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Ausgabe:

1976

Spalte:

755-757

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Dauer, Anton

Titel/Untertitel:

Die Passionsgeschichte im Johannesevangelium 1976

Rezensent:

Strecker, Georg

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Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 197« Nr. 10

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kommt nur noch die bilderlose, ,die schreckliche Zeit'"
(129). Dieses Urteil hängt offensichtlich mit der bereits
oben angefragten Bewertung der Gegenwart zusammen.

Der „Ausblick" verbindet in starker Weise das Bild
des „evolutiven Christus" mit dem des „proexistenten"
zum neuen Christusbild von morgen. Das evolutive Chri-
stusbild (Teilhard de Chardin) bietet die „Horizontvorstellung
", den „geeigneten Radius", sofern die „zentrierte
Mitte" durch den proexistenten Christus gebildet wird
(vgl. 136f.). Denn die Evolution allein trifft noch nicht
auf das Heil, das setzt erst der Bezug auf den Immanuel.
Dadurch wird freilich die Relevanz der Evolution für das
Heil tatsächlich aufgehoben, kaum ganz zufällig dringt
das Bild des Kreises an dieser Stelle ein. Entscheidend
ist mithin der proexistente Christus, in dessen selbstloser
Hingabe der Welt der sich hingebende Gott begegnet
und dessen Hingabe zur Kraft der neuen Menschheit
werden will. Da für Sch. gilt: „letztlich wird Jesus erst
von Gott her verständlich .. . wenn die Theologie zur
Christologie schrumpft, schrumpft die Christologie zum
Jesuanismus" (143), kann er vom „Tode Gottes" reden —
allerdings natürlich nicht im Sinne der „Tod-Gottes-
Theologie" neuerer Provenienz, sondern in theopaschiti-
schem Sinne3. Innertrinitarisch begründet ist für Sch.
das Heilsgeschehen der Selbsthingabe Gottes im Tode
Jesu im Wesen Gottes als der vollkommenen Liebe, die
sich gerade in der äußersten Hingabe vollendet. Freilich
tendiert zumindest Sch. darüber dann doch etwas in die
Richtung, die Rede vom „Tode Gottes" in dem modischen
Sinne der Nicht-Wahrnehmbarkeit Gottes zu gebrauchen
. Das dürfte nicht ungefährlich sein. Denn so wird zu
leicht die Unfähigkeit, die sich gänzlich entäußernde
Liebe als solche zu erkennen, mit dem Wesen dieser Liebe
selbst identifiziert, Erkenntnis und Wesen in eins gesetzt
. Bei Sch. werden die hier liegenden Gefahren durch
eine starke und persönlich überzeugende ekklesiale Spiritualität
aufgehoben. Damit bringt er ein katholisches
Erbe ein in die „Fülle der Erkenntnis Christi" für unsere
Zeit. Ob in ihr gleichwohl der ganze Reichtum der Erkenntnis
Christi, wie er der Kirche in ihrer Geschichte
bisher geschenkt worden ist und den Sch. in dem „Rückblick
" andeutend aufzeigt, aufgehoben ist, muß man
trotzdem fragen.

Das Buch als Ganzes ist ein ungewöhnlich bedeutsamer
Beitrag zur Diskussion um die Bedeutung des Todes Jesu
sowohl in neutestamentlicher als auch in systematischer
Hinsicht.

Halle (Saale) Traugott Holtz

1 Vgl. ThLZ 99, 1974, 331-333.
1 Vgl. ThLZ 100, 1975, 672-675

■ Es dürfte angemessen sein, in diesem Zusammenhang den
Aufsatz von W. Eiert, Die Theopaschitische Formel, ThLZ 75,1950,
195—206, in Erinnerung zu rufen.

Dauer, Anton: Die Passionsgeschichte im Johannescvan-
gelium. Eine traditionsgeschichtliche und theologische
Untersuchung zu Joh 18,1-19,30. München: Kösel-Verlag
1972. 375 S. gr. 0° = Studien zum Alten und Neuen
Testament, XXX, hrsg. von V. Hamp u. J. Schmid unter
Mitarbeit von P. Neuenzeit. Kart. DM 85,—.

