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Ausgabe:

1977

Spalte:

694-697

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Titel/Untertitel:

"ku-Praxis" für die Arbeit mit Konfirmanden; Heft 4: Spiel der Schöpfung 1977

Rezensent:

Kehnscherper, Günther

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693

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 9

694

schäftigt den Religionspsychologen nicht" (170). Dieses
Urteil überrascht, nachdem M-P. zuvor am religionspsychologischen
Ausschluß der Transzendenz Kritik geübt hatte
(33 ff.). Er will Transzendenz nicht ausklammern, sondern
einklammern, d. h. nicht negieren; aber das wollten die
früheren Religionspsychologen zumeist auch nicht. Als Rezensent
muß ich zugeben, daß ich hier den effektiven Unterschied
zwischen Einklammerung und Ausklammerung
der Transzendenz leider nicht verstanden habe.

Die Zusammenfassung im 11. Abschnitt befaßt sich noch
einmal mit der Verhältnisbestimmung von Theologie und
Psychologie, bringt aber nicht viel Neues; denn daß beide
weder synthetisch noch antithetisch, sondern eben dialektisch
sich zueinander verhalten, darin herrscht heute eigentlich
allgemeine Einigkeit. Wie und wo diese Dialektik auftritt
, dafür hat der Vf. umfangreiche und gelehrte Gedanken
entwickelt. Wer an dem theologisch-psychologischen Gespräch
unmittelbar beteiligt ist, wird an M-P.s Konzeption
nicht vorbeigehen können. Ähnliches gilt für den Theologen,
der sich mit den Problemen des Symbols befaßt. Für die
kirchlich-seelsorgerliche Praxis trägt das Buch wenig aus.
„Gerade am Beispiel der Seelsorge läßt sich aber zeigen,
daß psychologisches Verstehen und theologisches Verstehen
unterschieden werden müssen" (182). Leider zeigt der
Autor dies nun gerade nicht. An konkreten Falldarstellungen
oder einzelnen Glaubensaussagen müßte demonstriert
werden, „wie Glaube funktioniert" (158), wenn die psychoanalytische
Symboltheorie sich als ein praktikables religionspsychologisches
Instrument bewähren soll.

Das zweite Buch, das wir hier vorstellen, hat einen erheblich
anderen Charakter, obwohl es ebenfalls von einem
praktizierenden Psychotherapeuten geschrieben ist, aber
eben von einem Vertreter der analytischen bzw. personalen
Psychotherapie, der aus der Schule C. G. Jungs hervorging.
Er verfolgt hier nicht in erster Linie ein wissenschaftliches
Interesse, sondern eher ein weltanschaulich-religiöses;
nicht distanzierte Psychologie, sondern engagierte Psycha-
gogie könnte man als sein eigentliches Anliegen bezeichnen.
Als einer, dem die religiöse Welt von Haus aus fremd war,
will er darlegen, „was ich erlebt und meditiert habe" (XII).
Nichtsdestoweniger nimmt S. den Leser auf einen klaren,
systematisch begründeten Gedankengang mit. Er beginnt
mit der Darstellung des „abrahamitischen" Glaubens nach
Kierkegaards „Furcht und Zittern", den er als die unmittelbare
Gottesbeziehung dem bloßen „Daß-Glauben" (nach
Buber) gegenüberstellt. An Kierkegaards Glaubensverständnis
fasziniert ihn die Paradoxie, daß man die erste
Unmittelbarkeit des Herzensglaubens verlieren muß, um
durch die unendliche Resignation zur neuen, zweiten Unmittelbarkeit
zu gelangen; darin sieht er eine Parallele zum
Geschehen der Individuation. Die Frage nach dem Verhältnis
des unmittelbaren Glaubens zur Religion als Gemeinschaft
beantwortet er folgendermaßen: „,Lebendige Religion
' besteht, so scheint es, zu allen Zeiten in einem sehr
intimen Wechselspiel zwischen dem überlieferten, introji-
zierten, zentralen Glaubensgut einerseits und den ganz persönlichen
Glaubenserfahrungen des einzelnen andrerseits,
so daß ... der .abrahamitische' Glaubenskern immer erhalten
bleibt" (26).

