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1976

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Systematische Theologie

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r,r,

Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 1

16

überbietbare Solbstoffenbarung" Gottes hin nicht
schon von der Tatsache der Schöpfung her notwendig
ist (215n. 130). Doch scheint es mir terminologisch
verwirrend zu sein, die „Schritte" der Offenbarungsgeschichte
selbst wieder als Offenbarungen zu bezeichnen
, wenn Offenbarung im strengen und definitiven
Sinne Selbstmitteilung bedeuten soll. Es empfiehlt
sich dann, von diesen „Schritten" in allgemeineren
Ausdrücken wie „Selbstbekundung" oder „Manifestation
" zu sprechen, die nicht das Moment der Endgültigkeit
implizieren. Allordings lassen sich Selbstbekundung
und Selbstmitteilung nicht von vornherein
scheiden und auf verschiedene Ereignisse verteilen:
Weil menschliche Existenz nicht vollziehbar ist, ohne
Wahrheit in ihrer Endgültigkeit immer schon in
Anspruch zu nehmen, geht es in aller Erfahrving göttlicher
Selbstbekundung vom Menschen wie von Gott
her immer schon um Offenbarwerden, um Endgültigkeit
, und erst der Fortgang der Geschichte pflegt zu
zeigen, daß noch nicht endgültig war, was schon als
Offenbarung genommen wurde.

München Wolfhart Pannenberg

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Philips, Gerard, Prof.: L'Union personelle avec lc Dieu
vivant. Essai sur l'origino et le sens de la gräce creöe.
Gembloux: Duculot [1974]. 299 S. gr. 8° = Bibliotheca
Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium, XXXVI.
FB. 900.—.

Die letzte große Arbeit des vor wenigen Jahn n
verstorbenen Löwener katholischen Theologen G.
Philips, aus dem Nachlaß von seinem Kollegen J.
Coppens und dem Bischof von Hasselt J.-M. Heuschon
herausgegeben, umfaßt einen erstaunlich weiten Zeitraum
. Sie beginnt mit einer Besinnung über das AT
und NT, leitet dann zu den wichtigsten patristischen
Theologen der lateinischen und griechischen Kirche,
Augustin und den Vorscholastikern über und erreicht
darauf bei der Analyse der Meister der Hochscholastik
im allgemeinen und Thomas von Aquinos im besonderen
ihren Höhepunkt. Sie geht aber weiter zu den Spätscholastikern
, befragt kritisch Luther und deutet die
Aussagen des Tridentinums als notwendige katholische
Antwort auf die Unzulänglichkeiten und Irrtümer
seiner Theologie. Sie gibt einen Überblick über
die unterschiedlichen Positionen der nachtridentinischen
katholischen Theologie, wirft einen Seitenblick auf
Gregor Palamas als ostkirchlichen Theologen und
beschäftigt sich endlich kritisch mit einzelnen bedeutenden
Vertretern des modernen Protestantismus.
Einige dieser Analysen befriedigen naturgemäß nicht
völlig. Unsachlich erscheint es mir z. B., wenn auf
S. 246 der Verdacht geäußert wird, bei Bultmann
werde die Gnade in eine subjektive Empfindung aufgelöst
. Doch bemüht sich Vf. im allgemeinen, zu
differenzieren und sein Urteil sorgfältig abzuwägen.

Trotzdem ist dieses sein Vermächtnis eine ausgesprochene
Streitschrift, dies freilich im nobelsten
Sinn des Wortes. Geboten werden soll nicht ein allgemeiner
dogmengeschichtlichor Überblick, sondern das
ganze Buch dient dem Nachweis, daß die scholastische
Lehre von der geschaffenen Gnade zwar nicht unbedingt
in ihrer Terminologie, auf jeden Fall aber in ihrer
bestimmenden Absicht unverzichtbar sei, und zwar
um der Realität des Heils und seiner tatsächlichen
Erfahrung willen, negativ gewendet, um einem Verbalismus
zu wehren, der mit der letztlich untermenschlichen
Vorstellung eines Willkürgottcs einhergehe, der

an kein festes Wertsystem mehr gebunden «ei. Einen
solchen Verbalismus sieht Philips im spätscholastischen
Nominalismus am Werk, und er versteht auch Luther«
Theologie als entscheidend von ihm geprägt, obgleich
er um die andersartigen Elemente seiner Rechtfertigungslehre
weiß. Als das traurige Endergebnis dieser
Verbalisierung und Verrechtlichung des Heils betrachtet
er die Auflösung des Glaubens in extremen Formen
des protestantischen Modernismus wie der Gott-ist-tot-
Theologio.

