Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1974

Spalte:

226-227

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Hollweg, Arnd

Titel/Untertitel:

Theologie und Empirie 1974

Rezensent:

Müller, Norbert

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

225

durch Christus geboten, die .lüngel allerdings nicht ausdrücklich
anspricht, die aber Rahncr sehr betont geltend
macht. Sie verbietet der Theologie, es in Zukunft bei einer
lediglich positivistischen Hcgründung der Notwendigkeit von
Taufe und Abendmahl bewenden zu lassen und könnte in der
Tut neues Licht auch auf „die interkonfessionelle Kontroverse
um die Zahl der Sakramente" (Rabner, 85) werfen.

Das Buch von Köhnlein stellt den Teil einer 1966 abgeschlossenen
unveröffentlichten Erlanger Dissertation über
„Katholische Worttheologie" dar, der sich mit K. Rahner
beschäftigt. Der Vf. „disputiert" mit Rahner über die sechs
Thesen von dessen bereits genanntem Aufsatz „Wort und
Eucharistie". Freilich zieht er eine Fülle weiterer Schriften
Mahners heran, so daß die Arbeit sich stellenweise ausweitet
zu einer Darstellung und Diskussion wichtiger Grundaus-
Kugen Rahners überhaupt (z. R. seiner grundlegenden
Theorie vom „übernatürlichen Kxistential" und von der
„potentia oboedientinlis". vor allem unter Heranziehung des
Frühwcrks Rahners „Hörer des Wortes"). Dies war nötig,
weil eine Auseinandersetzung mit der Sakramcntsthcologic
Rannen einen solchen Rückgriff unerläßlich macht. Vf. fragt
mit Ebcling, ob Rahners Sakrumentsbegriff trotz aller seiner
neuen Aspekte nicht doch „mit Sicherheit in das definierte
Dogma und die Wirklichkeit der katholischen Kirche einmündet
" (20). Unter dem Maßstab der „evangelischen
Ansicht, daß das Sakrament der präzisen Erfassung des
Wortes Gottes zu dienen hat" (23), wie es bereits in der
gesprochenen Verkündigung voll gegeben ist, bejaht der Vf.
letztlich diese Frage. Denn für Rahner stellt das — als
Höchstfall des Wortes begriffene — Sakrament tatsächlich ein
qualitative! Mehr gegenüber der mündlichen Verkündigung
(als einem defizienten Modus des Wortes) dar. Im einzelnen
kritisiert der Vf. an Rahner: duß dieser das Wesen des
Sakramentes vom Wesen des Wortes und der Kirche her
deduziert und nicht aposteriorisch von der der Kirche vorgegebenen
Einsetzung Christi her beschreibt; daß das
<inadengeschchen für Rahner primär unter dem inkarna-
torischen Modell „Teilhabe nn der göttlichen Natur" und
nicht in der Relation Wort-tilaube mit der Kotschaft von
Kreuz und Auferstehung im Mittelpunkt verstanden wird;
daß Mahner anthropologische Strukturen und nicht primär
exegetische Ergebnisse für das Verstehen von Heil und
Gnade entscheidend sein hißt; daß Rahner dementsprechend
eine Gestuftheit des göttlichen Wortes und seiner Gnadeneffektivität
in Entsprechung zur Gestuftheit menschlicher
Rede und menschlicher Situationen kennt — während doch
in kcrygmalisch-inhaltlicher Hinsicht (nach des Vf.s Meinung)
•ine solche Stufung gerade nicht statthat. Vor allem aber
wird Mahners Auffassung von der Kirche als Ursakramcnt
kritisiert, in dem die Gnade unzerstörbar und endgültig
inkarniert ist, womit — trotz Rahners eigener Warnung —
die Grenzen zwischen Christus und der Kirche, zwischen
dem Letztgültig-Eschalologischen und den durch dieses
Gerufenen und Antwortenden verwischt werden. Daß die
7 Sakramente nach Mahner faktisch mit der Kirche als ihre
Selbst Vollzüge von Christus eingesetzt sind, nimmt ihnen ihre
„kerygmatische IJnverwechselbarkeit" (107), die nur durch
ein „außerekklesiologiscbes Kriterium" (105), nämlich eben
die Einsetzung durch Christus im Gegenüber zur Kirche,
gesichert ist.

