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Ausgabe:

1977

Spalte:

895-898

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Subilia, Vittorio

Titel/Untertitel:

La giustificazione per fede 1977

Rezensent:

Molnár, Amedeo

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895

Theologische Litt rat in zeit iiny IOl». Jahrgang L977 Nr. 12

Den Berichtsband über den 4. Lut herforschungskongreß
von St. Louis (August 1971) benutzt H. .Junghans, um
Gedanken über „Die Verwendung von Metaphern und
kybernetischen .Modellen in der Lutherforacbung" zu
äußern. Er setzt ein bei dem einen Zentralthema des Kongresses
, dem Verhältnis Luthers zur spätmittelalterlichen
Tradition. Dieses Verhältnis stellt sich als ein sehr in sich
verschlungener Prozeß dar, den man Iiisher mit Hille von
physikalischen (Ursache-Wirkung) oder biologischen (Entwicklung
) Metaphern aufzuhellen versuchte. H. .Junghans
möchte der von Oberman in St. Louis vorgeschlagenen
neuen Metapher, die der Bewegung des Wassers und des
Schalles int nominell ist. ein neues Modell zur Seite stellen
, mit Hilfe dessen man dem Problem Luther und das
Spätmittelalter beikommen könnte: die Kybernetik.
Dal>ei fungiert die Überlieferung als Übertragungskanal,
aber auch als Beziehung von Systemen, das Verhalten zur
Überlieferung ebenso wie die Reformation seihst als
Regelkreis. Es ist interessant, diesem Vorschlag ein Stück
weit zu folgen. Seine positive Seite ist jedenfalls die Erinnerung
daran, keinen der uns bekannten und möglichen
Faktoren zu vergessen und zu vernachlässigen, die für
Luther und die Reformation von Bedeutung gewesen
sind. Ungeklärt bleibt die mehr grundsätzliche Frage,
inw ieweit es angemessen ist. einen historischen Prozeß als
kybernetisches Modell faßbar zu machen. Dies konnte
sich freilich erst im weiteren Gespräch zwischen Historikern
und Fachleuten der Kybernetik herausstellen. Nach
der Lektüre von Junghans Aufsatz bleibt der Eindruck
zurück, daß - wie Junghans selbst es sagt die Probleme
doch w ieder vereinfacht worden sind.

Der Jahrgang enthält neben der Lutherbibliographie
eine weitere Spezialbibl i< Igraph ie : die von Hans Holmann
und Günther Wartenberg zusammengestellte Bibliographie
Heinrich Bochmer (1869-1927). Sie enthält 104
Nummern, wobei die Rezensionen nicht erfaßt sind. Ein
Anhang bringt Berichtigungen und Ergänzungen zu
H. Holmanns Aulsatz in Lud 38 (1971).

Die Lutherbibliographie hat die im vorhergehenden
Jahrgang begonnene Differenzierung festgehalten. Es
muß daran erinnert werden, sich bei der Benutzung bewußt
zu halten, daß die Bibliographie das Schrifttum des
vorausgehenden Jahres nicht vollständig erfassen kann,
so daß mit Lücken und Ergänzungen gerechnet werden
muß.

Corrigenda: Nr.50: Karlheinz Blaschke. Nr.203:
474-484. Nr. 372: 1522-1568. Nr. 579: Emire Zsindely.
Nr. 702: Pfnür. Vinzenz. Nr. 715: Wachler, (hinter.

Erstmalig erseheint dieser Jahrgang aus finanziellen
Gründen in broschierter Ausgabe. Vom Inhalt her ist zu
erwarten, daß dies der Bedeutung des Jahrbuches nicht
schaden wird.

Leipzig Krnst Koob

Subilia, Vittono: La giustifirazione per fede. Hrescia: L'akleia Kdi-
trice [1976]. 3<>2 S. 8° = Biblioteca di cultttra religio«*, 27.
Lire 7.000.

In erstaunlieh zäher Folgerichtigkeit konzentrieren sich
die Arbeiten V. Subilias. die in den letzten Jahren erschienen
sind, auf zenl rale Themen der reformat orischen Bot -
schaft und ihrer Theologie. Der Vf., Professor an der theologischen
Waldenserfakultäl zu Rom, verfolgte lange Zeh
hindurch die Wandlungen des heutigen Katholizismus (II
problema del cattolieesimo, Torino 1962; La nuova catto-
ucitä del cattolieesimo. Torino 1967) und lernte dabei,
einer billigen Euphorie der Versöhnung von Unversöhnlichem
, der die zur Mode gewordenen katholisch-protestantischen
Gespräche leicht anheimfallen, nicht zu erliegen
. Herausgefordert andererseits von den horizontali-
stischen Tendenzen der neueren Theologien, denen er immerhin
aufmerksam zuhört (cf. L'evangelo della contesta-

