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Ausgabe:

1974

Spalte:

931-935

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Pollmann, Klaus Erich

Titel/Untertitel:

Landesherrliches Kirchenregiment und soziale Frage 1974

Rezensent:

Nowak, Kurt

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Seite 1, Seite 2, Seite 3

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Kolntiug to tho Revival", p. 531—500) Howio mit dein
von Edwards verfaßten Vorwort zu „Truo Religion''
von J. Bellamy (1719—1790), seinem Schüler und
Freund, der wie Edwards selbst den gemäßigten Kongregationalismus
vertrat („The Profaoe to True Religion
by Joseph Bellamy", p. 567—572). Ks datiert vom
August 1750 und wurde von Edwards gesollrieben, kurz
nachdem er, zufolge gegnerischer Aktivitäten nmtsent-
hobeh, seine Absohiedspredigt gehalten hatte.

Das Buch stellt Insgesamt eine wertvolle, gut kommentierte
Dokumentation für joden dar, der etwas
tiefer in die Geschichte der nordamerikanischen Er-
weckungsbewegung eindringen möchte. Daß die Kom-
inontaro des Herausgobers auf Grund der eigenen theologischen
Position mit der Erwockungsbewegimg als
der „national conversion" Amerikas stark sympathisieren
und vielleicht manche Aspokte einer möglichen
differenzierten Sicht vor allem der zeitgenössischen
nationalen und sozialen Aspekte außer acht lassen, sei
im Blick auf den hohen informativen Gehalt des Buches
nur am Rande erwähnt. Ein Genoral Index der Namen
und Sachon, ein Bibelstellen-Registor sowie zahlreiche
Rückvorweise in den Texten auf dio entsprechenden
Passagen in der Einleitung des Herausgebers erhöhen
den wissenschaftlichen Wert des Buches.

Potsdam-Bnbcisberg Tlso Bertinetti

Pollmann, Klaus Erich: Landesherrliches Kircheuresiment
und soziale Frage. Der evangelische Oborkirchenrat der
altproußischen Landeskirche und dio sozialpolitische Bewegung
der Geistlichen nach 1890. Mit einem Vorwort von
W. Bussmann. Berlin-New York: de Gruytor 1973. XII.
329 S. gr. 8° = Veröffentlichungen der Historischen Kommission
zu Berlin, 44. Lw. DM 112,—.
In seiner bei der historischen Kommission zu West -
berlin gedruckten Braunschweiger Dissertation von 1971
untersucht Vf. ein Thema, das in seiner Verzahnung von
Kirchengeschichte, Sozialgeschichte und Politik nicht
nur für den engeren Kreis der Kirchenhistoriker, sondern
für jeden, der sich mit der wilhelminischen Ära
beschäftigt, von Interesse sein dürfte. Vf. hat sich in
umfangreiches Archivmaterial, in theologische und kirchenrechtliche
Literatur eingearbeitet. Akribie und Behutsamkeit
im Umgang mit den Quellen zeichnen ihn
ebenso aus wie die Fähigkeit zu analytischer Durchdringung
und überzeugender Anordnung des nicht selten
spröden Materials.

Die Rechtfertigung für sein Unternehmen, landesherrliches
Kirchenregiment und soziale Frage einander
zuzuordnen, erblickt Vf. u. a. darin, daß schon zeitgenössische
Kritiker meinten, der mangelnde Beitrag
der Landeskirche zur Lösung der sozialen Frage sei
,,weit stärker auf die landesherrlich-staatskirchliche
Verfassung als etwa auf die sozialethischen Implikationen
ihrer theologischen Auffassungen" zurückzuführen
(1). Betrachtet man die sozialethischen Ansätze
führender Theologen der damaligen Zeit, wird man
diesem Urteil, das sich Vf. zu eigen macht, hinzufügen
müssen: unabhängig von ihren institutionellen (und
soziologischen) Gebundenheiten waren Theologie und
Kirche auch geistig weithin nicht in der Lage, den aufgebrochenen
Fragen gerecht zu werden, wonngleich die
Dringlichkeit ihrer Lösung vielerorts stark empfunden
wurde. In führenden zeitgenössischen Ethiken sucht
man vergeblich nach ausführlichen Erörterungen einschlägiger
Themata. Daß Vf. das Schwergewicht der
Institutionsproblematik betont, hat natürlich gute
Gründe für sich. Da Wilhelm II. als summus episcopus
auf die altpreußische Landeskirche erheblichen Einfluß