Ein zweites Modell für den Individuationsvorgang wird
aus Jungs „Antwort auf Hiob" entnommen. Das Referat
über dieses eigenwilligste unter Jungs Werken ist sowohl
für den Kenner wie für den Nichtkenner lesenswert. Jung
rede hier nicht eigentlich als empirischer Psychologe, sondern
er arbeite — so die These von S. — an einem neuen
Gottesbild, durch das er dem Menschen der Gegenwart aus
seiner Krisensituation heraushelfen wolle. Der Selbsterkenntnisprozeß
Gottes, den Jung — für den bibeltreuen
Theologen recht absonderlich! — in der Auseinandersetzung
mit Hiob vor sich gehen sieht, endet mit der Menschwerdung
in Christus. Indem Gott sich im Menschen inkarniert, nimmt
er nicht nur das Fleisch und den Tod an, sondern auch alles
Dunkle und Böse des Menschen. Von da aus ist Jungs Gedanke
einer neuen, das Böse nicht aus-, sondern einschließenden
Ethik ebenso zu verstehen wie seine Forderung
nach der Quaternität als Gottessymbol.

Als ein drittes Modell verwendet S. die Gedanken Jakob
Böhmes über das „Werden Gottes in seiner ewigen Natur".
Im Hauptteil des Buches (59—97) wertet er dann diese und
andere geistesgeschichtliche Parallelen aus und macht sie für
das Verständnis der Individuation fruchtbar, also für den
individuellen Weg der Bewußtseinsentwicklung, der Ich-
Werdung und der Selbst-Verwirklichung. Krisen der Angst,
der Aggression, des Dämonischen (hier im Sinne Piatos bzw.
Goethes), der Schuld und der Entfremdung sind dabei mehr
oder weniger unvermeidliche Stationen auf dem Wege, der
den Menschen nicht nur nach innen, sondern auch nach
außen führt. Darin soll die Individuation „ihren eigentlichen
Sinn erweisen: daß sie den einzelnen, der so lange
sich ,sperrte', nur für sich selber vorhanden war, in die Gemeinschaft
hineinführt, um ihn im verstehenden Verkehr
mit den anderen am ganzen Leben teilnehmen zu lassen"
(67).

Da die Gestalt Jesu Christi nach Jungs Ansicht für den
abendländischen Kulturkreis ein Symbol des Selbst darstellt
, kann S. „Christus als das Tor" (76) zur Individuation
bezeichnen. Der Mensch, der durch Schuld, Angst und Krisen
hindurch seiner eigenen Bestimmung folgt, d. h. nach
der unmittelbaren Gottesbeziehung sucht, „begegnet Gott
in der Person Christi und über sie" (82). Als Gründe für die
Bedeutung Christi nennt der Vf. 1. daß er das Leid tragen
und überwinden hilft, 2. daß an ihm die uneingeschränkte
göttliche Liebe erfahren wird und 3. daß die Menschlichkeit
Jesu eine erneuerte menschliche Gemeinschaft zu schaffen
vermag (vgl. 94 f.). Neben dieser christlichen Form des individuellen
Glaubens und der schon erwähnten „abrahamitischen
" erörtert S. auch die pantheistische und die „Gottesbeziehung
des freien Geistes".

Wir können auf die reichhaltigen philosophisch-theologischen
Beziehungen, die der Vf. explizit oder implizit in
seine Abhandlung aufgenommen hat, ebensowenig eingehen
wie auf den angefügten Vortrag über „Individuationsprozeß
und Teschuwa (Umkehr)", der das Thema des Buches noch
einmal unter anderen Aspekten und kürzer gefaßt darbietet.
Manches wird dem kritischen Leser sehr spekulativ und
dem Theologen recht heterodox oder gnostisch vorkommen.
Diese Mischung aus Psychologie und Theosophie, aus humanistischem
und christlichem Ideengut dürfte nicht nach jedermanns
Geschmack sein. Aber das ernste Anliegen, die
Sorge um das psychische Wohl des einzelnen Menschen und
das geistige Schicksal einer künftigen Menschheit, fordert
unseren Respekt. Der theologische Fachmann darf diese
Sorge nicht als seine alleinige Kompetenz betrachten und
sollte gerade auf die „Laien" aus den Reihen der Humanwissenschaftler
hören, zumal wenn es so belesene und im
Umgang mit Menschen so erfahrene Gesprächspartner sind
wie der Autor. Die christliche Theologie hat in der Geschichte
oft von ihren nicht-professionellen Vertretern, die
die gewohnten Bahnen des Denkens verließen, die fruchtbarsten
Impulse empfangen. Warum sollte es heute anders
sein?

Rostock Ernst-Rüdiger Kiesow

KATECHETIK UND
RELIGIONSPÄDAGOGIK

ku-Praxis" für die Arbeit mit Konfirmanden. Heft 4: Spiel
der Schöpfung. Von K. Meyer zu Uptrup, mit Bildblättern
von K. Hartmann. 63 S. m. Abb. u. 24 S. Materialien.
Heft 5: Motivation. Anfangsphase im Konfirmandenunterricht
. 79 S. m. Abb., Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus
G. Mohn [1975]. 4°. Je DM 10,80, Arbeitsheft „ku-Materia-
lien" 4. DM 2,50.