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Ausgabe:

1977

Spalte:

650-653

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schmitt, Rainer

Titel/Untertitel:

Exodus und Passah, ihr Zusammenhang im Alten Testament 1977

Rezensent:

Reventlow, Henning

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649

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 9

650

In diesem Sammelband sind vierzehn aus den Jahren 1958
bis 1973 stammende Aufsätze und Festschriftbeiträge des
Tübinger Alttestamentlers vereinigt; dem letzten ist ein
Nachtrag zugefügt, der bisher unveröffentlicht war. Unter
den Titel „Vom Sinai zum Zion" lassen sich dann, wenn
man beim Wortverständnis dieser geographischen Begriffe
bleibt, allenfalls vier oder fünf dieser Aufsätze subsumieren
— einmal mehr ein Zeichen dafür, daß Titel von Aufsatzsammlungen
und Festschriften meist eher ästhetischen Bedürfnissen
genügen, als daß sie eine Sachinformation geben.

Beginnen wir mit den auf diesen Titel bezogenen Aufsätzen
. G. macht in einem 1967 erschienenen Aufsatz „Bemerkungen
zur Sinaitradition" (31—48) Front gegen bestimmte
seit Noths überlieferungsgeschichtlichen Arbeiten gängig
gewordene Auffassungen. Die Sinaitradition ist alt. In ihr
haften sowohl Jahwe wie auch Israel — dieses in der mit
dem „Israel" der Merneptah-Stele identischen Gestalt der
sechs Lea-Stämme. Auch Mose hat seinen ursprünglichen
Ort im Sinaigeschehen. Die von diesem zu trennende Exodustradition
setzt die Sinaiüberlieferung bereits voraus. Das
Sinaigeschehen wird auch schon sehr früh, weit vor J, in die
Geschichtsdarstellung einbezogen.

Unter einer in griechischer Sprache gehaltenen Uberschrift
, Zitat aus Gal 4, 25, verhandelt G. Probleme der Lokalisierung
des Sinai (49—62). Den „historischen" Sinai
möchte er im nordwestlichen Arabien suchen.

Der Dekalog, über dessen „Ganzheit" im nächstfolgenden
Beitrag (63—80) verhandelt wird, konstituiert nach G. jenen
Schalom-Zustand, in dem sich Israel als Empfänger der
Jahweoffenbarung befindet. G. vermutet eine ursprünglich
paarweise Anordnung der Gebote und versucht solches an
Ex 20 nachzuweisen; paarweise Ausformung bedeute Vollständigkeit
.

Schließlich ist der Titel des Sammelbandes noch im Blick
auf den Aufsatz „Der Davidsbund und die Zionserwählung"
(113—129) zu rechtfertigen. Auch hier findet sich G. im Gegensatz
zu einer gängigen These: 2Sam 7, oft als locus
classicus der davidischen Dynastieverheißung angesehen,
gehört zeitlich erst in die Nähe des Deuteronomiums. Auch
von einem sog. Grundbestand (V. IIb. 16), der dann sehr viel
älter wäre, ist nichts zu erkennen. Im übrigen ist die Dynastieverheißung
viel enger an den religiös-kultischen Vorgang
der Lade-Aufstellung auf dem Zion heranzubinden,
als es gemeinhin geschieht.

Die übrigen Beiträge bewegen sich weniger zwischen den
beiden Brennpunkten „Sinai" und „Zion", vielmehr zwischen
dem Paradies der Genesiserzählungen und dem Gewordensein
eines beide Testamente umfassenden Kanons,
der erst eine biblische Theologie ermöglicht.

Nicht alle diese Aufsätze können aus Raumgründen besprochen
werden. Es seien vorzugsweise die genannt, bei
denen ein allgemeineres Interesse anzunehmen ist:

In dem Beitrag „Geschichtliches Denken im Alten Orient
und im Alten Testament" (81-98) differenziert G. stärker
zwischen den einzelnen altorientalischen Geschichtsauffassungen
, soweit solche erkennbar sind. Vor allem aber werden
diese von der Geschichtssicht des Alten Testaments abgehoben
, die vom Schema Verheißung-Erfüllung bestimmt
sei.

In „Natus ex virgine" (130—146) ist die neutestamentliche
Uberlieferung von der Jungfrauengeburt Ausgangs- und zugleich
Zielpunkt. G. versucht herauszuarbeiten, was Lukas
und Matthäus mit ihren einschlägigen Aussagen intendieren
. Daneben werden die (angeblichen) Belegstellen des
Alten Testaments behandelt und nacheinander auf ihren
eigentlichen Aussagegehalt hin abgehorcht.

