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Ausgabe:

1977

Spalte:

104-106

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Lange, Dietz

Titel/Untertitel:

Historischer Jesus oder mythischer Christus 1977

Rezensent:

Slenczka, Reinhard

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 11)77 Nr. 2

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von Jesu Auferweekung. Jesu Tod ist nunmehr zum Ort
Gottes geworden, und Gottes „Tod" zum Ort Jesu (90).
Das heißt aber, daß der Auferstehungsglaube nicht mit
einein neuen Handeln Gottes zu tun hat, das einen Bruch
markierte, sondern mit Glottes Handeln in Jesu Tod:
„Der Tod Jesu selbst ist für den Glaubenden der Grund
des Glaubens an seine Auferweekung, weil der Tod Jesu
den Glaubenden ganz . . . auf den Gott der Verlorenen
zurückwirft . . ., den Jesus geoffenbart hat: den Gott, der
als die Liebe stärker ist als der Tod" (94).

Es ist dieser an Ernst Fuchs und Eberhard Jüngel
orientierten Konzoption in der Tat gelungen, den „Ostergraben
" zuzuschütten und das im Tode am Kreuz kulminierende
Leben und Wirken Jesu zur alleinigen Basis dos
Glaubens zu machen. Aber ist der Prois dafür nicht untragbar
hoch '! Wird damit nicht eingeebnet, was auf keinen
Fall eingeebnet worden darf, nämlich die Spannung zwischen
Leben und Tod, zwischen Gottes lebenschaffendem
Handeln und dem Menschen, der sich mit allem, was er
tut, den Tod erwirkt ? Es ist sicherlich richtig, daß Jesus
mit seiner ganzen Existenz für Gott eintrat, indem er die
Liebe verkündigte und praktizierte. Und es ist ebenso
richtig, daß sein Tod die Besiegelung dieser Liebe war.
Aber zugleich — und das darf man auf keinen Fall unterschlagen
— war dieser Tod doch auch ihre Widerlegung
und damit zugleich die Widerlegung des von Jesus verkündigten
Gottes. Das Kreuz, für sich allein genommen,
wäre doch dio öffentliche Demonstration dessen, daß Jesu
Werk keinen Ort in dieser Welt haben kann, daß es also
utopisch wäre! Demgegenüber besagt dio Auferstolm ngs-
botschaft, daß der Gott, der die Toten ins Leben zu rufen
vermag, sich zu Jesus bekannt und sein Verkündigen und
Handeln als Heilsmöglichkeit für alle in Kraft gesetzt hat
— und zwar gegen ihre menschliche Widerlegung durch
das Kreuz! Ich habe den Eindruck, daß der eigentliche
Fehler Peschs darin liegt, daß er die Struktur des Gottesverhältnisses
Jesu zu wenig berücksichtigt: Jesus hat
nicht über Gott verfügt, sondern er hat ihn als ein Leben
ermöglichendes Du in Anspruch genommen, er hat in Gemeinschaft
mit ihm gelebt und diese Gemeinschaft bis in
den Tod hinein festgehalten. Darum hängt alles daran, daß
Gott diese Gemeinschaft bewährt hat, auch über ihre
scheinbare Widerlegung im Tode hinaus.

Stößt man durch die Schicht der — gewiß geistvollen —
dialektischen Sprachspiele hindurch, so läßt sicli der harte
Kern der Argumentation Peschs etwa so zusammenfassen:
Jesus hat die Liebe mit seiner ganzen Existenz vorgelobt
und sie durch sein Sterben als eine auch dem Tod, standhaltende
menschliche Möglichkeit bekräftigt. Aber ich kann
mich nicht davon überzeugen lassen, daß damit eine tragfähige
theologische Basis gefunden wäre. Denn müßte
nicht — so wäre, hier weiter zu fragen —, so betrachtet, der
Tod Jesu eher ein Zeugnis dafür sein, daß der Tod stärker
ist als die Liebe V

Ähnliche Fragen und Einwände wären m. ES. auch gegen
die diesen Hand abrundende Studie von Herbert A. Zwa rgel
(„Die Bedeutung von Leben und Tod Jesu von Nazareth
in tiefenpsychologischer Sicht") vorzubringen, die die Ge-
dankengänge Peschs in ein an der Psychoanalyse geschultes
Vokabular zu übertragen sucht.

