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Ausgabe: | 1974 |
Spalte: | 125-129 |
Kategorie: | Kirchengeschichte: Reformationszeit |
Autor/Hrsg.: | Ozment, Steven E. |
Titel/Untertitel: | Mysticism and dissent 1974 |
Rezensent: | Wendelborn, Gert |
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Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 2
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scheint mir fraglich-, sind noch zwei weitere Beiträge mit Denkern insofern deutlich abhebt, als bei ihm die mysti-
Problemen der englischen Reformation, und zwar mit sehen gegenüber rationalen Erwägungen zurücktreten,
dem Gegensatz zwischen calvinistischer und anglika- so daß er ähnlich den Sozinianern und Anninianern als
nischer Ämterlehre, befaßt. In dem vielleicht gewichtig- Bindeglied zwischen Humanismus und frühem Rationalisten
Teil des Bandes, dem Aufsatz „Beza's treatise ,De ums wirkte, was man trotz vorhandener rationaler Ele-
triplici episcopatu'" (S. 130-187; bisher ungedruckt), ist mente von den Wiedertäufern und Spiritualisten des
eine in neuerer Zeit im Original noch unveröffentlichte 16. Jh.s nicht behaupten kann.
Abhandlung Beza», wahrscheinlich von 1576, abgedruckt, Alle diese Persönlichkeiten waren aber „Dissenters"
in der der Genfer Reformator dem schottischen Kanzler im Sinne einer prinzipiellen Absage an die bestehenden
Lord Glamis seine Auffassung vom Bischofsamt sowie zu Staatskirchen und suchten idealistische Alternativen zum
Fragen des Verhältnisses von Kirche und Staat und der kirchlichen Establishment in seiner römischen, Witten-
Exkommunikation auseinandersetzt. In „The contro- berger, Zürcher und Genfer Ausprägung. Sie griffen als
versy between Presbyterianism and Episcopalism sur- solche freudig auf die spätmittelalterliche Mystik zurück,
rounding und during the Synod of Dordrecht 1618-1619" weil in dieser das unmittelbare Verhältnis der gläubigen
(S. 207-220) schildert der Vf. die Bemühungen des eng- Seele zu Gott im Sinne der Einwohnung Gottes im Seelen-
lischen Delegierten George Carleton, die episkopalisti- grund die historisch vermittelten und institutionell kana-
schen Grundsätze der anglikanischen Kirche in Dordrecht lisierten kirchlichen Gnadenmittel wie Schrift und Tradi-
zur Geltung zu bringen. tion, Wort und Sakramente beiseite drängte, ja im radi-
Dio beiden Aufsätze über Bucer (,,A remarkable kalen Falle gegenstandslos machte. Auch die Scholastik
historical argumentation in Bucer's ,Judenratschlag'" unterschied zwar zwisohen der potentia Dei absoluta und
8,23-37;,,Bucer and the Jews" S. 38-72) gehören thema- der potentia Dei ordinata, doch naoh ihrer Auffassung
tisch zusammen. Der Vf. zeigt, daß Bucers Empfehlung hatte sich Gott in freiem Entschluß so unbedingt an den
harter antijüdischer Maßnahmen in der praktischen Poli- normalen kirchlichen Weg der Gnadcnvermittlung ge-
tik mit seinen theologischen Auffassungen über Israel bunden, daß seine theoretisch jederzeit mögliche direkte
nicht gut zusammenpaßte, und daß auch die ausführ- Begegnung mit den Gläubigen faktisch in den Bereich der
»che historische Begründung dafür, die er dem Landgra- Fabel verwiesen wurde. Die Vertreter des linken Flügels
fen 1538 gab, auf sehr schwachen Füßen stand. rler Reformation dagegen sahen in der direkten Einwoh-
Drei Beiträge behandeln - sorgfältig abwägend, aber nung des Geistes Gottes in der Seele des Gläubigen das
ohne wesentlich neue Aspekte - Einzelfragen der Ekkle- Kriterium echten Glaubens, während die schriftlich
Biologie Calvins („Calvin s attitude towards the symbols fixierte Bibel und der äußerliche Vollzug sakramentaler
<n the early church during the conflict with Caroli" Handlungen nur Hinweis auf das eigentliche Geschehen
S.73-96; „Calvin and the Augsburg Confession" S.97 dei Einung Gottes mit dem Glaubenden sein können und
bis 114; „Calvin's life and work in the light of the idea of als solcher nur Abbild und Schatten der wahren Schrift
tolerance" S. 115-129). In „Coomhert and the Heidel- und der wahren Sakramente darstellen. Bleibt es wie in
berg Catechism" (S. 188-206) schließlich interpretiert den Staatskirchen beim äußerlichen Vollzug ohne fol-
der Vf. Coornherts Widerspruch gegen die reformierte gende Verwandlung des ganzen Menschen durch den
Rechtfertigung»- und Prädestinationslehre als „moment Prozeß des Mitleidens, Mitsterbens und Mitauferstehens
■• of the great controversy between Huinanism and mit Christus in der Nachfolge unter dem Kreuz, in der der
Deformation" - auch dies keine brandneue These. Glaubende allem Welthaften abstirbt und sich allein auf
Göttinnen Hemd Mo-ii-r Gott um* seinc ew'f?en Giiter ausrichtet, so ist die Schrift
als ein dann mit sieben Siegeln verschlossenes Buch sogar
toter und tötender Buchstabe und die Spendung der
Sakramente eine sinnlose und schädliche Zeremonie. Das
Verständnis des wahren Sinnes der Bibel kann nur durch
«mcni, Steven K. i Mysticism and Disscnt. Religion* Ideolcgy den Geist in uns erweckt werden, denn die Schrift vermag
and Soc.al Protest in the Sixtetnth Centuiy. New Häven, { h n;cnt mMt interpretieren.
