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Ausgabe:

1977

Spalte:

837-839

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Vandervelde, George

Titel/Untertitel:

Original sin 1977

Rezensent:

Bertinetti, Ilse

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Seite 1, Seite 2

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837

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 11

838

Wirklichkeit zugrunde liegenden dialektischen Progreß
im Dreiachritt von Thesis, Anti- und Synthesis die kirchliche
Lehre von der Einheit und Unterschiedenheit der
drei göttlichen Personen philosophisch umformt. Durch
seine Gestalt der Trinitätslehre sichert Hegel, daß Gott
kein totes Abstraktum ist, aber auch kein unüberwindlicher
Dualismus in ihm besteht, sondern er das schöpferische
Prinzip des Universums darstellt (132ff.). Der Sohn
wird ihm zum Anderen Gottes, zur Welt als etwas Freiem
und Selbständigem, die freilich mit der vorfindlichen
Natur nicht identisch ist, als seinem Gegenüber wie seiner
Selbstentfaltung, und so versteht er Schöpfung und Erhaltung
der Welt als einen in Gottes Wesen selbst angelegten
ewigen Schaffensprozeß und begreift die Materie
als Moment des göttlichen Wesens (136ff.). Aus bzw. in
Natur, Geschichte und menschlichem Geist aber befreit
sich im Opfer der Individuen in ihrer Einzelheit und ihrem
Entfremdetsein vom Ursprung der göttliche als der
absolute Geist von neuem (141ff.) und kehrt zu seinem
Ursprung zurück. Der absolute Geist setzt seinen Plan in
der Weltgeschichte ebenso listig wie mächtig durch, und
alle einzelnen sind ihm nur Mittel zu diesem Zweck, doch
ist der Mensch zugleich Zweck in sich selbst durch das
Göttliche, das in ihm ist . Als Krone der Natur und Mittelpunkt
der Welt erhebt er sich im Denken über das Endliche
, gerade durch seine Entzweiung mit der Natur zur
Freiheit berufen. Die Geschichte Christi allein ist für
Hegel dem Prozeß der göttlichen Idee schlechthin gemäß,
indem dessen Auferstehung zur Negation der Negation
wird (179f.). Die Kirche aber ist kraft des ihr zumindest
potentiell innewohnenden Geistes Gott als Gemeinde
existierend (182).

Hegel zahlte einen hohen Preis für die philosophische
Absicherung der Theologie. Er deutete alle Glaubensartikel
fundamental um, um sie aufrechterhalten zu können.
Das sollte uns davor warnen, im Rückgang von Kant und
den Neukantianern zu Hegel deren Wahrheitsmoment zu
übersehen. Die Antithese Kant-Hegel sollte von uns in
eine spannungsvolle, aber fruchtbare Dialektik umgewandelt
werden. Das ontologische wie das cxistentiale
Element des Glaubens sind unverzichtbar, will man den
Realitätsbezug des Glaubens sicherstellen, ohne die Kategorie
des Geistlichen in die des Geistigen aufgehen zu
lassen.

Rostock Gert Wendelborn

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Vandervelde, G.: Original Sin. Two MajorTrends in Contemporary
Roman Catholic Reinterpretation. Amsterdam: Rodopi 1975.
XII, 350 S. 8°. hfl. 38,-.

Die Studie vermittelt einen vorzüglichen Einblick in
die von katholischen Theologen seit einigen Jahren geführten
Diskussionen um eine mögliche Neuinterpretation
der Erbsündenlchre. Einleitend stellt Vandervelde die
dogmenhistorische Entwicklung von den griechischen und
lateinischen Kirchenvätern bis zum Tridrntinischen Konzil
konzentriert und übersichtlich dar, um daran anschließend
die gegenwärtige Problemsituation zu analysieren
(Introduction: Historical Background and Contemporary
Problems. - S. 1-54).

In drei Hauptteilen (Framework for a Solution, - S. 67
bis 144; Original Sin as historical Situation, - 8. 147-185;
Original Sin as personal Sin, - S. 259-311) untersucht der
Vf. kritisch die von ihm als Situationalismu.s und Personalismus
charakterisierten wesentlichen Strömungen im
modernen Katholizismus, wobei jedoch die Breite der
theologischen Debatte, wie schon die am Schluß des
Bandes aufgeführten zahlreichen Titel ausweisen (Selected
BibHography, - S. 335-350), weithin berfkekaiohtigt wird.

