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Ausgabe:

1976

Spalte:

536-539

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Pottmeyer, Hermann Josef

Titel/Untertitel:

Unfehlbarkeit und Souveränität 1976

Rezensent:

Loewenich, Walther

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Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 7

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fallenen Jjob zollte, ohne persönliche Verdienste einzelner
hervorzuheben. Die lateinische oratio funebris dagegen
bietet einen Lebenslauf eines bzw. einer Toten, der
im Interesse des ,,gens" von einem Redner vorgetragen
zu werden pflegte, der ein naher Verwandter des Toten
war. Wenn auch mit Tendenzen zur Verfälschung der
Frühgeschichte gerechnet werden muß, weil die liedner
bestrebt waren, eine erlauchte Ahnenreihe aufzuzählen,
so steiles die in den Leichenreden fixierten Traditionen
doch wertvolle Quellen für die römische Historiographie
dar. Für diesen Typ der Leichenrede ist ein rhetorisches
Schema mit feststehenden Topoi verbindlich.

Die lateinischen Kirchenväter, für die jetzt die Taufe
zu einem entscheidenden Ereignis wird, brechen in ihren
Leichenreden mit dieser Tradition. „Die Reden von
Ambrosius und Hieronymus sind keine Leichenreden
mehr, sondern Predigten über Glaubenswahrheiten"
(S. 16). Dementsprechend haben auch die kurzen aus
dem Mittelalter bekannten Predigten von Geistlichen
bei Beerdigungen die. Auferstehung zum Thema; sie
wollen trösten und fordern zum Gebet auf. Im byzantinischen
Bereich ist dagegen im Brauch, Leichenreden
zu halten, eine Kontinuität zur Antike gewahrt worden.
Die Redner sind dort nicht notwendig Kleriker. Hier
bot sich eine Anknüpfungsmöglichkeit für die Humanisten
, die nicht nur als Gelehrte vor einem gebildeten
Auditorium, etwa im Auftrag einer Universität, Leichenreden
hielten, sondern auch als Prominente zur Erhöhung
der liegrabnisfeierlichkeiten, der ,,pompa", vor
einer Zuhörerschaft auftraten, die ihr Latein nicht verstand
. Man kann nach Schmidt-Grave nun deutlich eine
Entwicklung beobac hten, die von der Predigt wegführt,
und dem alten Hhet orschema der biographischen
Leichenrede zu neuer Bedeutung verhilft, wobei
manche Topoi eine zeitgemäße Abwandlung erfuhren.

So weit kann man dem Verfasser uneingeschränkt
zustimmen. Problematisch dagegen ist seine Beurteilung
der Entstellung der protestantischen Leichenpredigt und
der Rolle, die darin das biographische Schema spielt.

Zu ihrer Popularität habe viel beigetragen, «laß der
eigentlichen Predigt ein aus einer anderen Tradition
stammender Lebenslauf angehängt worden sei. Das
Motiv für die sofortige Verbreitung der aus Anlaß von
Luthers Tod gehaltenen Predigten und Reden durch den
Druck sei gewesen, Behauptungen von einem unseligen
Ende des Reformators (und damit indirekt von der
1 iirichtigkeit seiner Lehre?) entgegenzutreten. Einen
Hauptgrund für die Hntst.ehung des Phänomens der gedruckten
Protestantischen Leichenpredigt sucht der Vf.
nun in einer vergleichbaren prinzipiellen Verteidigungshaltung
oder -notwendigkeit der Angehörigen für ihre
evangelischen Verstorbenen. Die Verwandten hätten
sich in dem „Dilemma" befunden, daß der plötzliche
Tod eines Entschlafenen für sein Andenken belastend
war, und daß sie mit eigener aktiver Fürsorge nichts für
sein Seelenheil ausrichten konnten. Mit der Leichenpredigt
habe man schwarz auf weiß die Bescheinigung
oder Beruhigung haben wollen, daß eine Sorge für da
Seelenheil des Betreffenden unnötig sei, weil er aufgrund
des Dargestellten, besonders seines Verhaltens im
Sterben, als gewiß selig gelten könne (S.38). Hier ist 1.
ein logischer, 2. ein theologischer und 3. ein methodischer
Einwand zu erhellen.

1. Ausnahmen können eine Regel bestätigen, sie aber
nicht begründen. Die besondere Problematik der relativ
seltenen plötzlichen Todesfälle kann das allgemeine
Interesse an einer gedruckten Leichenpredigt für die
vielen „normal" Gestorbenen nicht erklären.

