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Ausgabe:

1975

Spalte:

40-41

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Tiede, David L.

Titel/Untertitel:

The charismatic figure as miracle worker 1975

Rezensent:

Pokorný, Petr

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Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 1

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in einmaliger Weise menschliche Gestalt angenommen.
Er kann auch sagen, daß Jesus „die esohatologische Vertiefung
des biblischen Gottesglaubens im Sinne des radikal
verstandenen göttlichen Heilswillens" (S.87) wollte.
Dabei geht der Vf., was für die Klarheit einer exegetischen
Einsicht sprüht, u.E. richtig davon aus. daß diese
Botschaft die Schärfe ihrer Konturen nur auf dem jüdischen
Hintergrund der Apokalyptik empfängt (s. bes.
S.94ff.). Gewisse Fragen brechen auf, wenn er im Blick
auf die Gottverlassenheil Jesu am Kreuz als von einer
„radikalen Krise Gottes" spricht (S.91). Sie sei voller
Disharmonien, für die wir offenbar der Auflösung ermangelten
, es sei denn, es gäbe sie doch. In diesem Zusammenhang
sieht sich der Vf. zu dieser .Antwort genötigt
: „Tatsächlich verstehen die neutestamentlichen
Zeugnisse von der Auferweokung Jesu Ostern als eine
oder besser als die Antwort auf das Kreuz, aber, und
daran hängt zunächst einmal alles, nicht als eine menschliche
, sondern als die göttliche Antwort" (S.91). Negativ
bedeute dies, daß jede Reduktion des Osterglaubens auf
ein rein hermeneutisches Schema historischer oder psychologischer
Art dem Phänomen des Osterglaubens
nicht gerecht werde. Ostern sei vielmehr das Zeugnis
dafür, „daß mit der Geschichte .Jesu in ihrer ganzen
Spannung und Rätselhaftigkeit das radikale Geheimnis
Gottes verbunden ist, das endgültige Ja Gottes". Es
bedeute weiter, „daß dieser Jesus so sehr auf die Seite
Gottes gehört, daß man für alle Zukunft den Begriff
,Gott' nicht mehr ohne di u Namen Jesus von Nazareth
verstehen kann, und umgekehrt, daß Gott für alle Zukunft
in der Geschichte dieses Menschen zu finden ist
und damit in der menschlichen Geschichte überhaupt"
(S.92). In der Folge wird in überzeugender Weise die
unauflösbare Geschehensverflechtung von Kreuz und
Ostern betont, wobei u.E. in der gebotenen Eindeutigkeit
festgehalten wird : „Ostern hat das Kreuz nicht entschärft
, im Gegenteil: Ostern hat das Kreuz Jesu bestätigt
. Nun freilich so, daß auch die Hoffnungen und
Verheißungen, die sieh an Jesus knüpfen, mit dem Kreuz
verbunden bleiben und dadurch ihre radikale esohatologische
Gültigkeit behalten ; das Kreuz ist die untrügliche
Scheidemarke zwischen Utopie und eschatolo-
ejscher Hoffnung" (S.92). In Anbetracht solcher theologischer
Grundeinsieht wird sich das Interesse des
liesers auch vor allem auf die Verhältnisbestimmung von
.historischem Jesus und Kirche' richten, zumal hier das
exegetisch-theologische Problem der Sonderstellung des
Petras einer Antwort zugeführt wird (8.143ff.). Mt
l(i,18f. steht für den Vf. als „Bildung der aramäisch
sprechenden Urgemeinde" außer- Frage, wobei sicherlich
zutreffend - geltend gemacht werden kann, dal.!
diese ätiologische Interpretation des Kephas-Petrus-
Namens durchaus ein fundamentum in re aufweist,
nämlich die Tatsache der primären Rolle des Petrus im
Ablauf des Ostergeschehens. Darüberhinaus aber sei zu
bedenken, daß uns die Evangelien Jesus nicht eigentlich
als „Stifter der Kirche" bezeugten, sondern „Kirche
im Vollzug der Jüngerschaft" beschrieben (S.149).
Nicht zuletzt aber möchte man bedenken, daß die erwähnte
Verhältnissetzung überhaupt nicht durchgefühl t
werden könne, ohne den gekreuzigten Christus zur
Kenntnis zu nehmen: „Eine alte Auslegung von Job
19,34 hat gelehrt, aus der Seite des gekreuzigten Christus
sei die Kirche entstanden. Das ist eine sehr tiefsinnige
Auslegung, vor deren Wahrheit, hat man sie
einmal erfaßt, jeder kirchliche Triumphalismus ver
sfummt" (S.150).

