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Ausgabe:

1977

Spalte:

432-436

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Nissen, Andreas

Titel/Untertitel:

Gott und der Nächste im antiken Judentum 1977

Rezensent:

Schäfer, Peter

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 6

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anderen Stellen der LXX. Gelegentlich ist wohl aramäischer
Einfluß bei dem Übersetzer oder etwaigen Mitarbeitern anzunehmen
. Die Wortfolge scheint weithin dem hebräischen
Gebrauch zu entsprechen. Doch überliefert gerade die wohl
älteste Textform eine mehr dem Griechischen genugtuende
sprachliche Ordnung in den Sätzen. Die verschiedenartige
Wiedergabe der zahlreichen Eigennamen könnte eine Eigenart
des Übersetzers mit seinem häufigeren Wechsel zwischen
wörtlicher und freier Behandlung des Textes sein. Die Frage
der ,kaige'-Rezension bzw. einer proto-Theodotion-Rezen-
sion bleibt offen. Wenn G die älteste erreichbare Textform
darstellt, so ist es bedeutsam, ihre Veränderungen möglichst
genau zu verfolgen. Das Material dafür wird in den nächsten
Abschnitten bereitgestellt und sachlich behandelt. Im
Schlußabschnitt des ersten Teils des Werkes wird die An-
gleichung an sachlich verwandte, ähnliche Texte behandelt.
Dabei ist zu fragen, ob nicht vielmehr die Identität der Texte
ursprünglich ist. Aber die Vergleichstexte sind verschiedenartig
, und die gegenseitigen Beeinflussungsmöglichkeiten sind
mannigfach und erschweren eine sichere Beurteilung und
klare Entscheidung. Hat der Übersetzer der Par die Bücher
Kön gebraucht, und welche Verbindungen bestanden etwa
schon zwischen Chron und Kön? Anzeichen der Verbundenheit
sind von verschiedenen Seiten in verschiedener Weise
herausgearbeitet worden. An sich könnten die Angleichun-
gen bereits auf der hebräischen Ebene stattgefunden haben.
Der Übersetzer wird in jedem Fall auf schon vorhandene
Vorlagen zurückgegriffen haben. Soweit möglich sind solche
Angleichungen auf hebräischem und auf griechischem Gebiet
nachgewiesen worden. Dabei sind die Beispiele griechischer
Angleichung genau behandelt worden. Gelegentlich
läßt sich feststellen, daß die hebräische Vorlage des Übersetzers
von Par dem HT von Sam Kö vorher angeglichen
war. Kein Text ist sicher vor der Angleichung an Parallelen.

Der 2. Band des Werkes ist auf den MT ausgerichtet. Der
Weg der Forschung führt durch die Verderbnisse der hebräischen
wie der griechischen Texte und die zahlreichen,
z. T. recht verschiedenartigen Versuche, ihn zu bahnen. Anlage
und Aufbau entsprechen den im 1, Teil geschaffenen
Voraussetzungen, und die Arbeitsweise ist die gleiche. Die
Textänderungen im Griechischen, Ersetzung, Hinzufügung
und Auslassung werden zunächst besprochen. Es folgen die
textlichen Änderungen im Griechischen oder Hebräischen
unter den Stichworten: Angleichung, Nichtbeachtung, Umstellung
. Weiter werden Änderungen behandelt, die auf verschiedene
Vokalisaüon, Punktierung und Vokalbuchstaben
im HT zurückgehen. Im 4. und 5. Kapitel geht es um die Unstimmigkeiten
zwischen der rekonstruierten Vorlage von
Par und dem MT. Die Fehler liegen in den meisten Fällen
an der Vorlage. Doch hat diese auch manchmal den besseren
Text als MT. Darin liegt der Wert der Chron-LXX für die
Arbeit am MT, namentlich auch, wenn es sich um hebräische
Abbreviaturen handelt, die durch G gedeutet werden
können. Auch sonstige Veränderungen im HT kommen vor
and werden im einzelnen behandelt. Die verschiedenen Arten
und Möglichkeiten sind im allgemeinen schon aus dem
i. Teil bekannt, und im übrigen ist die Arbeit am HT darauf
gerichtet (u. a. ist hier wieder auf die Bemühungen von
Wutz verwiesen). Auch hier ist das Material sinngemäß geordnet
. Weiter werden Glossen je nach ihrem ändernden
oder erklärenden Sinn untersucht, wie sie sowohl in der
Vorlage von G als auch im MT selbst sich finden. Besonderes
Interesse dürften auch die gleichbedeutenden Ausdrücke in
der Vorlage und im HT verdienen, so daß z. B. Jahwe und
Elohim abwechseln. Ebenso ist es mit unterschiedlichen Namensformen
in den beiden Textgruppen. Andere Varianten
erklären sich manchmal als Versuche, einen unverständlichen
Text zu verdeutlichen. Weiter finden sich Zufügungen
und Auslassungen von gängigen Füllworten und auch einzelnen
Buchstaben. Zu I 16, 32 fragt der Vf., ob die Variante
mit ,Holz' Anlaß geben könnte, an Ps 96/95, 10 nach Justins
Lesart zu denken. Eine solche Fragestellung macht anschaulich
, welche sachlichen Folgen u. U. Varianten wie das Fehlen