Eine kritische Bilanz der Auseinandersetzungen am
Jesus zieht der Wiener Systematiker Wilhelm Dantine
in seinem Taschenbuch „Jesus von Nazareth in der gegenwärtigen
Diskussion". Man darf wohl sagen, daß es ihm
gelungen ist, das wirklich Typische unter Verzicht auf
nebensächlichen Ballast herauszuarbeiten und zum Ausgangspunkt
theologischer Anfragen zu machen, die ins
Zentrum treffen. Im 1. Kapitel sichtot Dantine dio Jesus-
Literatur der letzten Jahre, wobei er sieh fast ausschließlich
auf populärwissenschaftliche Jesus-Literatur beschränkt
. Wonig Interesse vermag er dabei — vielleicht
mit Recht — der romantisch-religiösen Jesus-Welle abzugewinnen
. Ihm sind jene Bücher wichtiger, in denen Jesus
mit aus politischem, jüdischem und atheistischem Blickwinkel
oder auoh aus dem der Enttäuschung über die sich
auf ihn berufende Kirche anvisiert wird. Das 2. Kapitel
sucht die sich aus dieser tour d'hnrizon ergebenden ..Anfingen
an die christliche Theologie" zu artikulieren und
hinsichtlich ihrer theologischen Stichhaltigkeit zu überprüfen
: Jesus wird vom kirchlich-konfessionellen Christus -
bekenntnis gelöst, ja in kritische Antithese zur Kirche
gesetzt, das ist zwar insofern problematisch, als die Bindung
an die Gemeinschaft für Jesu Wirken konstitutiv
war, entspricht aber zugleich der iustitutionskrit ischen
Haltung Jesu, der sich auch die Kirche immer neu aussetzen
muß. Jesus wird „entreligionisiert", dem Bereich
des Sakralen entnommen, das entspricht der radikal kult-
kritischen Haltung des Urchristentums. Jesus wird in
seiner Parteilichkeit und seinem Außenseitortuin erkannt
(so bei Adolf Holl, Kurt Niedcrwimmer und David Flußer),
damit wird deutlich, „daß die Beschlagnahme und Vereinnahmung
Jesu durch die verschiedenen christlichen'
Gesellschaften im Laufe der Kirchengeschichte bis zum
heutigen Tage auf mehr oder weniger bewußte Mißachtung
der eigentlichen Sendung des Mannes aus Nazareth hinausläuft
" (77). Im Jesusbild werden dio Züge wahren, paradigmatischen
Menschseins akzentuiort, damit wird cm
Defizit der traditionellen christologischen Dogmenbildung
korrigiert, denn im Rahmen des sie beherrschenden ..hellenischen
Donkmodells konnte! die Bruderschaft und Solidarität
Jesu mit den Menschen lehrmäßig gar nicht zum
Ausdruck kommen!" (81).

Der letzte Aspekt der „Konfrontation mit der überlieferten
Christologio" wird im 3. Kapitel ausführlieh
thematisiert. Dio Kritiker des traditionellen Jesusbüdes
setzen ja mit ihrer Betonung des vere homo nicht nur
einen neuen Akzent, Kondom sie lehnen das vere deus
des kirchlichen Bekenntnisses durchweg ab. Ist hier ein
Dialog überhaupt noch möglich '! Dantine, möchte diese
Frage zumindest bedingt bejahen, unter der Voraussetzung
, daß die Theologio dazu bereit ist, dio Implikationen
des traditionollen christologischen Bekenntnisses
unter den heutigen historisch-exegetischen mal philosophischen
Gegebenheiten neu zu durchdenken. Das vere
deus, die Identifikation von Gott und Jesus Christus,
betrachtet er als im Zeugnis des Neuen Testaments fest
verankerte, unaufgebbarc Lehn-, solang«! es nicht als substantielle
Seiusaussago, sondern als Aussage über das
Handeln Gates verstanden wird; ..Dieses Handeln deckt
sich mit Wort, Leben und Tun Jesu, was sein Leiden und
seinen Tod einschließt" (<J8). Dantino nimmt jedoch dio
Kritik Adolf Holls an jenem ..Vergottuiigsprozcß" auf, der
sich im kirchlichen Christentum vollzog und zu einer Entfremdung
Jesu von den Menschen führte. Heute gelte es,
diesen Vorgang rückgängig zu machen und wieder zu dein
biblischen Grundgedanken der „Weltzuwendung durch
den Menschgewordonen" (110) zu kommen. Diese Welt-
zuwendung vollzieht sich in der Solidarisiorung Je.su mit
den Leidenden und dem Leiden In der Welt, vor allem aber
im Kreuz, in dem Dantine — nicht anders wie Besch —
die Konsequenz der gesamten Existenz Jesu sieht.

Briangen Jürgen Roloff

Lange, Dietz: Historischer Jesus oder mythischer Christas.

Untersuchungen zu dein ({cgensut/. zwischen Friedrich
Kchleiermiichrr und David l'riedrioh Strauß. Gütersloh: <oi-
tefaloher Verlagshaiis Gerd Mohn |l!)7.r>|. :((>:! S. gr. 8°.
Kart. DM 64.—.

Zur Christologio Schleiermachers, zur Theologie von
Strauß sowie zur historischen Jesusfrage ist in den letzten
Jahren mancherlei veröffentlicht worden. Die Göttinger
Habilitationsschrift ordnet sich in diese Külloein. Einerseits
vertieft sie dio Untersuchung der vorhandenen Quellen,