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Ausgabe:

1976

Spalte:

917-920

Kategorie:

Judaistik

Titel/Untertitel:

The synagogue 1976

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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ist allzu summarisch, es ist eben nicht möglich, die Fäden
so direkt von der Antike in die Gegenwart hineinzuziehen.

2. „Sternglaube und Gottesglaube im Judentum" (S. 26—43)
und 3. „Die göttliche Yorhcrbeslimmung nach rabbinischem
Glauben" (S. 44—57) berühren sich inhaltlich weitgehend.
Der — dogmatische — Ansatz von der grundsätzlichen Unvereinbarkeit
zwischen Sternglauben und Gottesglauben, vom
Vf. sehr betont, wird dem religionsgeschichtlichen Verlauf
aber schwerlich gerecht, weder was die älteste Phase betrifft
(die gewiß nicht erst mit der assyrischen Herrschaft
anzusetzen ist, sondern im kanaanäischen Erbe) noch für
das spätere Judentum, denn im Mittelaller wird die Frage
erst theologisch voll ausdiskutiert. Zu kurz kommt auch die
magische Komponente, die ebenfalls die Grenzen zwischen
Sternglauben und Gottesglauben verfließen läßt, etwa auch
die zwischen Beschwörung und Gebet. Der Vf. ging wohl zu
sehr von einem bibcltheologischen Idealbefund aus, an dem
er alles Spätere mißt.

4. „Freude am Gesetz" (S. 58—70), erbringt eine bedeutsame
Korrektur des üblichen Schema tischen Gegensatzes Gesetz
— Evangelium. Der Vf. geht von Thora als „Weisung"
im Pentateuch aus und unterscheidet dies von der Halacha,
dem eigentlichen Gesetz, so eine Thorafrömmigkeit konstatierend
, die mehr ist als die üblicherweise behauptete Gesetzlichkeit
. So treffend dies auch ist, es wäre eine noch
weitere Fassung des Thora-Begriffes möglich (vgl. M. Limbeck
, Die Ordnung des Heils, Düsseldorf 1971) und von daher
auch eine Infragestellung der These, die Thora als Heilsweg
des Einzelnen zur Zeit des NT wäre ein Mißverständnis
der Thorafrömmigkeit gewesen. So etwas kann doch nur
als christliches Bekenntnis, nicht als religionsgcschichtliche
Feststellung formuliert werden.

Aus judaistischer Sicht erscheinen die lehrreichen Vorträge
demnach doch zum Teil sehr stark von christlich-apologetischen
Motiven geprägt zu sein, außerdem von einer —
durch die Voraussetzungen des Vf.s bedingten — Uberbewertung
des antiken Judentums im Rahmen des Gesamtphänomens
Judentum. Dabei mag eine Rolle spielen, daß
die neuere judaistische Fachliteratur offensichtlich unzugänglich
war. Gleichwohl wird jeder interessierte Theologe
in dem Heft wertvolle Informationen finden. Erklärungen
und Angaben zur rnbbinischen Literatur S. 71—75 schließen
diese nützliche Publikation ab.

Köln Johann Maier

Gulmann, Joseph: The Synagogue: Studics in Origins,
Archaeology and Arcliitecturc, selectcd with a Prolegomcnon.
New York: KTAV Publishing House [1975]. XXXI, 359 S.
m. Abb. gr. 8° = The Library of Biblical Studies, ed by
H. M. Orlinsky. Lw. $ 25,-.

Die Synagoge ist nicht nur eine der ältesten der in der
Gegenwart bestehenden religiösen Institutionen der Menschheit
, Fragen ihrer Herkunft und Geschichte haben auch die
Forschung in den letzten Jahrzehnten verstärkt angezogen.
Die zu neuer Blüte gelangle Judaistik, zu der neben jüdischen
Gelehrten aus drei Weltteilen auch christliche Theologen
beigetragen haben, fand hier einen Gegenstand, der
mehr als nur fachwissenschaftliches Interesse erwecken konnte
. Der anzuzeigende Sammclband, der 19 Studien aus vier
Jahrzehnten vereint, läßt die Vielfalt der auf diesem Felde
liegenden Möglichkeiten erkennen. Ein informatives Werk,
in der Anlage dem verwandt, was im deutschsprachigen
Raum mit der Reihe „Wege der Forschung" versucht wurde1.
Eine profilierte Auswahl: der Eigenart des Herausgebers
Joseph Gutmann, Professor für Kunstgeschichte an der
Waync State University Detroit, der außer dem Vorwort
mit einem Heitrag zur Forschungsgeschichte „The origin of
the Synagogue: The current State of Research" (S. 72—76)
und einer Studie über die Malerei von Dura Europos (S.
210—232) vertreten ist, entsprechen die Schwerpunkte des

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Dargebotenen; neun Beiträgen zur Archäologie der Synagoge
stehen je fünf zum Ursprung und zur neueren Architekturgeschichte
gegenüber. Ein aktueller Band: die Mehrzahl
der versammelten Studien stammt aus den 70er (7!
und 60er (5) Jahren, nur vier sind vor 1950 entstanden. Sie
sind mit Ausnahme der beiden Aufsätze des Tübinger Neu-
testamentlers Martin Hengel in englischer Sprache gehalten.