Indem Philips die Lebensnotwcndigkeit des Festhaltens
an der geschaffenen Gnade behauptet und
schon die biblischen und patristischen Aussagen darauf
abhorcht, ob sie der Grundintcntion dieser Lehre
entsprechen, beschäftigt er sich nicht nur mit einem
Spezialproblem der Dogmatik, sondern stellt die entscheidende
Krage niieh dem Wesen der Rechtfertigung
und damit letztlich nach der Art des Handelns der
Trinität mit dem Menschen und der rechten Verhältnis -
bestimmung von Gott und Mensch überhaupt, die
auch jeden evangelischen Theologen im tiefsten berühren
muß. Insofern ist dieses Buch, so speziell und
diffizil seine Erörterungen im einzelnen auch sind,
eine erregende Lektüre. Sie verdeutlicht, daß es nach
wie vor erforderlich ist, um das Wesen des Heils zu
streiten, statt etwa Differenzpunkte zwischen den
beiden großen Konfessionen nur noch in der Ekklesio-
logie und Sakramcntslehre wahrzunehmen. Ein solcher
Streit ist aber auch lohnend und fruchtbar und müßte
von einer bloßen Polemik bzw. Apologetik weg zu
einer kritischen Rückfrage; an die eigene Tradition
führen. Die imputative Rechtfertigungslehre den
Luthertums hat zweifellos ihre spezifischen Gefahren,
kann sie doch verabsolutiert und formalisiert die
Rechtfertigung tatsächlich ihrer Realität berauben,
was Luther selbst natürlich keineswegs beabsichtigte;.
Andererseits wird der lutherische Theologe, gerade
wenn er sieh von Philips Uber den von unserer Seite
zuweilen übersehenen leitenden Willen der scholastischen
Gnadenlehre belehren läßt, nicht darauf verzichten
können, das unaufgobbare Recht der imputativen
Rechtfertigimgslehrc zu verteidigen. Wenn Philips
Karl Barths Auffassung in dieser Frage so wiedergibt,
in der Rechtfertigung triumphiere Gott über unseren
Widerstand, er teile sich dem Menschen spontan und
in völliger Freiheit mit, das Heil vollziehe sich als
vertikales Wunder senkrecht von oben und die Gnade
sei nicht eine gute Disposition in uns, sondern Gottes
wiederholter Sieg über unsere Indisposition, so dürfte
er selbst entscheidende Kontroverspunkte artikuliert
haben.

Gegenüber einer solchen evangelischen Position
betont Philips die von Gott schon kraft der Schöpfung
in die Seele gelegto Empfängnisbereitschaft (capax Dei),
die; den Menschen in die Lage versetzt, sich mittels
der folgenden Gnadengewährung sukzessiv weiterzuentwickeln
und dem göttlichen Bild in der Seele
immer mehr zu entsprechen. Er ist bereit, über die
Aussageform der Lehre von der geschaffenen Gnade bei
den einzelnen Scholastikern in einen kritischen Dialog
einzutreten. Er meint aber, daß schon die biblische
Rede vom realen, das menschliche Sein aktiv veränderndem
Hande;ln Gottes unrl die neutestamentliche
Bezeugung eler Wirksamkeit des Hl. Geistes, der uns
kraft der Wiexle-rgeburt zu neuen Menschen mache
und die Früchte des Geistes in uns schaffe, zu dieser
Lehre ebenso folgerichtig hinführe wie die Rede besonders
der ostkirchlichen Patristike;r von der Ve;r-
gottung des Gläubigen kraft der Eiuwohuung ele;s Hl.