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Ausgabe:

1976

Spalte:

279-281

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Sola ratione 1976

Rezensent:

Wendelborn, Gert

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27!)

Theologische Litcruturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 4

280

den Streit zwischen zwei rivalisierenden Päpsten entschied
unter maßgeblichem Einfluß des Erzbischofs von Köln, dem
man wenig später sogar eigenes Streben nach dem päpstlichen
Amt nachsagte. J. bringt zunächst die ausführlichste Quelle,
die Annales Altahenses in freier Übersetzung mit lateinischem
Text im Kleindruck in Anmerkungen (S. 247—54). Es folgen
zwei weitere ausführlichere Quellen (S. 255—58), daran
schließen sich Quellen, die nur kurz berichten, darunter Lantpert
von Uersfeld, Ekkehard von Aura, Anselm von Lucca
(S. 258—60). Danach bietet J. unter reichlicher Wiederholung
der Quellen seine Rekonstruktion der Vorgänge in Mantua
(S. 263—68). Erst nach solcher Vorarbeit wendet er sich der
Frage zu, welche Bedeutung Anno von Köln bei diesen Vorgängen
gehabt habe (S. 268—74). Dieses Verfahren zeigt die
enorme Gründlichkeit des Verfassers, der alle Quellen mit berücksichtigt
; es erklärt freilich zugleich auch, warum er für
seine Darstellung zwei Bände benötigte. Neben den erzählenden
Quellen werden die Diplomata mit gleicher Gründlichkeit
ausgewertet. J. kommt zu graphischen Darstellungen und Prozentrechnungen
! Annos Anteil als Intervenient in den noch
erhaltenen Diplomata wird so ausgerechnet: „1066 ein Anteil
von 10 %, für 1067 von 12,5 %, für 1068 von 9,1 %, für 1069
von 18,7%, für 1070 von 14,2% und für 1071 von 20%"
(S. 339). Solche bis hinter das Komma reichende Prozentrechnung
ist fragwürdig, wenn man sich die Unwägbarkeiten bei
der tlberlieferung der Diplomata vor Augen hält. Zur Illustration
mögen aber auch solche Rechnungen ihren Wert haben
. Häufig verweist J. auf die Diplomata als Korrektiv zu
den erzählenden Quellen. Für das Gesamtbild gilt die Tatsache
: „Anno verschwindet im Verlaufe des untersuchten
Zeitraumes nie ganz aus den Diplomata" (S. 339). Ks dürfte
sehr lange dauern, bis eine Arbeit über Erzbischof Anno von
Köln vorgelegt werden kann, die an ausführlicher Gründlichkeit
die hier vorgelegte übertrifft.

Rostock Gert lluomllcr

[Schmitt, Franciscus Salcsius:] Sola ratione. Anselm-Studien
für Pater Dr. h. c. Franciscus Salcsius Schmitt OSB zum
75. Geburtstag am 20. Dezember 1969, hrsg. von II. K. Koh-
lenberger in Verb. m. B. Geyer u. A. Hufnagel. Stuttgart-
Bad Cannstatt: Frommann [1970]. 236 S., 1 Porträt 8°.

In die Reibe der wiss. Veröffentlichungen zur Erschließung
des Werkes Anselms von Canterbury reiht sich würdig dieser
Sludienband zur Ehrung des bedeutendsten deutschen Anselm-
Forschers ein, dem auch eine Bibliographie Schmitts beigegeben
ist. Der Titel der Festschrift möchte eine ansclmianische
Formulierung aufgreifen, die stetes movens der Interpretation
des Jubilars war. Der Bund vereint elf Aufsätze in deutscher,
englischer, französischer und italienischer Sprache.

Desmond Paul Henry (Manchester) untersucht noch einmal
die Grundstrukturen der Logik Anselms und warnt davor,
diese mittels nach-mittclallerlicher Termini darzustellen. Alfons
Hufnagel (Roltcnburg) vergleicht Anselms „De veritate"
mit Alberts d. Gr. „De bono" und kommt dabei zu dem Ergebnis
, Albert habe Anselms Wabrheitslbeorie philosophisch
präzisierend gedeutet und weitergeführt, ihre theologische
Seite aber übergangen. Helmut K. Kohlenberger (Tübingen)
untersucht in seiner eindringenden Studie den Zusammenhang
des „sola ratione" mit derTcleologie und der Rechtsmetaphorik
bei Anselm. Die Autonomie der ratio sei bei ihm durch den
Bereich der Autonomie eingeschränkt; zudem unterliegt dio
Autonomie einem in der Schöpfungsordnung begründeten
Sollen. Nur die Übernahme dieses Söltens befähigt die ratio
zur Wahrnehmung ihrer Aufgabe. Damit ist der ratio eine
Ordnung vorgegeben, die an den als Herrscher gedachten Gott
rückgebu nden ist. Das aber hat zur Folge, daß ontologische
Gegebenheiten von Anselm immer im Bezug zur teleologischen
Gesamtkonzeption gesehen werden, so daß der Wille zur sinnnotwendigen
Ergänzung der Vernunft wird. Duraus ergibt sich
der immanente Praxisbezug der ratio, wie denn die Strin-
genz der ontologischen Ordnung für Anselm unmittelbar praktisch
relevant war.