Gewiß hat der Vf. recht, daß man bei Rahners Kirchenbegriff
auf dns bleibende Gegenüber Christi und seines
Wortes als des schaffenden, richtenden und erlösenden
Wortes verweisen muß. Daß dennoch die Sakramente ihrem
Wesen nach primär ekklesiologisch zu begründen sind —
zumal der exegetische Nnchweis ihrer Einsetzung durch
Christus kaum mehr so zu leisten ist, wie es der Vf. voraussetzt
—, ist damit nicht ausgeschlossen. Hier führt Jüngels
Ansatz doch wohl weiter, nur sollte dabei eine Gnaden-
« ffektivilät „in, mit und unter" dem kirchlichen Geschehen

226

nicht geleugnet werden. Und eben dieses „in, mit und unter"
nötigt ja wiederum zu der — vom Vf. abgewiesenen — Rah-
nerschen Überlegung, ob nicht ganz grundsätzlich die
Geltalt und Wirkung der Gnade und des Wortes — und also
auch etwaige Stufen einer solchen Gestalt und Wirkung —
tatsächlich auch wesentlich von anthropologisch-soziologischen
Faktoren als von dem geschichtlichen Ort ihres
Ergchens abhängen. Warum sollte es ausgeschlossen sein,
daß im Rück auf die Sakramente über ein Proprium der
Art und Weise der Gnadcnvcrmittlung (das der Vf. allein
zugesteht) hinaus hier in neuer Weise auch ein sachlich-
inhaltliches Proprium sichtbar wird? Daß wir mit solchen
Fragen gemeinsam mit dem Vf. auf dem Wege sind, deutet
er selbst in seinem vier Jahre später (1970) geschriebenen
Vorwort an, in dem er selbstkritisch zugibt, daß er heute
„Wort und Geist nicht mehr so souverän selbständig und
uninterpretiert der Kirche als Institution gegenüberstellen"
würde, da ja „das Wort praktisch nicht weniger ercatura
ecclesiae, als die Kirche theoretisch creaturn verbi ist"
(7 u. 8). Dieses gälte ja dann erst recht für die Sakramente.

Leipzig Ulrich KüUn

Hollweg, Arnd: Theologie und Empirie. Ein Reitrag zum
Gespräch zwischen Theologie, und Sozialwissenschaften
in den USA und Deutschland. Stuttgart: Evangelisches
Verlagswerk [1971]. 590 S. gr. 8°. Lw. DM 32,50.
Der Verfasser hat es unternommen, in diesem außerordentlich
materialreichen Ruch einer doppelten Aufgabe zu
dienen: Einmal werden Informationen und Interpretationen
zu der besonders von dem früher in Deutschland, später in
den USA wirkenden Philosophen, Psychologen und Soziologen
K. Lewin entwickelten ,,Gruppendynamik" und
der auf sie zurückgehenden „interpersonalen Theologie"
dargeboten. Es geht dabei um die Aufarbeitung von Forschungsergebnissen
und Erfahrungen aus dem Bereich des
nordamerikanischen Protestantismus, die vor allem für den
praktischen Theologen von Interesse sein dürften. Zwei tens
geht es um die fundamentaltheologische Frage, welche Bedeutung
die Begegnung mit einer neuen Methode empirischer
Sozialwisscnschaft für das Selbstverständnis zeitgenössischer
Theologie überhaupt gewinnen kann, wenn man voraussetzt,
daß hier ein neuer Zugang zur Wirklichkeit, insbesondere
zur menschlichen „Lebenswelt" dargeboten wird, und daß
sich damit eine Antwort auf die Wahrheitsfrage erschließt,
die auch für den um Wahrheit bemühten Theologen wichtig
werden könnte.

Dieser Aufgabenstellung entsprechend ist das Werk in
zwei relativ selbständige, sachlich aber unverkennbar auf
einander bezogene Hauptteile gegliedert: Teil A „Gruppendynamik
und Interpersonale Theologie" (S. 15—194) und
Teil B „Empirische Theologie in der Perspektive des geschichtlich
-sozialen Feldes" (S. 195—403). Ein umfangreicher
Anmerkungsteil (S. 404 — 527) und mehrere Exkurse
(S. 529-552) sowie Bibliographie und Register (S. 553-590)
erhöhen den Informationswert der Darstellung und geben
dem Band den Charakter eines Arbeitsbuches.

Um die Leistung des Vf.s würdigen zu können, muß man
berücksichtigen, daß sie von zwei Einschränkungen bestimmt
wird, die ihm sein Thema und seine Situation auferlegen. Vom
Thema her ist ihm die wissenschaftliche Ausgangsbasis
vorgegeben: Das Werk und die Denkmethode von Kurt
Lewin, der dem Neukantianismus nuhestand. Von ihm hat
er nicht nur das Interesse an der „Gruppe" als der Grundform
sozialer Wirklichkeit, sondern auch die philosophisch-
erkenntnistheoretischen Voraussetzungen übernommen, die
Ablehnung der „aristotelischen", qualitativ-wertenden Gestalt
- und Substanz-Metaphysik und ihrer „Dichotomien",

Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. '.)