Wie der Untertitel andeutet, untersucht die sorgfältig
gearbeitete Würzburger Dissertation in zwei voneinander
getrennten Abschnitten das traditionsgeschichtliche
und das theologische Problem der Passionsgeschichte im
Johannesevangelium. Von besonderer forschungsgeschichtlicher
Bedeutung ist der erste Teil (Traditionsgeschichtliche
Untersuchung zu Joh 18,1-19,30: S. 21-227),
in dem Vf. in eingehender, Vers für Vers diskutierender
Textanalyse den Vergleich zwischen der johanneischen
Passionsgeschichte und den synoptischen Parallelen

durchführt. Dieser Abschnitt wird von den Fragen geleitet
: „Was stammt vom Evangelisten (Johannes) und was
aus seiner Quelle?" Ferner: „Wie ist das Verhältnis des
johanneischen Traditionsberichtes zu den Synoptikern?"
Bei der Beantwortung der ersten Frage werden insbesondere
die Mittel der Sprach- und Stilkritik, der Kompositionstechnik
und die Parallelen zur johanneischen
Theologie eingesetzt. Das Ergebnis ist zunächst der Aufweis
einer Vielzahl von synoptischen Paralleltexten, die
nicht auf Benutzung nur eines der synoptischen Evangelien
durch Johannes schließen lassen, und sodann die
Rekonstruktion der johanneischen „Redaktionsarbeit".
Diese ist danach in 18,4-9.13b.l4.17.20-22.25a festzustellen
; in 18,28-19,26a ist der johanneische Einfluß, abgesehen
von der typisch johanneischen Sprachfärbung, im
wesentlichen auf die Komposition der Szenen und ihrer
Inhalte beschränkt; dagegen ist er in 19,16b-30 wieder im
einzelnen nachzuweisen: 19,17-18.20-22.23a.24b.c.26-27.
28a.30.

Abgesehen von diesen sekundären Eingriffen wird die
johanneische Passionsgeschichte auf eine zusammenhängende
, möglicherweise dem Evangelisten schriftlich vorliegende
Quelle zurückgeführt, die eine große Ähnlichkeit
mit der synoptischen Passionsgeschichte hat. Da Vf.
den Einfluß des Markusevangeliums sowie der Redaktionen
des ersten und des dritten Evangeliums auf die
Quelle glaubt nachweisen zu können, bietet sich die folgende
Lösung an: „Der Passionsbericht, der Johannes
zur Verfügung stand, war eine durchaus selbständige
Überlieferung. Er war aber verschiedentlich von den
synoptischen Berichten beeinflußt worden, so daß an einzelnen
Stellen Parallelen zu den früheren Evangelien
entstanden: Wir haben es hier mit einem Ineinanderfließen
von mündlicher und schriftlicher Tradition (= Synoptiker
) zu tun" (S. 336).

In dem zweiten Hauptabschnitt untersucht Vf. die johanneische
theologische Erklärung des Passionsberichtes
(„Die Passion Jesu im Verständnis des vierten Evangelisten
" : S. 231—333). Hierbei werden jeweils — darin methodisch
über den ersten Hauptabschnitt hinausgehend
— die „hinführenden Texte" im JohEv. zur Erklärung
herangezogen; so zum Verständnis der Passion und
des Todes Jesu als der Erhöhung und Verherrlichung Jesu
und als des Gerichtes über die Welt. Weitere Ergebnisse
: Der Evangelist hat in seiner Darstellung der Passion
die Verbindung des „Auftrags des Vaters" mit der
„freiwilligen Gehorsamstat Jesu" hervorgehoben. Stärker
derTradition schließtsich Johannes an, wenn er festzuhalten
versucht, daß in diesem Geschehen alttesta-
mentliche Weissagungen sich erfüllen (bes. 19,24.28 f.36f.),
womit nicht nur der Erfüllungsbeweis, sondern zugleich
„eine Antwort auf den Unglauben (der Juden)" gegeben
ist. Unverkennbar sind auch politisch-apologetische Tendenzen
in der Passionsgeschichte, insbesondere im Beweis
der Unschuld Jesu durch das Verfahren vor Pilatus
(18,28ff.). Nicht zuletzt gehört die Darstellung der Jünger
unter dem Kreuz zur redaktionellen Eigenart des vierten
Evangelisten: Im einzelnen unterschiedlich, jedoch
nachdrücklich wird die Zugehörigkeit der Jünger allgemein
, des Petrus, der Frauen unter dem Kreuz und der
Mutter Jesu und des „Jüngers, den Jesus liebte", zu Jesus
durch den Redaktor herausgestellt. Daher die Passionsgeschichte
wie das johanneische Werk als Ganzes
„von der Herrlichkeit des inkarnierten und nun zum
Vater heimkehrenden Gottessohnes" Zeugnis ablegt
(S. 337f.).

Mit der vorliegenden Arbeit ist ein erfolgversprechender
Schritt in eine notwendig einzuschlagende Richtung
getan. Die Aufgabe heißt nicht: „mechanische Quellenrekonstruktion
", vielmehr: einer Vielfalt von mündlichen
und schriftlichen Traditionen nachspüren, die die
Endgestalt, das Ergebnis der Arbeit des Endredaktors,
vorbereitet haben! Daß Vf. sich die Frage intensiv vor-