DM

ausübte, der sein«™ zu Hypertrophie neigenden perso-
nalistischeu Führungsstil im Staate entsprach, zudem
die kirchlichen Organe durch die Staatsbürokratie in
ihrem Spielraum eingeschränkt waren, ist das methodische
Prinzip des Vf.s gerechtfertigt. Sicher wäre auch
ein anderer methodischer Ansatz denkbar, der — gei-
StSS- und theologiegeschichtlioh weiter ausgreifend -
die Stellung der Landeskirehe in den Zusammenhängen
eines tiefgreifenden politischen, gesellschaftlichen und
sozialen Umbruchs reflektiert. B. Plongeron hat kürzlieb
in einer Studie, dio dem Auseinandertreten von Aufklärungsdenken
und katholischer Theologie und Kirchenlehre
im Frankreich der Jahre 1770—1820 nachgeht
, methodische Wege gewioson, die auch für die
Weiterarbeit an einem solchen Stoff verheißungsvoll
sein könnten '. So ist der Mangel an modornen theologischen
Entwürfen, die im Deutschland des ausgehenden
19. Jahrhunderts der Sozialbowogung gerecht werden
können, nicht allein von der Institutionsproblematik
her deutbar. Hier ist tiefer zu fragen, sind die
Wechselwirkungen zwischen Kirche, Staat, Gesellschaft
und Kollektivbewußtsein, die Bedingungen für ihre
strukturollen Übereinstimmungen und ihre Spannungen
weit übor Institutionsgesichtspunkte hinausgehend zu
analysieren.

Gegliedert ist dio Studio, deren Verdienst es ist»
einem wichtigen Aspekt in überzeugender Weise nachgegangen
zu sein, in zwei Teile. Im ersten Teil „Die
Entwicklung dor evangelischen Landeskirche der alt-
preußischen Union in ihren Grundzügen 1876—1914"
(7—72) wird dio verfassungsgeschichtliche und organisatorische
Entwicklung der Landeskirche skizziert, um
das Gefüge der kirchlichen Apparatur — bis hin zu den
kirchenpolitischen Gruppierungen und Vereinigungen —
in ihrem Mit- und Gegeneinander zu durchleuchten. In
diesem Aufriß wird doutlich, daß die Unantastbarkeit
des landesherrlichen Kirchenregiments, das dem EOK
als Intogrationsfaktor für die divergierenden Kräfte
in der Landeskirche unentbehrlich schien, offenes und
geheimes Leitmotiv seines Handelns war. Bedenkt man,
daß Wilhelm II. in der Landeskirche einen wichtigen
Aktivposten für seine Sozialpolitik sah, wird leicht klar,
wie stark das Staatskirchentum eigenständige kirchliche
Beiträge zur Lösung dor sozialen Frage beeinflussen
und hemmen mußte. Diese (gewiß nicht neue)
Einsicht im differenzierten Aufweis der Struktur des
kirchlichen und staatlichen Kräftefeldes mit einer Fülle
von Details zu stützen, macht den Wert dieses Teils aus.
Bei der kursorischen Darstellung des „Evangelischen
Bundes" hätte man sich einen Hinweis auf das in der
Anfangszeit seines Wirkens nicht fehlende sozialpolitische
Interesse gewünscht, wie es etwa durch die Verbindungen
zu L. Weber, durch verschiedene Flugschriften
(Beyschlag, Gümbel) und durch das Schreiben
an Stumm 1895 zum Ausdruck kam. Die 1897 gegründete
kirchlich-soziale Konferenz hätte mehr Beachtung
verdient.

Der zweite Teil „Landesherrliches Kirchenregiment
und soziale Frage" (73—-293) bildet den Schwerpunkt
der Studie. In drei großen Abschnitten werden die Haltung
des EOK und die sozialpolitische Bewegung der
Geistlichen zwischen den Kaisererlassen von 1890 und
dem Beginn der Ära Stumm (85 ff.), in der Krisenphase
1895/96 (157 ff.) und bis zum Ausbruoh des Ersten
Weltkrieges (286 ff.) untersucht.

Der Eindruck des „Zickzackkurses", um jene gän
gige Formulierung, die schon D. von Oertzen in seiner
Stoecker-Biografie verwendete, aufzunehmen, den der
EOK sozialpolitisch einschlug, wird durch die Untersuchung
des Vf.s voll bestätigt. Freilich wird gleich-

Theotogisehe LHeraturteitung 99. Jahrgang 1974 Nr. I-'