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Ausgabe:

1975

Spalte:

519-521

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Brüntrup, Alfons

Titel/Untertitel:

Koennen und Sein 1975

Rezensent:

Kandler, Karl-Hermann

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ratur hin geöffnet war. Dies verdeutlicht, wo die (selbslgezo-
genen) Grenzen seiner Darstellung liegen:

t. Wiewohl schon in der Fassung und Begrenzung des Themas
einer theologischen Fragestellung verpflichtet, läßt das
Werk sich nicht auf einen Prinzipienstreit ein (Gustav Krügers
einst berühmte Streitschrift gegen das Dogma vom Kniion
wird nicht einmal erwähnt!), sondern bietet in der dem
Historiker angemessenen Selbstbeschränkung mehr implizite
als explizite Urteile.

2. Die für das Werden des Kanons und die Kanonisierung
einzelner Schriften bedeutsamen liturgiegcschichtlichen Aspekte
treten stark zurück. Die diesem Umkreis geltenden Forschungen
Gerhard Kunzes und Hans Urners erfahren keine
neue Bewertung.

It. Der religionsgeschichtliche und religionsphänomenolo-
gische Hintergrund (wie er von Johannes Leipoldt und Siegfried
Morenz, in anderer Weise von G. Lancz.Uowski erhellt
wurde) bleibt außer Betracht.

4. Der Zusammenhang von Textgeschichte und Kanongeschichte
, durch die Erschließung zahlreicher neuer Textzeugen
in den letzten Jahrzehnten erneut dringlich gestellt,
tritt nur gelegentlich ins Blickfeld.

Die französische Ausgabe weicht inhaltlich nicht von der
deutsch«] ab. Die wichtigste formale Änderung weist den Anmerkungen
den Platz jeweils am Schluß der Kinzelabschnitte
zu. Die Register der Originalausgabe, unter denen man ein
Sachregister vermißte, sind nicht übernommen worden. Die
fbertragiing ins Französische zu lesen, macht auch für den
Freude, der mit der deutschen Originalgestalt umgehl. Manchmal
werden reizvolle neue Akzente gesetzt. So, wenn der erste
Satz des Kapitels über Jesus und das Gesetz lautet: „Die
christliche Bibel ist keine religiöse Neubildung" und in der
Hicrsetzung von Denise Appia und Max Dominier schwungvoll
wiedergegeben wird mit: „La Bible chretienne n'esl pu
une creation exnihilo." Die Beihe La Monde de la Bible, in
der gleichzeitig C.F.D. Moides The Birth of the New Testament
erscheint, hat ihrem Programm, durch Originalausgaben
und Übersetzungen der weltweiten Wissenschaft von
der Bibel zu dienen, in hervorragender Weise entsprochen.

llidlc/Saaie W«l%tf| Wiefel

1 K. II. Ohlig, Die theologische Begründung de» ncutestamontlicho-i
Kanons in der alten Klrcho, KBANT, Düsseldorf 1971. Isidor Frank,
Der Sinn der Knnonbildung. Eine historisch-theologische Untersuchung
der Zeit vom 1. Clcmensbrief his Irenaus von Lyon, Freiburger Theologische
Studien 90, Freiburg-Basel-Wien 1971.

I Das Alle Testament als Bibel der Kirche vom Ausgang des Urchristentums
bis zur Entstehung des Neuen Testaments, in i Aus der
Frühzeit des Christentums, Tübingen 1903, 1S2-190.

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Brüntrup, Alfons: Können und Sein. Der Zusammenhang der
Spätschriften de9 Nikolaus von Kues. München-Salzburg:
Pustet [1973]. 141 S. 8° = Epimeleia. Beitrüge zur Philosophie
, hrsg. für das Philosophische Seminar 1/2 der Universität
München von H. Kuhn, H. Krings ■. F. Wiede-
mann, 23. Kart. DM 25,-.

„Auf metaphysische Weise von Gott zu sprechen, ist unserer
Zeit nicht mehr vertraut. Unverständlich muß es erscheinen
, wenn Gott mit dem Begriff .posse' benannt werden
soll. Die vorliegende Arbeit möchte deutlich machen, wie
Nikolaus von Kues in diesem Begriff seine metaphysische
Sicht des Gott-Welt-Verhältnisses in origineller Weise ausspricht
und damit sein Seinsvcrhültnis überhaupt artikuliert."
Vf. gibt damit (9) deutlich an, worum es ihm in seiner phil.
Dissertation (München 1972) geht. Die Arbeit erscheint jedoch
für eine Dissertation zu unkritisch, da es Vf. um ein interpretierendes
Nachzeichnen der eusanischen Entwürfe geht,
was jedoch sich fast in einer Paraphrase einiger Altersschrif-
ten erschöpft.