Carmelo Ottaviano bestreitet die These vom Sprung Anselms
aus der logischen in die ontologische Ordnung unter
Hinweis darauf, daß Existenz im Intellekt für Anselm ein
Modus des realen Seins war und Glaube und Hoffnung dem
Menschen schon jetzt die reale, wenn auch noch partielle
Gegenwart Gottes gewähren, und belegt dies mit Äußerungen
Anselms in den von seinem Schüler Alexander aufgezeichneten
Dicta Anseirai. Ähnlich Kohlenberger begreift auch Gottlieb
Söhngen (München) in dem aus seiner Monographie
„Grundfragen einer Rechtstheologie" (München 1962) nachgedruckten
Teil rectitudo — Anselms Oberbegriff von Wahrheit
und Gerechtigkeit — richtig als untrennbares Ineinander
von Seins- und Sollcnsrichtigkeit, Wesens- und Willcnsrecbt-
heit und bestimmt von daher auch Anselms Genugtuung*-
lehre mit ihrer Vergeistigung und „Verpersünlichung" (loa
Sündenbegriffs als eine Theologie des Bechts. Bei ihm begegne
die Logik des Rechts und Rechtsdenkens auf höchster philosophisch
-theologischer Ebene als Ontologik. Sofia Vanni-Hovighi
(Mailand) vergleicht das ontologische Argument bei Anselm
und Descarles mit ihrem Ausgang von der Idee des vollkommensten
bzw. des notwendigen Seins.

Ludwig Hödl (Bochum) untersucht die ontologische Frage
in dem früher Anselm zugeschriebenen, aber aus der Schule
Anselms von Laon hervorgegangenen Euchuristiclraktat „Ca-
lix benedictionis", der sich auf die Auslegung von 1 Kor 10,
16f. in möglichst biblischer Begrifflichkeit konzentriert. Von
bleibender Gültigkeit ist die Aussage des Traktats, daß der
konkrete Lebensvollzug des Glaubenden über seinen Anteil
am Leib Christi entscheidet, da diese Teilhabe nur in Glauben,
Hoffen und Lieben vollzogen werden kann. In solcher Anteilgabe
am Leib des Herrn wird die Gemeinde selbst in bewegter
und dynamischer, einem Kraftfeld vergleichbarer Einheit
zum Leib dieses Herrn erweckt, der deshalb nicht als Sache,
sondern als relationale Wirklichkeit verstanden werden muß.
John Mclntyre (Edinburgh) sieht die Achse des zentralen
Arguments von „Cur deus homo" darin, daß Gott mit der Errettung
der Welt mittels seines Sohnes das zu Ende führte,
was er in der Schöpfung begann, damit seine Schöpfung nicht
in Sinnlosigkeit verrinne. Rene Roques (Paris) frugt an Hand
der von Schmitt veröffentlichten 19 Gebote und 3 Meditationen
Anselms nach Struktur und Charakter des ansclmiani-
schen Gebets. Er sieht in ihnen die notwendige geistliche Bf*
günzung zu Anselms steng logisch aufgebauten großen Werken
, sofern durch sie intuitiv und spontan das Herz des Lesers
angerührt werden soll. Roques zeigt in einem sehr ausführlichen
Beweisgang, welch starkes Bewußtsein der eigenen Un-
würdigkeit und welcher Ernst der eigenen Gewisscnserfor-
scliung aus diesen Gebeten spricht, lfm so stärker ist die vertrauensvolle
und sehnsüchtige Ausrichtung auf das Empfangen
der göttlichen Gnade, die zu Empfindungen der Licbcs-
glut, der familiaritas, securitas und dulcedo führt.

Einen der Höhepunkte des Bandes bietet die Interpretation
der Geistlehre Anselms, eingebettet in einen scharfsinnigen
Vergleich der Triniliitslebrc Augustins und Anselms, durch
Michael Schmaus (München). Die griechischen Theologen bi»
hin zu den Kappadozischen Vätern sahen die Einheit Gottes
im Vater als der Quelle der Gottheit verankert und verhielten
sieh zurückhaltend gegenüber der apersonal gedachten Usia,
da man zu dieser nicht beten kann. Augustin dagegen betonte,
daß allein die Trinität der eine wahre Gott sei, und ließ die
Drcipcrsonalität zurücktreten. Hierin erwies er sich neben
Boethius als der Begründer und Hauptfördercr der streng
metaphysischen Trinitütskonzeption im Abendland. Damit
drohte jedoch gegenüber der voraugustinischen Zeit die heilsgeschichtliche
und personal-existentielle Dimension dieser
Lehre verlorenzugehen. Schmaus betrachtet die oft festgestellte
„Unordnung" in Augustins großem Trinitätswerk uli
Folge seines nicht durchweg geglückten Bestrebens, die oxi-
stenticll-gcschichtlichc Komponente zurückzugewinnen, die
ihm seit seiner Bekehrung zentrales Anliegen war. Deshalb
fänden sich so oft in „De trinitate" mitten im FluB metaphysischer
Überlegungen unerwartet heilsgeschichtliche Interpolationen
. Augustins spezifisch theologisches Anliegen erhello