Diese Beschreibung einer profilierten Position mag
genügen. Aus ihr geht hervor, wie sehr bei aller gedanklichen
Durchdringung der genannten Problcmkreisc der
Vf. nie die Mitte des Zeugnisses außer acht gelassen hat.

Seine fundierte Darstellung und Deutung steht offen
unter dein herniencutischen Leitgedanken einer theo
logia, besser: eschatologia crucis, woraus offen?
sichtlich ilie „Geschichte" Jesu ihre verbindliche „Rele
vanz" für den heutigen Menschen empfängt. Der Vf. ist
ein herausragender Vertreter eines heute mehr und mehr
sieht ha ren Konsensus, der sich dort Ausdruck verschafft,
wo die bewährten Methoden wissenschaftlicher Reflexion
anerkannt sind und wo zugleich eine energische
Konzentration hin auf die Zeugnismitte des NT stattfindet
. Da überdies der Einsatz eigener Glaubens- und
Lebensbindung am wenigsten verweigert wird, ist solche
neutestamentliche Wissenschaft auch nach ihrer missionarischen
Aufgabe hin in der heutigen Welt wahrhaft
verantwortet.

XciicihIHIHsiiii A umist Strohcl

Tiedc, David Lenz: The Charismatir Figure ax Miraclc Workrr.

I'uhlished by Society of Bihlieal biteiature for Ihe Seminar
on the Gospels. Missoula. .Montana: Society of Biblical
Uterature 1972. VI. 324 S. 8° = Dissertation SerieB, 1.

Die von H.Köster betreute Harvarder Dissertation
ist ein Beitrag zum Corpus Hellenisticum des Neuen
Testaments, aber gleichzeitig wird da eine These untermauert
, die in der neueren Kvangelienforsehung eine
bedeutende Rolle spielt. Es ist die These, daß Jesus in
gewissen frühchristlichen Gruppen als < iot f mensch
(theios aner) verehrt'wurde and daß die Evangelien eine
Auseinandersetzung mit dieser und mit anderen primi
tiven „Christologien" darstellen. Das untersuchte
Material sind dementsprechend Schriften, die die Tugenden
und Wundertaten der Gottmenschen loben - die
sog. Aretalogien, denen der erste Teil der Arbeit gewidmet
ist. T. unterscheidet zwischen den heilenist isc.hen
philosophischen Aretalogien, wo die Tugendhaftigkeit
des Helden die größte Rolle spiel! und wo der Held
Sokrates, Epikuros, Herakles oder eine andere weise
oder moralisch edle Gestalt ist, und den inirakulösen
Aretalogien, bes. der orientalischen Kulte, wo der Hehl
vor allem ein Thaumaturg ist. Unter anderem an dem
Beispiel der bekannten Biographie des Apollonios von
Tyana. die Philostrat im 3. Jahrhundert geschrieben hat,
zeigt er die Spannung beider Tendenzen. Philostrat versucht
seine Quellen philosophisch zu bearbeiten. Nach
der Monographie von G.Petzke (Die Traditionen über
Apollonios von Tyana und das N.T., 1970), die T. oft
zitiert, und nach der Bonner Dissertation von D.Esser
(Formgeschichtliche Studien zur hellenistischen und zur
frühchristlichen Literatur unter besonderer Berücksichtigung
der vita Apollonii des Philostrat und der Evangelien
, 1969), die T. noch nicht gekannt hat, ist es in der
letzten Zeit die dritte Arbeit, die u.a. dieses Thema
behandelt. Alle drei halten die Aretalogie für die literarische
Gattung, die dem synoptischen und johan
neischen Erzählstoff äußerlich verwandt ist, und in der
philostratischen und z.T. auch in den liikiaiiischen Bearbeitungen
eine gewisse Analogie der markinischen und
johanneisclieii Redaktion darstellen. Gleichzeitig wird
jedoch auch der Unterschied deutlich, der durch die
zentrale Stellung der Passion markiert ist.

Der religionsgesehichtliehe Beitrag T.s besteht darin,
daß er im zweiten Teil das Bild des Moses im hellenistischen
Judentum untersucht. Wir wissen, wie tief das
gesamte Judentum der Zeit Jesu hellenisiert war.
I'hilos vita Mosis war neben Philostrats Werk über
Apollonios die bedeutendste hellenistische Aretalogie,
denn sie betraf auch einen Keligionsst iftcr. Wählend
Ai t.ipanos und in Palästina die Essener und wahrschein-