London: Yale Un.versity Press 1973. XIII. 270 S.gr. 8°. Lw. IndefJ wenf,en ^ (liePVeilreter de8 radikalen Flügels
der Reformation nicht nur gegen die lutherische These von
Steven E. Ozment, ein Schüler Heiko A. Obermans, der der Suffizienz der Schrift, sondern auch gegen die impu-
jwhon in den letzten Jahren durch bedeutende Veröffent- tative Rechtfertigungslehre, da diese nur zu einem er-
•chungen hervortrat, untersucht im vorliegenden Buch dichteten Glauben ohne reale Verwandlung des Menschen
'*en Einfluß der Theologia Deutsch auf führende Vertre- führe, wie überhaupt gegen die lutherischen „solae" und
er des linken Flügels der Reformation. Er charakterisiert folglich auch gegen die fides ex auditu. Der Lehre vom
eingangs die religiös-theologische Eigenart dieser anony- positiven Wirken des Geistes im Seelengrund entspricht
mystischen Schrift des Spätmittelalters auf dem negativ die Polemik gegen die Bindung der Heilsvermitt-
T*"itergnind mystischen Theologisierens im Mittelalter lung an das Wirken der kirchlichen Amtsträger. Diese
"berhaupt, beschäftigt sich in einem 2. Kap. mit den Neu- Bindung verstehen sie als Beweis der vom kirchlichen
UKK»ben der Tiicologia Deutsch in der Reformationszeit Establishment ausgeübten Tyrannei in Glaubensfragen.
pUn'h Lut her, Haetzer und Castellio und der lateinischen Naturgemäß muß der rationalisierende Castellio diese
p.!lriiphri!,s». Francks und entwirft darauf in Einzelkapiteln Tyrannei besonders stark empfinden. Er wirft Calvin vor,
mV. fai l»igcs Bild dM Wirkens und Wollens von Thomas die Gewissen zu knechten und die Gläubigen auf Dogmen
^«ntzer, Hans Hut, Hans Denck, Sebastian Franck, wie die Prädestinations- und die Rechtfertigungslehre
^bastiun Castellio und Valentin Weigel, um so die Hinter- festzulegen, die in der Bibel nicht eindeutig entschieden
Knindn i]m,H Interesses für die spätmittelalterlichc domi- würden, während das zweifelsfrei Sichere wie der neue
H**JU«ohe Mystik Im allgemeinen und die Theologia Wandel des Glaubenden in Liebe und Sittenreinheit als
«uWh im bosondcrell erhellen zu können. Naturgemäß zweitrangig übergangen würde. Man polemisiert gegen die
" (|abei sein Blick in erster Linie auf den grundlegen- auf den Universitäten ausgebildeten kirchlichen Amts-
«•Jj Gemeinsamkeiten dieser Denker, doch treten auch träger aber vor allem, weil diese nicht auf Grund der Em-
,urp- EigenHrten plastisch hervor. Nur müßte stärker Wirkung des Hl. Geistes in ihrer Seele, sondern aut Grund
»rauf hingewiesen werden, was die Darstellung faktisch ihrer rein intellektuellen Ausbildung zu Mittlern der
""""in beweist, daß Castellio sich von den anderen Heilsgaben Gottes gemacht würden. Sie vermochten nie-