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Ausgabe:

1976

Spalte:

465-467

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Deresch, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Handbuch für kirchliche Erwachsenenbildung 1976

Rezensent:

Henkys, Jürgen

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Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 6

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digt in toto meinten, so baut auch W. Steck seine Darstellung
primär auf dem homiletischen Programm F. Nieber-
galls auf. Für dieses Verfahren spricht zwar, daß Nieber-
gall literarisch in besonderer Breite die moderne Predigttheorie
dargestellt und entwickelt hat. In seinem homiletischen
Programm sind jedoch die ursprünglich recht,
komplexen Ansätze der Reformhomiletik seit ca. 1890
doktrinal verfestigt und im Anschluß an die religionsgeschichtliche
sowie die religionspsychologische Methode
ausgeformt worden. P. Drews, dessen früher Tod für die
Praktische Theologie der damaligen Zeit einen großen
Verlust bedeutete, hat z. B. die Ausgestaltung der Tendenzen
der modernen Predigt mit einem stärkeren Rück-
bezug auf die reformatorische Theologie verbunden, wie
u. a. seine Predigten beweisen. Diese Variationsbreite
der sog. modernen Predigt sollte von der praktisch-theol.
Forschung zukünftig stärker berücksichtigt werden.

Die Beigabe eines Personenregisters wäre bei dieser informativen
Untersuchung wünschenswert gewesen.

Güttingen Friedrich Wintzer

Deresch, Wolfgang: Handbuch für kirchliche Erwachsenenbildung
Hamburg: Furche-Verlag [1973). 197 S. 8°.
Lw. DM 25,-.

Von einem Handbuch pflegen gedrängte, aber umfassende
Informationen erwartet zu werden. Es soll in Theorie
und Praxis seines Bereiches einweisen und eine breite
Basis zur selbständigen Weiterarbeit bereitstellen. Aber
natürlich kann ..Handbuch" auch etwas anderes sein. Das
vorliegende Buch jedenfalls erfüllt die genannten Erwartungen
nur zum Teil. Zwar schreitet man bei der Lektüre
der sechs Kapitel (Theologische Grundlegung. Vorbilder,
Gestalt, Methode, Organisation, Beispiele kirchlicher Erwachsenenbildung
) die hier anstehenden Fragen in schöner
Ordnung ab. Die äußere Anlage läßt kaum etwas zu
wünschen übrig. Doch der neue theoretische Ansatz des
Verfassers wird nicht aus dem Gespräch mit anderen
Konzeptionen gewonnen. So gibt es gerade in der systematischen
und historischen Grundlegung ein empfindliches
Informalionsdefizit.

Gegenstand dieses Handbuches ist die „kirchliche" Erwachsenenbildung
. Auch diese Angabe löst eine bestimmte
Erwartung aus, zumal sie im Titel eines Werkes aus
der Bundesrepublik steht. Denn zunächst ist man ja darauf
gefaßt, daß dort jetzt die Wendung „religiöse Erwachsenenbildung
" bevorzugt wird; oder daß — aus
theologischer, christlicher, evangelischer, katholischer
Sicht — die Erwachsenenbildung überhaupt vorgestellt
werden soll. „Kirchlich" läßt aufhorchen. Doch wieder
erweist sich, daß Vormeinungen, die an Titelbegriffen
haften, den Verfasser nicht festlegen dürfen. Tatsächlich
ist das ekklesiologische Interesse W. Dereschs minimal
. Kirche gehört für ihn einerseits zu den „Teilsystemen
der Gesellschaft" (58). Andererseits gilt: Sie muß
••ihren Anspruch als autoritäre Sammelstelle für Christen
aufgeben und sich neu verstehen als Sprachhilfe für
die zeitbedingte Aussage der Wahrheit" (62). Die Verbindung
beider Aspekte sieht so aus: Die Kirche ist „die
letzte große gesellschaftliche Institution ..., die nicht
unmittelbar in die ökonomischen Prozesse eingespannt
ist. Vielmehr bringt sie die Bildungstradition ein, die
auf die Unterordnung von Sonderinteressen einzelner
Und partikularer Gruppen unter die Forderungen des
Gesamtwohls der Menschheit abzielt" (63f.). Genau hier
liegt nach Deresch aber der wesentliche Grund, der zu
e'ner „kirchlichen" Erwachsenenbildung berechtigt und
n°tigt. Können sich religions- und kirchenkritische, müssen
sich binnenkirchliche Gesprächspartner mit einer
solchen Begründung zufriedengeben?

