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Ausgabe:

1975

Spalte:

28-31

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Smith, Morton

Titel/Untertitel:

Palestinian parties and politics that shaped the Old Testament 1975

Rezensent:

Wächter, Ludwig

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Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 1

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kauft Gottes in der Geschichte und in der Unverfügbarkeit
seiner Anwesenheit in der Wirklichkeit-denn ,auch
im Augenblick seiner Ankunft kommt er nicht einfach
iu der Welt vor' - liegt die Aufhebung des Mythischen
begründet. Die Mächte und Gestalten des Mythos sind
dagegen immer auch innerweltlich vorfindlich, mit ihnen
will etwas Begrenztes Transparent des Unbegrenzten
sein (57). Die Jahwereligion ist ,nachmythisch' (ebd.).
Das Mythische feiert indes eine Wiederkunft in der aeils-
geschichtlichen Erzählung. Dieser Thematik geht der
zehnte Essay nach (57-69). Sie erfährt nun auch an bestimmten
Texten ihre Exemplifizierung und Entfaltung
, besonders an den Erzählungen von der Rettung
am Schilfmeer (61 ff). Im letzten Gedankengang unter
dem Thema der Tradition zeigt M. „Jahwe im Zwielicht
des Mythischen" auf (69-75).

Die vier Abhandlungen, die unter das Stichwort
/Revolution' geordnet sind, wenden sich noch einmal
stärker dem Alten Testament zu. Dabei nimmt der
zwölfte Abschnitt .Emanzipation und Revolution'
(76-82) die Funktion einer Exposition wahr. Erst in 13.
,Die Freisetzung der Vernunft' (83-94) erörtert der Vf.
die These, daß gerade das Mythische nicht nur selbst
rationale Implikationen besitzt, sondern darüber hinaus
„eigens Triebkräfte für eine rationale Wirklichkeitsdurchdringung
aus sich heraussetzt" (84). Zur Illustration
dessen, was damit gemeint ist, führt M. die beiden
Schöpfungsberichte aus Gen 1 und 2 vor (90ff). Für das
Thema ,Geschiehtsvollmacht und Zukunftsverantwort-
tung' (94-106) werden die Unheilsankündigungen der
alttestamentlichen Propheten herangezogen, hauptsächlich
aus Arnos, Hosea und Jeremia, während die Gottesreden
des Hiobbuches und die Heilsankündigungen des
Deuterojesaja im letzten (15.) Essay unter das Motto
,Das ernste Spiel. Zum Problem einer nachkritischen
Naivität' (106-118) gestellt werden.

H.-P.Müller hat mit seinen Darlegungen eine sehr
wichtige Frage aufgegriffen, die Frage nach Wesen und
Funktion des Mythos. Es ist ihm wohl auch gelungen
(zumindest von seinem Mythosverständnis her), nachzuweisen
, daß und wie Mythisches bis in die moderne
Denk- und Lebensgestaltung hinein wirksam ist. Ihm
lag ferner daran, die hermeneutische Funktion des
Mythischen in den biblischen, namentlich den alttestamentlichen
Texten aufzuzeigen und zugleich kenntlich
zu machen, wann und wo im Alten Testament die
Mythologie durchbrochen und mythisches Denken verlassen
wird. Man kann dieses Bemühen nur begrüßen.
Leider ist die Lektüre dieser Essays nicht sehr einfach.
Eine komplizierte Denk- und Redeweise erschwert den
Zugang zu den erwägenswerten Ausführungen des Vf.s.
Man muß Sorge haben, daß der zu Eingang erwähnte
studentische Adressat nicht erreicht wird. Die Ausführungen
wirken wie ein Stück (notwendiger und willkommener
) Selbstabklärung der Gedanken und Probleme
, an der M. seinen Leser teilnehmen läßt. Eine
Schwierigkeit besteht freilich darin, daß eine gegenseitige
Verständigung im Gebrauch der Begrifflichkeit nur
so erreicht werden kann, daß man sich auf die (wirklich
auch immer konsequent durchgehaltene?) Verständnisgrundlage
Müllers einläßt. Was ist eigentlich jeweils unter
Mythos, Mythologie, Mythisches, Mythologisches (s.
S. 11), Tradition, Revolution, Schicksal, Ergriffenheit,
Zukunft, Erwartung, Heilsgeschichte, Religion, Wirklichkeit
u.a.m. zu verstehen? Der Leser merkt natürlich
auch bei dem Begriff .Ontologie' auf (59,74) und fragt
sich nach seiner Bedeutung im exegetisch-theologischen
Zusammenhang. Trotz mancher skeptischen Bänglichkeit
darüber, ob auch nichts begrifflich abgefälscht ist,
sollte man sich mit diesen Müllerschen Versuchen Iber
Mythos, Tradition und Revolution beschäftigen und auseinandersetzen
. Es gehört nicht zu den Selbstverständlichkeiten
, daß ein Alttestamentler sich phänomenologischen
, philosophischen sowie systematisch-theologischen
Fragestellungen eigens zuwendet, um von dorther
neue Verständnismöglichkeiten für das Alte Tei ba
ment zu erschließen.