Repräsentativ für die erste Gruppe sind Piet Schoonen-
berg, Karl-Heinz Weger und Karl Rahner. Schoonenberg
sieht das Wesen der Erbsünde darin, daß jeder Mensch,
bevor er eine persönliche Sünde begangen hat, in eine
Situation hineingeboren wird, in der er sich bereits als
Sünder vorfindet und die seine Freiheit determiniert
(,,.. .the Situation is determinative for freedom: although
the Situation determines the content of a free decision,
it... qualifies freedom - namely, as ,situated freedom'." -
S. 76).

Schoonenberg, Rahner und Weger sehen im peccatum
originale originatum einen Mangel (Privation) an (heiligmachender
) Gnade, oder anders gesagt, das Fehlen eines
übernatürlichen Existentials. Bei Rahner, dem die größtmögliche
Synthese von Freiheit und geschichtlich determiniertem
Situiert-sein gelingt, korrespondiert das Exi-
stential der Gnade dem Mangel derart, daß Vandervelde
im Hinblick hierauf feststellt: „So unseparated are nature
and grace concretely, that even grace never exists by
itself... grace exists only as a qualification, as a deter-
mination of nature or person" (S. 121). In ähnlicher Weise
ist für Schoonenberg Gnade „,the communicate transcen-
dent'" (ebd. zit.). Den Widerspruch, der dadurch entstehen
muß, daß das Moment der Freiheit die Einheit von
Natur und Gnade in Frage stellt, versuche man zu lösen,
indem man den konkreten Empfang der Gnade als eine
sich evolutionär vollziehende Selbstüberschreitung des
Menschen interpretiere.

Eine Fülle weiterer Fragen, die in der heutigen Debatte
eine Rolle spielen, wie etwa die des Monogenismus (der
von den Situationalisten cleminiert wird, bzw. der bereits
weithin durch den Polygenismus abgelöst zu sein scheint)
oder der Konkupiszenz (von Rahner und Schoonenberg
als Existential postlapsarischer Freiheit angesprochen)
werden relativ kurz behandelt. Ausführlicher geht der Vf.
auf den ekklesiologischen Fragenkomplex ein. Nachdem
es sich auch für die modernen Interpreten des Erbsündendogmas
offensichtlich so darstellt, daß die Verwirklichung
der Gnade nur innerhalb der sakramentalistischen Kirche
möglich ist (das ungetaufte Kind ist Teil der sündigen
Welt, weil es nicht zur Kirche gehört und folglich keinen
Anteil an der durch Christus vermittelten Gnade hat),
müsse gefragt werden, ob etwa der schuldhaft verursachte
Mangel an Gnade und die Existenz der Kirche in noeti-
scher Hinsicht notwendig einander korrespondieren. Inwiefern
aber ändert sie etwas im Blick auf die Erbsünde?
Kann sie den Menschen aus seinem Situiert-sein in Sünde
herausreißen, ohne ihn aus dieser Welt zu nehmen? Sie
kann es offenbar nicht, weil die Ermangelung der Gnade
existential verstanden wird (,,...that is impossible, for if
the situational privation of grace is truly an Existential,
it is an interior determinant of man. To leave it behind
would be to leave the world" (S. 225).

Die personalistische Interpretation, vertreten durch
A. Vanneste und Urs Baumann, stellt nach Vandervelde
gleichfalls vor eine Reihe von Problemen. Die Position
von Vanneste ist nach Meinung der Rezensentiii etwas
verkürzt wiedergegeben, indem unterstellt wird, daß die
von ihm behauptete Universalität der Sünde in einem
falschen Geschichtsverständnis lediglich auf der Summe
individueller Entscheidungen beruhe. Angesichts dieser
Kontingenz müsse freilich auch Vanneste seine anthropologische
Ausgangsposition theologisch überhöhen. Daß
Vanneste dabei die Frage von Freiheit, Schuld und Verantwortung
nicht restlos zu klären vermag, liege offenkundig
in seiner radikalem Ablehnung von der Notwendigkeit
der Sünde.

In der Sicht von Vandervelde nihert sieh Urs Baumann
am weitesten einem Verständnis der Erbsünde an, das
deren Tiefendimension berücksichtigt (bezeichnend sei
seine Affinität zu dem protestantischen theologumenon
der „Ursünde"). Adam (als Gattungsbegriff aufgefaßt)
repräsentiere dir jeden Menschen betreffende persönliche