••Nur das soll gelten, worüber eine Übereinkunft erzielt
werden kann" (33). Das ist eine Zukunftsmaxime, in

der Deresch die christlichen und die politisch-emanzipa-
torischen Intentionen des Zeitalters zusammenlaufen
sieht. Dementsprechend lehnt er alles Theologisieren
heftig ab, das mit der Differenz von Glauben und Denken
, Christianum und Humanum, kirchlichem Auftrag
und gesellschaftlicher Funktionalität rechnet und diese
Pole jeweils nur dialektisch miteinander vermitteln
kann. Durch die „christliche Aufklärung" ist die „Welt
des Christentums" entstanden (9). Die Welt des Christentums
ist die Totalität der heutigen gesellschaftlichen Verhältnisse
mitsamt ihren geschichtlichen Wurzeln und
vorwärtsdrängenden Entwicklungskräften. In ihr findet
sich die kirchliche Erwachsenenbildung vor, ihr ist sie
verpflichtet, und sie ist der entscheidende Bezugspunkt
ihrer theologischen Begründung, sofern nämlich Theologie
heute die „Theorie des neuzeitlichen Christentums"
zu erarbeiten hat. „Eine Theorie des neuzeitlichen Christentums
bezweckt die Praxisanleitung aufgrund reflektierter
Geschichte" (12).

Soll dieser Ansatz der kirchlichen Erwachsenenbildung
gelten — ein Ansatz, der sie als kritisches Gewissen
und pädagogisches Regulativ der neuzeitlichen Gesellschafts
- und Bewußtseinsveränderungen begreifen
lehrt — dann müßte also auch er zu den Dingen gehören,
über die „eine Übereinkunft erzielt werden kann". Aber
ich sehe dazu keine Chance. Und zwar ist hier nicht einmal
in erster Linie an den naheliegenden Einspruch aus
differierenden theologischen Richtungen zu denken. Er
könnte den Verfasser wohl nicht besonders beeindruk-
ken, da er ja nur dessen Negativbild von theologischer
„Positionalität" (26f.) und von der „reaktionären Unterdrückung
" der christlichen Aufklärung durch die Kirche
(20. vgl. 24f.) bestätigen würde. Die Chance, zu einer
Ubereinkunft im Sinne Dereschs zu gelangen, ist vielmehr
darum nicht gegeben, weil die Umgestaltung der
gesellschaftlichen Wirklichkeit in den sozialistischen
Ländern auf Grund einer Geschichtsdeutung erfolgt, die
den christlichen Beitrag zum Werden der heutigen Welt
— vorsichtig ausgedrückt — wesentlich niedriger einschätzt
.

Wer die Theologie als Praxis eröffnende Theorie des
historischen Gesamtprozesses verstehen will, müßte
doch ein fundamentales Interesse daran haben, die politischen
Realitäten so umfassend wie möglich in sein
Denken einzubeziehen. Deresch aber operiert mit einer
„christlichen Aufklärung" in Deutschland, die im Gegensatz
zu der atheistischen in Frankreich nicht revolutionäre
, sondern reformerische Ideen zum Zuge brachte
(13f.), und entwirft seine Konzeption nur im Blick auf
diese, also ohne nach der dauernd zunehmenden weltgeschichtlichen
Wirksamkeit der nicht-christlichen Aufklärung
zu fragen. (Der Religionskritik von Marx gelten
acht Zeilen. 28 f.) Das halte ich für eine methodisch
höchst anfechtbare Problementschärfung. Wenn schon
Geschichtstheologie mit einem so globalen Anspruch, dann
bitte in aller Konsequenz! Aber wahrscheinlich läßt sich
die Theologie als Theorie des neuzeitlichen Christentums
nur mit Hilfe einer solchen Ausblendung durchführen.

Daß man die kirchliche Erwachsenenbildung auch in
der BRD durchaus anders begründen kann, erfährt der
Leser durch eine „Anlage", die als Position 6.3.1. in das
Kapitel mit den Praxisbeispielen eingefügt ist und die
von W. Lackner stammt. Sie trägt die Uberschrift „Erwachsenenbildung
und Glaube". Leider weist das Inhaltsverzeichnis
gerade an dieser Stelle einen groben
Satzfehler auf: 6.3.1. erscheint mit der Uberschrift von
6.3.2., und 6.3.2. fällt aus. Der Beitrag von Lackner ist
also wirklich sehr versteckt, und Deresch nimmt, obwohl
ihm dort der Sache nach mehrfach strikt widersprochen
wird, auch keinerlei Bezug darauf.

Die Kritik an Dereschs theoretischem Ansatz soll nun
aber nicht besagen, daß man das Buch ruhig zur Seite le-