eines Buchstabens haben können. Auch die Auslassung
I 22, 18 „Euer Gott" ist, wenn man so will, von sachlich
theologischer Bedeutung. Bei der Frage nach der Schrift der
Vorlage bezieht sich der Vf. u. a. auf J. Fischer, Das Alphabeth
der LXX-Vorlage im Pentateuch, 1924 (vgl. Ders. zu Isaias
1930)

und beschreibt danach die dieser sich entwickelnden Quadratschrift
eigentümlichen Fehler. Die photomechanische
Wiedergabe von vier Schriftarten ermöglicht dem Leser eine
eigene Stellungnahme. Nach der Ansicht des Vfs. war die
Vorlage von Par in einer halbkursiven Schrift geschrieben.
Nach sachverständigem Urteil, das der Vf. übernimmt, ist
der überlieferte Text der Chron in recht guter Verfassung.
Die LXX kann nicht weiterhelfen, da ihr Text von einem
Ms stammt, das im Grunde mit unserem HT übereinstimmt.
Der Vf. ist derselben Meinung: Der Prototyp von G spiegelt
den HT wider. Das ist mehr, als viele erwarten. Trotz der
eingedrungenen griechischen Verderbnisse und der Eigenheiten
des Übersetzers und seiner Flüchtigkeitsfehler ist der
Text leicht mit dem des MT übereinzubringen, besser, als
die Benutzer des Apparates der BH erwarten würden. Par
aber bietet uns seinerseits einen Text, der, gewissermaßen
eingefroren erhalten, ein wertvoller Zeuge des Zustandes des
HT im 2. Jh. v. Chr. in Ägypten sein dürfte.

So sei dem Vf. gedankt für seine mühevolle Arbeit. Er hat
damit ein Werk geschaffen, das grundlegende Bedeutung
behalten wird für alle weitere Beschäftigung mit Chronika
und den Paralipomena. Auch dem Verlag sei gedankt, der
dem Werk in bekanntem Rahmen eine würdige Ausstattung
verliehen hat.

Fernwald 2 Annerod Georg Bertram

NEUES TESTAMENT

Nissen, Andreas: Gott und der Nächste im antiken Judentum
. Untersuchungen zum Doppelgebot der Liebe. Tübingen
: Mohr 1974. XVI, 587 S. gr. 8° = Wissenschaftl. Untersuchungen
zum Neuen Testament, hrsg. v. M. Hengel,
J. Jeremias, O. Michel, 15. Lw. DM 115,—.

Das Gesetzesverständnis Jesu — und hier insbesondere die
Verknüpfung der beiden Zitate aus Dt 6, 4 f. und Lev 19, 18
im sog. Doppelgebot der Liebe Mk 12, 30 f. parr. — steht seit
neustem zunehmend im Mittelpunkt der theologischen Diskussion
. Nach dem umfangreichen Werk von K. Berger, „Die
Gesetzesauslegung Jesu. Ihr historischer Hintergrund im
Judentum und im Alten Testament, Teil I: Markus und Parallelen
", Neukirchen-Vluyn 1972 (= WMANT, 40), hat jetzt
A. Nissen ein ebenso monumentales Opus vorgelegt, das
freilich mit ganz anderen Methoden und von völlig anderen
Voraussetzungen her arbeitet und argumentiert als Berger.

Nissen, einem Schüler von W. G. Kümmel, ging es ursprünglich
darum, „dem Doppelgebot der Liebe im antiken
Judentum und bei Jesus nachzuforschen", doch weitete sich
diese „gezielt-begrenzte Fragestellung" sehr bald aus „zu
der Frage nach der ein solches Gebotspaar hervorbringenden
und tragenden Gesamtwirklichkeit des Gottes- und des
Menschenbildes, des zwischen Schöpfung und Erlösung gespannten
Offenbarungsgeschehens und des Gottes- und
Nächstenbezuges des gottgerufenen Menschen überhaupt"
(S. V). Eine so weitgespannte und grundsätzliche Themenstellung
ließ es allerdings ratsam erscheinen, das Tkema auf
seinen „jüdischen Teil" zu begrenzen und auf die „Fortführung
in das Zielgebiet der Botschaft Jesu" wenigstens vorläufig
zu verzichten.

Nach einer Einleitung, in der die gestellte Aufgabe sowie
die Methoden und Quellen der Arbeit umrissen werden,
folgt die Entfaltung des Themas in drei großen Hauptteilen.
Der erste Hauptteil (S. 42—98) ist dem Themenkreis der
„Offenbarung und Erwählung" gewidmet und versucht insbesondere
herauszuarbeiten, daß der „Doppelheit von Uni-