wie diesen für gänzlich verfehlt —
und nachvollzieht damit persönlich den Erkenntnisfortschritt
, den die neuere Gnosisforschung insgesamt schon vor
Jahrzehnten gemacht hat. Des näheren geht es T. nun um
die Erfassung der spezifischen Logik des mythologischen
Denkens des gnostischen Autors von UW. Und eben darum
wählt er als spezielles Untersuchungsobjekt diejenigen
Textpartien, die UW über die geläufigen gnostischen Mythen
und Mythologeme hinaus aufweist und wo eben das eigene
Denken und Spekulieren des Autors am deutlichsten zum
Ausdruck kommt. Schließlich ist zum Verständnis und zur
Beurteilung von T.s Arbeit noch wesentlich, daß er — freilich
ohne eine theoretische Begründung zu geben, und, wenn
ich recht sehe, im Verlaufe der Arbeit zunehmend — in erheblichem
Maße versucht, bei der Durchführung seiner Untersuchung
sich bestimmte Elemente des linguistischen
Strukturalismus nutzbar zu machen. Verwendet wird vor
allem die Relation von „signifiant" und „signifie" und die
Konzeption semantischer Felder; und gerade diese ist es
übrigens, die mit ihrer Realisierung in überaus zahlreichen
schematischen Darstellungen auch optisch das Buch bestimmt
.

Nun ist auch dieses Anliegen selber — und zwar eigentlich
in allen seinen Komponenten — durchaus willkommen. Probleme
gibt es nur hinsichtlich der Durchführung. Auf Einzelheiten
einzugehen, erscheint mir im Falle dieses Buches
allerdings nicht zweckmäßig zu sein, obgleich es schon bemerkenswert
ist, mit welcher unbegreiflichen Beharrlichkeit
T. darauf aus ist, gerade das vom Autor der Schrift
nicht ausgeführte Schema der acht Schöpfungstage nun seinerseits
zu füllen. Hier geht es vielmehr ums Prinzip. Ich
möchte versuchen zu erklären, woran es eigentlich liegt, daß
sich dem normalen Exegeten bei der Lektüre von T.s Interpretationen
„die Haare sträuben". Dieses psychologische
Phänomen glaube ich als ein allgemeines durchaus voraussetzen
zu dürfen. Die Problematik konzentriert sich in der
„analyse comparative", wie T. sie betreibt. Das Herausheben
der drei Themenkomplexe zu spezieller Betrachtung
führt zur Vernachlässigung, bis hin zur völligen Nichtbeachtung
des Kontextes der individuellen Schrift. Zum Kontext,
in dessen Rahmen interpretiert wird, werden die Parallelen
für den betreffenden Topos aus anderen Texten. Das resultiert
praktisch in rücksichtsloser Eintragung von Gedanken
der Parallelen in den hiesigen Text. T.s Methode ist nur an
Begriffen und Begriffsfeldern orientiert. Es kommt einem
vor, als betreibe er Text-Linguistik an einem Text, dessen
Sprache gar keine Syntax hat. Eins der verblüffendsten
Produkte dieser Exegese — in Zusammenhang übrigens mit
der unkritischen Übernahme des unsinnigen Textverständnisses
der Erstübersetzung (p. 115, 3 f.: „Als sie aber Adam
vollendet hatten, legte er ihn i n ein Gefäß" [Böhlig]; statt:
..Als sie Adam aber fertiggestellt hatten, legte er ihn hin
als ein lebloses Ding" [Bethge]) — ist die Vorstellung von
Adam im Alchimisten-Tiegel (S. 125 mit Anm. 266). Obgleich
also T. die mythologische Logik des Textes meint, bekommt
er eine Logik in den Griff, die hinter dem Text
liegt und die sich schließlich für den unbefangenen Leser
als völlig außerhalb des Textes befindlich erweist. Man
kann es auch so sagen: Bei T.s Exegese kommt zwar ein in
sich sinnvolles Ergebnis heraus, aber das hat mit dem individuellen
Text, von dem ausgegangen wurde und dessen
Verständnis gefördert werden sollte, überhaupt nichts mehr
zu tun. T.s ganze Methode erscheint einem manchmal im
Grunde enger verwandt mit bestimmten Seiten der rabbi-
nischen Allegorie als mit den Prinzipien der zeitgenössischen
historisch-kritischen Wissenschaft. Es wäre ja auch nicht das
erste Mal, daß die Einführung einer neuen und modernen
Arbeitsmethode sozusagen „aus Versehen", bzw. zunächst
einmal, hinsichtlich der Sache, um die es geht, zu einem
Rückfall um Jahrhunderte führt. Was m. E. an T.s Arbeit