zione, Brescia 1971), setzte er sieh grundsätzlich auseinander
mit dem Optimismus eines innerweltlich und nur
geschichtlich verstandenen Beilsbegriffes (I tempi di Dio.
Torino 1971), der einer Vergesellschaftung Gottes das
Wort spricht, wenn auch im Namen einer legitimen Absage
an die konstantinische Lösung der Öffentlichkeitsbeziehung
der Christen. Sind die Bekenntnisse der Reformation
nur als Sprachereignis zu betrachten, oder können
sie noch und in welchem Sinne die Bekenntnismöglichkeiten
der heut igen Gemeinde fördern in einer Welt. die nicht
mehr die Welt von gestern geblieben ist > Als Hilfeleistung
zum Vorwärtsschreiten ohne schädliche ..depressive Abdikationen
", wurde Subilias dynamische Symbolik Tempi i
di confessione e di rivoluzione (Torino 1008) konzipiert.
Der dogmatischen Grundfrage des reformatorischen Anliegens
, dem schlechthin bestimmenden Hören auf die
Selbstoffenbarung Gottes, widmete Subilia die eingehende
Untersuchung Sola Scriptum, autoritä della Bibbia e li-
bero esame (Torino 1075). Das hier besprochene neue
Werk geht in dieser Richtung vertiefend weiter.

Tendiert der ökumenische Dialog dazu, die Rechtfertigungslehre
von der Mitte des Evangeliums an die Peripherie
zu rücken und sie als peinliches Mißverständnis
der konfessionellen Spannungen darzulegen, so ist Subilia
bemüht, daran zu erinnern: Dem Schrift Zeugnis nach
geht Gottes Recht fert igung der Recht fert igung des Menschen
und der Rechtfertigung der Gesellschaft voraus,
wenn auch diese theologisch saubere Erkenntnis wahrscheinlich
für einige der kommenden Generationen eben
nicht leicht w iederzuentdecken sein w ird.

Was die fachliche Diskussion über die Stelluni: und Bedeutung
der Rechtfertigung aus dem Glauben im neu-
testamentlichen Schrifttum betrifft, ist der Vf. der Überzeugung
, daß die Anklagen, die gegen philosophische, politische
und soziologische Versklavungen der exeget ischen
Arbeit erhoben werden, einen überaus willkommenen
Dienst im Blick auf die Freiheit und Glaubwürdigkeit
der Schriftauslegung leisten können. Aber die bisherige
Erforschung nicht nur der paulinischen Botschaft. sondern
auch der synopt ischen und johanneisehen Tradit ion. kann
nicht um die Tatsache herum, daß das Heil aus Gnaden
allein kein duieh Zufall der Polemik herbeigeführter Ausdruck
der apostolischen Gemeinde ist, wohl aber das
Grundanliegen aller bestimmenden Zeugnisschichten des
NT bildet (Kap. I). Im zweiten Kapitel geht dann Subilia
dogmengeschichl lieh der judenchrist liehenTradit ion nach,
die seit der frühen nachapostolischen Zeit das paulinisch
verstandene Evangelium in eine vernachlässigte Isolation
abgeschoben hatte, aus der es weder die theologische Synthese
August ins, noch, später, die franziskanisch-seotisti-
sche Schul' herauszuholen imstande waren. Das Tridenti-
niini hat das große Thema auch nicht nur per antithesim
zur Reformation innerhalb der katholischen Kirche heimisch
gemacht. Im posttridentinisehen Katholizismus
überwog die Zuversicht zur Heilsanstalt der rechtfertigenden
Kirche. Mit außerordentlichem Interesse liest man
aus der Feder eines Waldenscrt he« ilogen seine im Rahmen
dieses Kapitels skizzierte Deutung der mittelalterlichen
Predigt der Waldenser, gemessen am Rechtfertigungsartikel
(S. 71-84). Darauf wollen wir am Ende noch
zurückkommen.

Sachlich, aber auch räumlich (S.II7 l'44). winl dem
lut tierischen art iculus staut is et cadent is ecclesiae in Kap.3
die -roßte Aufmerksamkeit gew idmet . I »ein vielerorts und
auf verschiedene Weise behandeltem Thema bringt Subilia
eine neue, an den heutigen theologischen Fragestellungen
geschärfte Empfindsamkeit entgegen. Zu ihr gesellt
sich eine wache Skrupulosität, die bestrebt ist, die Trag-
weite der reformatorischen (daubenserkenntnis in ihrem
unverkürzten Anspruch zu sehen und zu Ende zu denken,
ohne dabei die dringlichen Aldingen unserer jungen ehrist -
liehen Zeitgenossen zu verschweigen. Dieser Zugang erweist
sieh besonders fruchtbar in der Darstellung des