2. Nach reformatorischer Lehre kann die Seligkeit,
eines Mensehen letztlieh nur sola Gratia, aber nicht aufgrund
eines in bestimmten Bahnen verlaufenen Lebens
erwartet und geglaubt werden.

3. Der Vf. hat die lateinischen Gedächtnisreden mit
ihrem biographischen Inhalt und die den in deutscher
Sprache abgefaßten Leichenpredigten beigefügten Personalien
ohne weiteres als Vergleichbar, wenn nicht
gleichwertig angesehen, weil beide auf ein und dieselbe
antike Tradition zurückgehen; er hat aber nicht untersucht
, welche Akzentverschiebungen und Tendenzveränderungen
sich für die Personalien dadurch er
geben, daß sie eben nicht Selbständig und nicht als An
hang, sondern in Verbindung mit der Leichenpredigt
veröffentlicht wurden. Geht man dieser Frage nach, so
stellt sich heraus, daß sich die Gattung der protestantischen
Leirhenpredii.'t nicht nur aus den Interessen der
Angehörigen erklären läßt, sondern dal.! für sie der ..Sitz
im Leben", nämlich ihre Einordnung in den Gottesdienst
, konstitutiv ist. Es gab cm eminent kirchliches
Interesse an der Leichenpredigt. Die ganze Gemeinde
wurde durch sie belehrt, ermahnt, getröstet und immer
wieder mit dem Problem der irdischen und himmlischen
communio sanctoruin konfrontiert. Ein Quellenstudium
der Leichenpredigten unter inhaltlichen und theologischen
Gesichtspunkten ergibt, daß die Lebensläufe
im Laufe der Entwicklung der Leichenpredigt nicht An
hängsel blieben, sondern daß Fredigt und Vita eine
immer stärkere Verbindung miteinander eingehen, so
daß schließlich nicht nur der Text, sondern auch der
Tote Gegenstand der Leichenpredigt wird.

Schmidt-Grave sind in den Leichenreden die Begriffe
„exempluni" und „imitatio" aufgefallen - in vielen
Leichenpredigten der Zeit nehmen sie einen theologisch
zentralen Platz ein. Das läßt der Vf. unberücksichtigt.
Er macht nur zwei Faktoren für die Entstehung der gedruckten
Leichenpredigt geltend : die Anknüpfung an die
durch den Humanismus vermittelte antike Tradition
der Lebensbeschreibung und die mittelalterliche Beschäftigung
mit dem Tod. Der Autor übersieht die
kirchliche Abzweckung der Leiehenpredigt, in der die
Lebensläufe der Paränese dienstbar gemacht werden.

Trotz dieser Kritik handelt es sich um ein empfehlen*
wertes Buch, dem man ebenso viele zuverlässige Fakten
w ie Anregungen zur Weiterarbeit an der Erforschung der
Leichenreden und Leichenpredigten entnehmen kann,

Duisburg Rudolf Mohr

KIRCHEN- UND
KONFESSIONSKUNDE

Potlmeyer, Biermann Josef: Unfehlbarkeit und Souvernniläl.

Die päpstliche l"nl'flilharkeit im System der iiltriiinontnnen
Kkklesiologie dos I!). Jahrhunderts. Mainz: Matthias-Oriine-
wald-Verlag [19751. 451 S. gr. S' = Tübinger theologische
Studien, hrsg. v. A.Auer. V. Kns|ier, IL Künu, M.Sccklcr.
5. Kart. DM 54,—.

Das Manuskript dieser Untersuchung wurde vom
Fachbereich Katholische Theologie in Münster im
Wintersemester 1973/74 als Habilitationsschrift angenommen
. Der Verfasser (geb. 1934) ist seit 1974 Professor
für Fundamentaltheologie in Bochum. Kritik am
Unfehlbarkeitsdogma des Vatikanuni [wird heute auch
innerhalb der katholischen Theologie laut. Sie ist durch
Kiing in die breiteste Öffentlichkeit gelangt. Inzwischen
wächst nach Ansicht des Verfassers die Einsiedl!, daß
die geäußerte Kritik einen weiteren Schritt über die auf
das Vatikanuni I konzentrierten Studien hinaus erfordert
. Umfang und Grenze des Doginas von 1870 können