(Corrigenda: S.5, 9.Zeile von oben muß es heißen
Revolution; S.27, 10.Zeile von unten: Subjekt, sein;
S.72, 11.Zeile von oben: explizite; S. 117, letzte Zeile:
Zu k u uf t sverantwortung),

Lftlpslg Siegfried Wagner

Smith, Morton: Palefttinian Parties and Politics that Skaprd
tlie Old Testament. New Kork London: Columbia Univer-
sity Press 1971. VJJ1, .'148 S. gr. 8° = Lectures on the
llistory of Religion! sponsored l>y tbe American Council of
Leanied Societiee, X.S.. 9. £ 4.25.

Das Buch will die Frage beantworten, (reiche Kreise
zusammen- und gegeneinander wirkten, um das Alle
Testament in der uns vorliegenden Form entstellen zu
bissen. Die formgeschichtliche Metbode (form oriticism)
hat zwar bei der Klassifizierung der literarischen Können
Hervorragendes geleistet, ist aber bei der Bestimmung
ihres „Sitzes im Leben", d.h. ihres sozialen Hintergrunds,
zu keinen überzeugenden Ergebnissen gelangt. Historische
Untersuchungen haben soziale Gruppen ei
schlössen, die nicht in das überlieferte Material passen,
so z.B. die Kultpropheten an den Heiligtümern. Bei
der Suche nach dem „Sitz im Leben" wurden hypothetische
soziale Hintergründe gefunden: die Arnphik-
tyonie, die jährliche Bundeseineuerung und das jähr
liehe Thronbesteigungsfest. Bestand dies alles, so wäre
zu fragen, warum das AT darüber nicht explizit berichtet
; bestand es nicht, dann beweist der Zwang, solche
nichtexistenten Größen aufzustellen, daß die Beziehung
der so erklärten Texte zu ihrem wirklichen historischen
Hintergrund gebrochen ist (S. 1-9). Wir haben es also
mit Texten zu tun, „which do not directly or fnlly tepre-
sent their original environment". Dies kommt daher, daß
das im AT Überlieferte durch mehrere kritische Aus-
wahlprozesse gegangen ist (S.9).

Die uns vorliegende hebräische Bibel ist- vor allem
einmal Zeugnis der Interessen der Pharisäer, welche die
Bücher des AT nicht nur auswählten und interpretiert en.
sondern auch ihren Text sorgfältig festlegten und korrigierten
. Vor den Pharisäern geschah eine kritische Auswahl
der Überlieferung durch die Makkabäer, davor
durch Nehemia und davor durch die. deuteronomische
Schule. Die jeweiligen Kr eise, welche die ,,1'eda kt innen"
durchführten, waren nicht miteinander identisch. Was
wir im AT vor uns haben, ist nicht die Literatur einer
einzigen Partei, sondern einer großen Zahl und langen
Reihe (succession) von Parteien, die manchmal miteinander
Kompromisse schlössen und zeitweilig zusammengingen
, dann sich wieder entzweiten und schließlich
auf Grund ihrer Trennung verschiedene Sammlungen
der Literatur bewahrten „Pharisaic and Samaritan,
Greek and Syriae" (S. 10-12). Zeichen ihrer früheren
Differenzen sind die Widersprüche zwischen und in den
verschiedenen alttestamentlichen Büchern ; Zeichen ihrer
Bündnisse ist die gemeinsame Bewahrung von solchem
einander widersprechenden Material (S.12). Dabei versteht
der Vf. das Wort „Partei" (party), mit dem er
durchgehend operiert, nicht im Sinne einer straffen
Organisation, sondern als „a body of like-minded indi-
vidnals". So wie das Studium der Dokumente mit der
Geschichte der Tradition beginnen sollte, so sollte die
Geschichte der Tradition mit der Geschichte der Parteien
beginnen - „the attempt to distinguish and des-