Nach „Psalm 22 und das Neue Testament" (180-201) sind
Einkleidung des Berichts über Leiden und Tod Jesu wie
auch das Abendmahl vom Ganzen des Ps 22 her zu verstehen
, an dessen Ende apokalyptische Theologie zum Zuge
komme: Die sich am Einzelnen vollziehende Errettung aus
der Todesnot ist die Einbruchsstelle der Gottesherrschaft.

In dem Aufsatz „Anfang und Ende der Apokalyptik, dargestellt
am Sacharjabuch" (202-230) möchte G. die Nachtgesichte
des (Proto)sacharja als eigentlichen Beginn apokalyptischer
Literatur deklarieren. Gegen von Rad wird festgestellt
: Apokalyptik ist in erster Linie Fortbildung der Pro-
phetie. Sie darf auch nicht als Randphänomen betrachtet
werden, sondern gehört zu dem, was die Mitte des Alten
Testaments ausmacht. In der Kennzeichnung des Messias
als Märtyrer durch Tritosacharja hat dann die Apokalyptik
ein gewisses Endstadium erreicht. Ein Nachtrag (231—238)
geht näher auf die Hirtenallegorie bei Deuterosacharja ein.

Auf das weitestgehende Interesse, aber auch den entschiedensten
Widerspruch dürfte jener 1970 in der ZThK veröffentlichte
Beitrag stoßen, mit dem der Band eröffnet wird:
„Erwägungen zur Einheit einer biblischen Theologie" (11
bis 30). Die Traditionsbildung im Alten Testament, ungeachtet
aller Brüche ein Kontinuum, wird durch die Tradition
vom neutestamentlichen Geschehen zu Ende geführt. Der
Behauptung, zwischen Altem und Neuem Testament bestehe
ein Bruch, muß der Hinweis auf die vielerlei Brüche
innerhalb des alttestamentlichen Traditionsprozesses entgegengehalten
werden. Die von G. vertretene Behauptung
einer einzigen biblischen Traditionsbildung läßt die prekäre
Frage nach der christlichen Interpretation des Alten Testaments
als gegenstandslos erscheinen. Nicht das Alte Testament
hat sich vor dem Neuen zu rechtfertigen, sondern das
Neue Testament bezieht sich auf das Alte zurück. Liegt das
Hauptgewicht auf Traditionsbildung, so heißt das auch:
Nicht ontologische Strukturen als solche stehen im Mittelpunkt
einer biblischen Theologie, vielmehr ein Prozeß, in
dem die Offenbarung das jeweils Vorfindliche transzendiert.
Auf einem Wege, den auch nur in Kürze hier nachzuzeichnen
unmöglich ist, kommt G. schließlich zu teilweise sehr
anfechtbaren, teils auch änigmatisch anmutenden Sätzen
wie diesen: „Das Neue Testament an sich ist unverständlich,
das Alte Testament an sich ist mißverständlich. Das neu-
testamentliche Geschehen hat die alttestamentliche Traditionsbildung
notwendigerweise abgeschlossen, d. h., jetzt war
erst ein Ganzes entstanden. ... Die Offenbarung ist ein Prozeß
, und nur im Ganzen ist der Prozeß zu greifen. Der
Offenbarungsprozeß setzt einen ontologischen Prozeß, der
sich in dem Ereignis von Tod und Auferstehung Jesu vollendet
, in welchem die Grenzen von Sein und Nichtsein fallen
. Das Sein wird, und die Wahrheit ist geschichtlich geworden
" (30).

Die bisher nicht genannten Aufsätze seien wenigstens
nach ihrem Titel aufgezählt:

Der bewachte Lebensbaum und die Heroen: zwei mythologische
Ergänzungen zur Urgeschichte der Quelle J (99 bis
112);

Zur Geschichte der Kultsänger am zweiten Tempel (147
bis 158);

Die Entstehung der Büchereinteilung des Psalters (159 bis
167);

Die Krisis der Weisheit bei Kohelet (168-179).

Diese Titel- und Themenreihe erweist: Auch wer — anders
als der Vf. — von einer Einheit biblischer Theologie nicht zu
sprechen vermag, wird doch dankbar anerkennen, daß
manche Theologenpersönlichkeit durch die Weite ihrer Forschungsarbeit
eine solche Einheit in persona verkörpert. Zu
solchen gehört G. ohne Zweifel hinzu.

Münster/Westf. Franz Hesse

Schmitt, Rainer: Exodus und Passah. Ihr Zusammenhang
im Alten Testament. Freiburg/Schweiz: Universitätsverlag
; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1975. 112 S. gr.
8° = Orbis Biblicus et Orientalis. Im Auftrag des Biblischen
Institutes der Universität Freiburg Schweiz hrsg. v.
O. Keel u. B. Tremel, 7. sfr. 16.-.

Die kleine Studie des bereits durch seine Münsteraner
Dissertation: Zelt und Lade (Gütersloh 1972)' bekannt gewordenen
Verfassers sucht das Verhältnis zwischen Aus-