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Ausgabe:

1975

Spalte:

937-939

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Thilo, Hans-Joachim

Titel/Untertitel:

Psyche und Wort 1975

Rezensent:

Bieritz, Karl-Heinrich

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vorfindliche Existenz des Menschen personalkommunikativ
zusammentreffen" (101). Andererseits erscheint das Ergebnis
doch recht fragwürdig: „Scelsorge und Psychotherapie...
haben ein gemeinsames Ziel: die Erweiterung der Ich-Bewußtheit
und des Realitätssinns des Menschen, der lernen
soll, sirli verantwortlich zu entscheiden" (104). Geklärt ist die
Problematik damit gewißt nicht. Der Beitrag von K. Winkler,
„Die Punktion der Pastoralpsychologie in der Theologie",

sieht mit Hecht in der Mitte des Buches, weil er etwas von

der insgesamt vermißten Pregrammatik enthält. Die Fülle

der Gesichtspunkte, die liier in oft schwierigen Formulierungen
komprimiert sind, verbietet leider eine Auseinandersetzung
. Y. versteht die Pastoralpsychologie „als die unserer
Situation entsprechende anthropologische Wahrnehmungs-

fnnklinn einer praxisbezogenen Theologie" (120) und trill

tür ihren empirischen sowie weltanschaulich neutralen Charakter
ein (vgl. IIS).

Im 2. Teil sind unter der Überschrift „Probleme der Praxis"
folgende Beiträge zusammengestellt: W. E. Huhne, „Pastoral-
psychologische Aspekte des heiligen Abend mahle»", (Auszug
aus einer amerikanischen Publikation); H.-C. Piper, „Perspektiven
klinischer Seelsorge"; F. Riemann, „Die Persönlichkeit
des Predigers aus tiefenpsychologischer Sicht"; R. Riess, „Zur
Seelsorge an Schülern"; H. Stenger u. L. Zirker, „Beratung für
kirchliche Berufe (Notizen zur Arbeit einer katholischen Beratungsstelle
)"; R. Tschirch, „Tiefenpsychologische Erwägungen
zum Charakter christlichen Lebensgefühls und kirchlicher
Predigt". Pipers Aufsatz geht besonders den Krankenhaus-

seelsorger an. F. Riemann legi als renommierter Psychoanalytiker
anhand der Schultz-Henkeschen Neurosestrukturen

eine kleine pnstnralpsycliologischo Typologie vor, die jedem
Theologen zur Sclbslklärung und Froindbenbachtiing empfohlen
werden kann. Riesa behandelt u. a. die aktuellen Aspekte
des Ihcmen-, gruppen- und individuumorientierten Unterrichts
, während Tschirch sowohl „psychoanalytische Kritik an
der religiösen Symholsprache" (208) übt als auch die positive

Aufgabe, „Gottessymbole in eine schöpferische Relation zu

unserer gewandelten sozialen Erfahrung zu bringen" (216),
ins Auge lallt.

Am SchluQ des Buches nimmt der Leser dankbar die „Hinweise
zu den Vutoren" und ihren wichtigsten Veröffentlichungen
zur Kenntnis. Im ganzen üherwiegt in diesem Sammel-
hand die liefenpsyehologische Orientierung, obwohl Winkler

gelegenlliefa betont, ..daß die Pastoralpsychologie nicht grundsätzlich
an diesen einen Sektor zeitgenössischer Psychologie
gebunden ist" (114). Als persönlich und fachlich Beteiligter

WÜnschl man sich eine mögliehst breite l'.asis .....I damit tu-

kunfUträchligere Perspektiven für die Arbeit an den psychologischen
Grundlagen und Praktiken des kirchlichen Dienstes!

ll„S|(„.i( Krnst-Rfldiger Kiciow

Thilo, Hans-Joachim: Psyche und Wort. Aspekte ihrer llezie-
hungen in Scelsorge. Unterricht und Predigt. Mit Sneh- und
Naniensregisler. Göltingen: Vanclenhneck &: Ruprecht

[1974]. 140 S. gr. 8°. DM 22,-.

Psyche und Wort im homiletischen Vollzug: Nicht ganz
"hnc Schadenfreude nimmt man zur Kenntnis, wie Präger
Kroßer Namen - sicher in der ehrlichen Überzeugung, nicht-
all das „objektive Wort" zu verkünden - ihre Predigten zum
Forum u nbewnll igler psychischer Konflikte machen und
eigene Ängste, eigene Aggressionen auf die Gemeinde projizieren
oder in die biblischen Texte, die biblischen Gestalten
bineininterprelieren. Doch die Schadenfreude macht bald
«ner ziemlichen Betroffenheit Platz, liest man die Analysen
•■bnmilctischen Fehlverbaltens", die der Vf. uns vorlegt
UlOff.), genauer: Man erinnert sich an eigene Predigten, in

denen man persönliche Konflikte (oder auch persönliche Kon-

Ulttängftte) unter dem Mantel scheinbar „objektiver" Verkün-
diffUng vor der Gemeinde ausafiert hat; Predigten, in denen

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man — etwa in Form der Identifikation mit biblischen Autoritäten
— doch nur „die ganze Skala psychoanalytischer Ab-
wehrmechanismen' (112) aktiviert hat, „um schwere eigene
Problematik zu verdecken" (115). Da hilft es wenig, wenn
eine einflußreiche Theologie auf der säuberlichen Scheidung
von „Psyche" und „Wort" besteht und theoretische Ebenen
konstruiert, auf denen das ..Wort1' als eine objektive, ganz
und gar von außen kommende Grüße erscheint (105); das „to-
tale Ineinander" heider Grüßen, das wir an uns selber erlebt
haben, veranlaßt uns dazu, der 'These des Vf.s zuzustimmen:
„Wir stellen also fest, daß alles, was der Prediger verkündet
und gemeinhin als objektiv ausgibt, in jedem Fall subjektiv
in ihm angelegt ist" (107).

