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Ausgabe:

1976

Spalte:

269-271

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Cullmann, Oscar

Titel/Untertitel:

Der Johanneische Kreis 1976

Rezensent:

Walter, Nikolaus

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Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 4

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in der Tal der historische Tatbestand getroffen sein" (S. 232), daraus der Kreis der sog. „Hellenisten" (Apg. 6—7) um Sle-

so muß gerade hier ein Fragezeichen gesetzt und die fehlen- phanus und Philippus hervor, der gemäß seiner Herkunft

den Hin weise auf jüdische Quellen bedauert werden. Zudem besonders in Samarien missionarisch wirkt. Dies ist dann der

vermißt man eine kritische Darstellung der Wirkungs- „johanneische Kreis", der nach 70 wohl nach Transjordanien

geschichle bestimmter johanneischer Aussagen, besonders der auswandert und dort erneut — diesmal mehr im Sinne der

scharfen antijüdischen Polemik; denn die Berücksichtigung Konfrontation — in Kontakt zu den sich ebenfalls dort sani-

dieses Problems dürfte doch gerade dann unabdingbar sein, melnden jüdischen hclcrodoxen Randgruppen (Tüufergemcin-

Wann man sieh ganz auf das ausrichten will, was dieses Evan- de u. a.) kommt. — Das johanneische Christentum ist dem-

gclium „uns jetzt und heule zu sagen hat". nach eine eigenprofilierte Linie im Urchristentum, deren eige-

Der von einer klaren theologischen Ausrichtung bestimmte nes Profil siel» aber nicht erst einem syrischen (oder gar klein-

Kommenlar dürfte jedem I^eser Gewinn bringen, wenn auch asiatischen) hellenistischen Synkretismus verdankt, sondern

manchmal beträchtliche Anforderungen an das theologische über die Stcphaiius-„Hellenisten" bis zur Begegnung mit dem

Verstehen gestellt werden. Seine Benutzung würde erleichtert historischen Jesus zurückreicht. Der Evangelist als Sprecher

Warden, wenn manche Kachlermini (z. B. Enthusiasmus, My- dieser Gruppe will die Legitimität ihres Jesus-Zougcn aul-

steriendrania, apokalyptisch, hellenistisch, pneumatisch, pha- weisen. Für einen Teil des Dargestellten ist er Augenzeuge, für

risäisch) genau erläutert und erklärt würden. anderes (besonders in Galiläa) ist er auf Traditionen angewiesen
. Seine eigene theologische Leistung ist die besondere

Bnrli" Günther Bnumbacfa Ausformung der Christologie, für die er die Vollmacht des

Parakleten (loh 14,26; 16,150.) für sich in Anspruch nimmt,

f, ,, _ . , • e. .. sowie das literarische Konzept eines „Leben Jesu", mit des-

' »II.......n Oscar: Der lobanncisclic Kreis. Sein l'latz im Spat- . ... . j /• i_ • i_ n

. , .,t ■ - - , . . . r sen Hille er eleu Irdischen und den in der (johanncischen) (jc-

Jiidenlum, in der Jungerschall Jesu und im Urchristentum. • , n ... , .. . , , ' „

,, ,, . t i i. rt.,., ■ w , meinde Uesen wartigen perspektivisch zusammenscliaut. Kr

'.um Ursprung des Johannesevangehums. 1 Uhingen: .Mohr , . . . ., . . . , ■„ j i- u j i , .

jci-t- 777r. f,„ r«w ,/d« schrieb vielleicht zwischen /() und 90, die Kcdaktion gab das

197o. XII, 111 S. gr. 8°. Kart. DM 14,80. „ . . Tin i i j tr Vj^u

° lluch nach seinem lode (kaum um mehr als das Kapitel l

Die lledeutung des anzuzeigenden, nur äußerlich schmalen vermehrt) noch vor 100 heraus. - Es ist deutlich, daß es C.
Büchleins liegt zunächst einmal darin, daß uns hier eine Syn- um die theologische Legitimität des johanncischen Christusthese
, gewissermaßen eine zusammengefaßte Arbeitshypothese Zeugnisses geht, entgegen einer Auffassung, die das JohEv
von Oscar Cullmanns Sicht der johanneischen Frage gegeben als mehr oder weniger gnostisches Ev versteht („prägnostische"
w'rd. Nach den eigenen Worten des Autors (S. VII) waren die Züge bestrcilet auch C. keineswegs, S. 36f.).
Ausführungen zunächst „als Einführung in einen Kommen- Leider erlaubt der Raum keine wirkliche Auseinanderset-
inr cum JohEv gedacht, den C. zu schreiben beabsichtigt. zung. nur ei„ paar j,ragen ,assen gich andculen. In geschicht-
Aber es gehl darin nicht nur um das Buch JohEv, sondern um licher Ilinsichl ist der Kcrn der Konstruktion die Herstellung
«>ne bestimmte Linie in der Geschichte des Urchristentums, niner „Dreiccksbezichung" (S. 55f.) zwischen heterodoxem
w'e sie sich dem Autor darstellt, und so ist die gesonderte Judentum, Stephanusgruppc und johanneischem Kreis, wobei
Veröffentlichung nur zu begrüßen. Daß es sich dabei eben den Sainaritancrn nach allen Seilen hin eine gewisse Schlüs-
um «M Arbeilshypothese handelt, ist dem Autor, der sich gelstcllung zukommt (nach S. 63 und 65 sind sie in vier Etap-
VOO der altkirchlichen Tradition wie vom „sogenannten mehr- pen m deil proz(.ß hincinverllochten). Nun ist das Zusammen-
hwtlichen .Konsensus'" der gegenwärtigen Forschung gleich treffen von Job 4 und Apg 8, also von „johanneischem Kreis"
unabhängig weiß (S. Vlllf.), bewußt. Belege für das Vorge- unj „Hellenisten", hinsichtlich der Samarien-Mission gewiß
lr»gcne findet man hier nur spärlich, teils weil C. auf eigene zu beachten. Aber was den rcligionsgcschichtlichen Mutter-
"nd fremde Arbeiten verweist, teils weil sie sich im eigent- boden des JohEv angeht, so wissen wir über die Theologie
'"heu Sinne nicht geben lassen. Um so mehr ist es dankens- dcr Samaritaner als jüdischer Randgruppe im 1. Jh. direkt
wert, daß ein Forscher von dem Rang und der Eigenständig- offenbar« so wenig, daß man im Grunde ein X für ein U einölt
Oscar Cullmanns seine Sicht der Dinge in so klarer Zu- getzt> wenn man von den pr„,o-Mnndäern des nördlichen Jor-
summeiifassung zur Diskussion stellt. dangebiets (R. Macucli, K. Rudolph) nun zu einem Mittelding