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Die Rinlwtffllg gibt geradezu eine Zusammenfassung der
ganzen Arbeit. „Die Gotteserkenntnis ist für Nikolaus von
Kues das letzte Ziel alles Erkcnntnisslrehens", wobei der Got-
lesbegriff „die Zusammenfassung der Gotteslehre zu leisten"
hat (11, 15). „Die Schriften unter dem Leitbegriff posse bilden
in ihrer Gesamtheit den abschließenden Höhepunkt des
eusanischen Denkens" (12). Vf. geht historisch vor und untersucht
die drei Stationen vom Trialogus de possest über Do
venatione sapientiae zu De apice theoriac, wobei andere
Schriften dieser Zeit (Compendium. De lu du globi) etwas zu
kurz kommen.

In De possest entwickelt N. ein Gottesbild, das vom Gegensatz
von posse und esse, der in Gott zusammenfallend
und aufgehoben gedacht wird, geprägt ist. Gott ist „possest",
Gott ist in Wirklichkeil das, was er sein kann. Die dialogische
Darstellung entspricht weithin seinem platonischen Denken
und nimmt den Leser hinein in den Gang seines Denkens und
drückt die „Niehl-Erreichbarkeit des im Begreifen Erstrebten
" aus. N. hält dabei den seit De docta iguorantia aufgestellten
Grundsalz durch: Gott ist die coincidentia oppositorum
(12f., 27f., 53). Die Endlichkeit des Endlichen wird betont,
wobei Christus allein das volle Menschsein erreichte und es
erfüllte, weil er mehr als ein Mensch ist, weil er mit Gott
geeint Gott selbst ist. So ist er als Mensch das, was er sein
kann (37). „Dem Wirklieh-Sein steht das Möglich-Sein gegenüber
. Ihre oppositio ist das Kennzeichen des Endlichen, ihre
Koinzidenz das Kennzeichen Gottes" (53). Die Spekulation
mündet in die Schau des Geheimnisses der Trinität: „Dus
Sein setzt das Können voraus, wie der Sohn den Vater. Das
Können setzt nichts voraus, da es die Ewigkeit ist. Das Können
, das keinen Ursprung voraussetzt, das Sein, das einen
Ursprung voraussetzt, und beider ursprüngliche Verbindung
— in dieser Dreiheil offenbart sieh die ewige Ursprungs-
Kinheil Gottes" (62).

Die zweite Station wird gekennzeichnet durch den Begriff
„posse fieri"; die „Voraussetzung des Seienden ist das Werden
-Können". Als eigenständiges Prinzip bezeichnet es die
Will im Zustand der Möglichkeit und ist von flott, dem
..posse fucere". geschaffen und zum „posse factum" verwirklicht
. In diesen Begriffen erhält das (iott- Welt-Verhältnis ein
„dynamische*! Geftige von KSnnens-MoaalitBtenH, wobei Gott
als „der Tätige und Wirkende, als der Schöpfer gesehen" wird
(13, vgl. 72, 75. 81, 83, 101).

Das Ziel des Streben! nach Gotteserkenntnis wird bei N.
zweifellos erreicht in De apice theoriac, wo der Begriff „posse
ipsum" untersucht wird. Iiier meint N. den unüberbietbaren
Gottetnamen gefunden zu haben, „ein lel/.lgültig Aussagbu-
res, insoweit über Gott überhaupt Aussagen gemacht werden
können" (14, 106). Mit posse ipsum ist das Können alles Könnens
, die quiddital absoluta gemeint, „die alles posse cum
addito zu seinem jeweiligen spezifischen Können befähigt"
(133). So enthüllt sich die Wirklichkeit der Welt als ein „Be-
ziehungsgedecht von wirkenden Kräften, die sich — auf der
höchsten Stufe der Könnens-Offenbarung, der mens huma-
na — durch dus absolute Können bewirkt und crmiichligt
wissen" (14). „Die mens huniiina erschaut im Vollzug ihrer
selbst in sich selbst den Grund der Erscheinungen und den
Grund ihres eigenen Könnens: das Können-Selbst." Das ial
ihr eigentliches Ziel, das nicht begrifflich vermittelt wird,
sondern in der Schau geschieht, da das posse ipsum über
allem Begreifen liegt. Im „Gipfel der Schau" findet die mens
ihr Ziel und Buhe ihrer Erfüllung, „da sie den erblickt, von
dem sie selbst sich zu diesem Sehen ermächtigt weiß". So
kehrt die mens im Vollzug ihres Könnens, das Ziel ihrer Sehnsucht
schauend, zu ihrem Ersprung zurück (133, 129f.).

Die drei Entwürfe lassen eine deutliche Entwicklung der
Perspektive erkennen. Mit Hilfe des posse-Denkcns will N-
immer klnrer zur Darstellung dessen fortschreiten, was eigentlich
nicht darzustellen ist. denn die Goltesnnmen sind „ihren'
.Gegenstand' wesentlich unangemessen". Obwohl sie inadäquat
bleiben müssen, versucht .. „das Unendliche in begriff"
lich-sprachlicher Weise darzustellen" (14, Iß). Vf. hat wohl
nicht recht, wenn er diese Entwicklung als „Dynamisierung

Theologische Lileraturzeilung 100. Jahrgang 1975 Nr. 7