Soweit die Diagnose. Die Trage drängt sieb auf: Gibt es
Möglichkeiten, kirchliche Hede (und das heißt hier auch: die
eigene Predigt!) ZU legitimieren, ohne aus der Subjektivität
allen Sagens in scheinbare Objektivitäten auszuweichen? Die

Antworten, die der Vf. hier bereithält, überzeug!.....icht in

gleichem Maße wie seine einleuchtenden Analysen: Da wird
zunächst die „Theologie der Inkarnation" bemüht, um das

Ineinander von Psyche Und Werl Im ..totalen Ineinander Von

Gott und Mensch" zu begründen (105); da wird weiter (untet
Berufung auf Tillich) eine „dimensionale Kommunikation"
empfohlen, in der durch „Partizipation" und „empathische
Einsicht" „eine Subjekt-Objekt-Struktur, die sich nur im
dialektischen Sinne als Gegenüber versteht", überwunden
werden kann (106,1. Bestimmte Wendungen in diesem Zusammenhang
signalisieren — wüßte man es nicht ohnehin
schon —. welchen human wissenschaftlichen Ausätzen sieh der
Vf. vor allem verpflichtet weiß: Tis sind dies die Erkenntnisse
der 'Tiefenpsychologie, insbesondere der Psychoanalyse (wobei
freilich zu C. G. Jung eine größere geistige Näht besteht
als /u S. T rend I. Aus diesen Ansätzen — und nicht etwa aus
der beschworenen ..'Theologie der Inkarnation" — entwickelt
der Vf. auch so etwas wie ein theologisches Programm; man
könnte es — will man schon im Bereich der Genitive bleiben
— als .. Theologie der Individuntion", „ Theologie der Reifung
" kennzeichnen. Genauer: Die Freudache Definition des
Reifebegriffi („Vom Lustprinzip zum Realitätsprinzip", 98)

wird aufgegriffen und theologisch interpretiert; der Vf. bc-
dient sieb dabei der biblischen Begrifflichkeit von „Kind" und
„Erbe": Der Mensch ist nicht nur Kind Gottes, sondern auch

„Erbe des von Gott Anvertrauten" (06), „mündiger Erbe des
väterlichen Besitztums" (79), „Mandatsträger Gottes" (124).
Bedeutet „Reifung" im psychoanalytischen Kontext die „Harmonisierung
von Lustprinzip und Healilätsprinzip" (94), so
vollzieht sich religiöse Reifung analog dazu als „theologische?
Durchdenken und praktisches Realisieren des Zusammenhanges
der biblischen Aussagen von ,Kittd und Erbe'1 (100);
Aufgabe kirchlicher Seelsorge, Erziehungsarbeit und Verkündigung
ist es. mit dem jeweiligen Gegenüber bewußt ..den
Weg vom Kind zum Erben zu gehen" (102f.) und auf diesem
Weg regressives religiöses Verhalten (Flucht vor Konfliktsituationen
und Verantwortung „zurück in die Valerarine
Gottes". 100) zu überwinden.

Ähnlich stellt sich der Vf. Wohl auch die Therapie des eingangs
skizzierten „homiletischen Fehlverhahens" vor: Predigten
werden im analytischen GruppenproZ*S analysiert und
„in Richtung auf das Warum des Vorgetragenen" hinlerfragl
(114). Der Prediger, dem auf diese Weise „durch analytische
Prozesse der Sclbstcrfahrung" (119) zu eigener Reifung ver-
holfen WOrde, kann dann auch seine eigentliche Aufgabe erfüllen
, andere im Prozeß der Selbstfindung (127) zu begleiten.
Als zusätzliche Hilfe erhält er vom Vf. den Hinweis auf eine
mögliche liefenpsx chologische Interpretation biblischer Texte
' llilff.); nnler den Beispielen, an denen dies Verdeutlicht
wird, erweist sich die Slurnislilliingspcrikope als besonders
ergiebig: Die I" herfahrt von einem I fer zum anderen symbolisiert
existentielle VV'andliingsprozesse; das „Wasser" — und
erst recht da« „Meer" — sieht als ein außerordentlich ambivalentes
Symbol für das „Unbewußte", das „Es"; die Fahrt
über das Meer ermöglicht zugleich die „Begegnung mit dem
Muttcrtümhchcn, dem L'teralen". Die Wogen, die in das BoOl

Theologische Lileralurzcilung 100. Jahrgang 1975 Nr. 12