Die ersten vier Kapitel des Buches handeln vom JohEv als von Samaritanern und Qumrangruppc überwechselt, während

derjenigen Grüße, auf Grund derer der „johanneische Kreis" man selbst die Oden Salomos (vgl. S. 38) doch wohl kaum

allein identifiziert werden kann. C. bespricht die Frage der in diesem „Raum" ansiedeln kann. — Andererseils stehen die

literarischen Einheit des JohEv (I.), die „Absicht des Evan- „Hellenisten" von Apg 6 m. E. doch an einem anderen „Rand"

Beulten" (IL), den historischen Wert des Berichtelen (III.) des Judentums als jene Gruppen; schon die rein griechischen

sowie Sprache, Stil und literarische Eigenart (IV.). Ergänzt Namen weisen eher auf „Hellenismus" im genaueren Sinne

w'rd diel durch ein Anhangskapitel (X.), das die Hypothesen des Wortes, und die Neigung, Tempel und Gesetz (! Apg 6,11

ober l'.iitsleliungszeit und -ort des JohEv kurz bespricht. — bis 14; C. bezieht sich fast ausschließlich auf die Tcmpelkritik

•'" fronten Teil des Buches nimmt die Darstellung des „jo- des Stephanus und der „hetcrodoxen" Gruppen, natürlich

"'»neischcn Kreises" ein, aus dem das Ev hervorgegangen wissend, daß sie je verschiedenen Charakter hat) beiseite zu

■*t: seine nichtchristliche Umwelt (V.), seine Einordnung in schieben, läßt doch eher auf die Idee kosmopolitischer Ein-

nie Geschichte des Urchristentums (VI.), seine weitere Ent- gliederung des Judentums in die „Menschheit" schließen, die

wicklung nach 70 (VII.), die Frage nach der Person des Evan- Paulus dann christologisch begründet hat — wohl doch als

gelislen als Gliedes dieses Kreises (VIII.) und schließlich die der echte „Schüler" dieser Hellenisten. (Uber das Verhältnis

•'Ziehungen des Kreises zurück zum historischen Jesus (IX.). des „johanneischen" zum „paulinischen" Kreis äußert sich C.

Die Gesamllhese, die C. schon in mehreren Arbeiten vor- auch auf S. 59f. nicht.) Ob die johanneische Aufhebung des

"reitet hat (vgl. etwa seine „Vorträge und Aufsätze", 1966, Tempels in Überhöhung des Gegensatzes von Jerusalem und

S. 225—291), ist — stark verkürzt — etwa diese: Der uns na- Garizim (Joh 4) mit der Theologie der Hellenisten von Apg 6

JBtntlieb nicht bekannte spätere Evangelist gehört zu einer unmittelbar zu tun hat, scheint mir mindestens offen zu

Lruppe judäischcr Anhänger Jesu, die einen zweiten Jünger- sein. — Der Hauptgrund, der es m. E. als nicht ausreichend

"eis neben der um die „Zwölf" gruppierten galiläischen Jün- erscheinen läßt, den Mutterboden des JohEv in jüdischen

gcrscluifi darstellten. Dieser Kreis hat seine Herkunft in jüdi- Randgruppen nach Art der Samaritaner und Qumrans zu su-

schen nicht-konformistischen oder heterodoxen Randgruppen chen, ist die johanneische Christologie, also strukturell die

"u<h Art der Täufer- und Qumranbewegung, aber auch der Mitte johanncischen Denkens. Entweder man läßt diese Mitte

cmmarilaner. Er faßte deshalb auch die Verkündigung Jesu in religionsgeschichtlich ohne Voraussetzung entstehen, oder

«twas anderer Weise auf als die galiläischen Jünger (C. rech- man unterinterprcliert sie (vgl. ThLZ 98, 1973, 294f.), oder

»et sogar mit einer besonderen, „intimeren" Form der Ver- es müssen eben doch gnostischc Gruppen im engeren Sinne

kündigung Jesu vor dieser Gruppe, S. 97). Nach Ostern geht als „Umfeld" herhalten (ohne daß damit Johannes zum Gno-