Der erste, dem Ursprung der Synagoge gewidmete Teil
wird mit zwei kontroversen Beiträgen eröffnet, die zu diesem
Gegenstand vor 50 Jahren in den Proceedings of the
American Academy for Jewish Research erschienen sind.
Während Louis Finkelstein (1,1928-1930,49-59) eine Linie
von den in prophetischer und exilischer Zeit sich konstituierenden
Gebetsversammlungen zu den zuerst als bet ha
midrasch bezeichneten Synagogen der Hasmonäcrzeit glaubt
ziehen zu können, sieht Salomon Zeitlin (2,1930/31,69—81)
in der Synagoge ein Geschöpf des Pharisäismus, in dessen
Zeichen es zur Verschmelzung der profanen Volksversammlung
und der religiösen maamadot kam (S. 3—26). Einen
nicht minder eindeutigen Akzent setzt M. Hengel in der bereits
früher in der ThLZ kurz vorgestellten Studie „Proseuche
und Synagoge"2 mit dem Nachweis, daß proseuche die von
Ägypten ausgehende Bezeichnung des Gebäudes im Diasporajudentum
war, während Synagoge als Ubersetzung der
typisch palästinensischen Benennung zu gelten habe. Er
unterstreicht, daß die Synagoge in der Diaspora älter ist als
in Palästina, wobei siel» der sakrale Charakter erst nach der
Tempelzerslörung entwickelte (S. 27—54).

In Sidney Hoenigs Aufsatz „The supposititious Temple-
Synagogue" (zuerst JQR 54, 1963, 115—131) erfährt die bis in
unsere Zeit hinein vertretene Ansicht von Synagogen innerhalb
des Tempelbezirks3 eine gründliche Widerlegung. Keiner
der dafür angeführten Belege (aus der tannaitischen Literatur
) vermag einer kritischen Prüfung standzuhalten (S.
55—71). J. Gutmann, dessen Interesse bei der archäologischen
Seite liegt und der in der Frage der Herkunft Zeitlin
nahesteht, kommt zu dem Resultat, daß die bauge-
schichtliehen Zeugnisse, die erst mit der Wende vom 2./3. Jh.
n. Chr. einsetzen, die Verwurzelung der Institution innerhalb
des Judentums über 100 Jahre nach der festen Etablierung
als offizieller Ort des Gottesdienstes und mehr als
300 Jahre nach ihrem ersten Auftreten beweisen'1.

Die zweite Gruppe ist grundsätzlichen Aspekten und Ein-
zelgegcnständen im Umkreis der synagogalen Archäologie
gewidmet. Um die Haltung des rabbinischen Judentums zu
den Bildern geht es bei Joseph M. Baumgarten, „Art in the
Synagogue: Somc Talmudic views" (zuerst Judaism 19, 1970,
196—206). Er bleibt nicht bei dem oft bemerkten Widerspruch
zwischen den bilderfeindlichen Vorschriften und einer
bis in die Nähe des Heidentums führenden Praxis stehen,
sondern steuert wichtige Beobachtungen bei: den Zusammenhang
zwischen größerer Toleranz gegenüber den Bildern
und Offenheit für die griechische Kultur überhaupt bei einzelnen
Rabbinen, die Einordnung der Kritik an der Ornamentik
als Teil der amoräischen Polemik gegen die tiberia-
nischen Patriarchen. Fraglich bleibt, ob die Durchsetzung
der strengen Richtung mit dem Islam zu tun hat, in ihr
nicht vielmehr eine genuin alttestamentliche Linie zur Geltung
kam (S. 79—89). Es war eine gute Wahl, aus der großen
Zahl der Besprechungen zu Goodennugh, „Jewish Symbols
"'' die Rezension von Morton Smith (JBL 86, 1967,
53—68) noch einmal abzudrucken. Mit ihrer abgewogenen
Kritik am Symbolbegriff und an der exzessiven Heranziehung
der philonischen Allegorik bei gleichzeitiger Würdigung des
in diesem (I2bhndigen) opus magnum erschlossenen Verständnis
der Symbole als Dokumente der jüdischen Volksreligion
, die unterhalb der im Rabbinismu8 reflektierten
Stufe liegt, stellt dieser Bericht selbst ein Meislerwerk dar
(S. 194—209). Unvergeßlich prägt sich das Urteil ein: „Co-
1 u inbus failed. bttl his failure revealed a new world" (207).

Aus der Vielzahl der Einzelgegenstände synagogaler Archäologie
hat der Herausgeber zwei der wichtigsten heraus-

Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 12