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Ausgabe:

1973

Spalte:

920-923

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Die Pfingstkirchen 1973

Rezensent:

Obst, Helmut

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Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 12

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Das Informationsbedürfnis über die Pfb. ist grofi. Eine
Übersicht zu gewinnen bleibt schwierig, nicht zuletzt auc
Grund der verwirrenden Fülle von Erscheinung«- und Organisationsformen
. Es ist deshalb sehr zu begrüßen, daß sich
Walter J. Hollenweger, einer der besten Kenner der Pfb.,
der schwierigen Aufgabe unterzogen hat, eine für die Pfb.
repräsentative Sammlung von Selbstdarstellungen, Dokumenten
und Kommentaren anerkannter Vertreter und Fachleute
zusammenzutragen. Das von ihm vorgelegte umfangreiche
Werk vermittelt durch 27 Aufsätze von zwei Dutzend
recht unterschiedlich geprägten Autoren aus aller Welt ein
besonders anschauliches, auch die innere Differenziertheit
der weltweiten Pfb. widerspiegelndes Bild. Es ist außerdem
eine unschätzbare Fundgrube von Informations- und
Quellcnmaterial, das teilweise allein schon aus sprachlichen
Gründen kaum jemanden zugänglich war. Das Buch gliedert
sich in drei Hauptteile und einen Anhang.

Der erste Hauptteil „Zur Geschichte" (S. 29-145) befaßt
sich in zehn Beiträgen mit der Entstehung und dem Leben
vor allem der großen und bedeutenden Pfingstkirchen, ohne
Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu können. Knapp
und sachlich informiert K. Kendrick von der „Assemblies
of God", der größten Pfingstkirche in den USA, über geschichtliche
Grundlinien, Hauptanliegen, Organisations- und
Kirchenformen der amerikanischen Pfb. (S. 29-37). Hauptausgangspunkt
der Pfb. in Europa war Skandinavien, speziell
Norwegen. Dort hat die Pfb. heute einen Bevölkerungsanteil
von 5,7 «In (S. 38-49).

Der europäische Raum ist darüberhinaus durch qualitativ
unterschiedliche Beiträge über die Pfb. in der Sowjetunion
(relativ kurz!), Deutschland und der Schweiz, Rumänien
und Polen vertreten. Der Herausgeber war schlecht
geraten, die Geschichte pfingstlerischer und verwandter
Gruppen in Rußland bzw. der Sowjetunion nicht von einem
Vertreter der gemäßigten sowjetischen Pfb., die sich 1945
der „All-Union der Evangeliumschristen/Baptisten" (AUECB)
anschloß, darstellen zu lassen. Die positive Mitarbeit
pfingstlerischer Gruppen in der AUECB unter Achtung der
staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse der Sowjetunion
wäre dadurch deutlicher geworden, ohne daß Probleme
und Schwierigkeiten, die sich durch das Wirken
extrem enthusiastischer Gruppierungen ergaben, unerwähnt
blieben.

Hervorzuheben ist der Aufsatz von J. Zopfi, Sekretär
der „Schweizerischen Pfingstmission", über die Pfb. im
deutschsprachigen Raum. Er stellt sich darin (Teil III, „Die
Pfingstbcwegung in der Auseinandersetzung", S. 73-81) der
Kritik von innen (Mühlheimer Richtung) und von außen.
Folgende, in Form von Fragen gefaßte, schon klassisch zu
nennende Einwände und Vorwürfe gegen die Pfb. versucht
er mit starkem persönlichem Engagement zurückzuweisen:
Ist die Geistestaufe aufgebläht? Ist die Geistestaufe Filter
zur wahren Gemeinde? Der Heilige Geist, erster Artikel
der Pfingstbcwegung? Die Pfingstler - Enthusiasten,
Schwärmer? Die Pfingstbewegung - ein Sündenfall? Er
unterstreicht nachdrücklich die Wichtigkeit des Aufeinanderhörens
aller christlichen Kirchen. „Die Pfingstbewegung hat
durchaus auf das Zeugnis des Gesamtleibes zu hören, sie
hat sich .tragen, prüfen und läutern' zu lassen. Sie ist
aber überzeugt, daß auch sie mit ihrem besonderen Anliegen
nur zum Schaden der Gesamtgemeinde überhört werden
kann" (S. 81).

Die folgenden Beiträge befassen sich mit der Pfb. im
außereuropäischen Raum. Asien ist leider nicht vertreten!
Religiöse Kompetenzen des großen Wandlungsprozesses in
Lateinamerika weist Ch. Lalive d'Epinay am Beispiel der
chilenischen Pfb. nach. Ihr starkes Anwachsen kann auch
als ein Ausdruck der Spannungen innerhalb der chilenischen
Gesellschaft verstanden werden (S. 99 f.). Sie gehört
zu den gemäßigten Richtungen (Säuglingstaufe), Zungenreden
gilt nicht als „exklusiver Beweis" der Geistestaufc.

Der Grad der Geistesfüllc wird in einem direkten Zusammenhang
mit der „Vollmacht des Zeugnisses" (S. 100 f.) gesehen
. Durch je einen Artikel sind die Pfb. in Afrika
(Nigeria) und Australien vertreten.

Der erste Hauptteil schließt mit einem vor allem für
den deutschen Leser sehr informativen Artikel von W. E.
Failing über „Neue charismatische Bewegung in den Landeskirchen
" (S. 131-142). Durch Pfarrer A. Bittlinger, der
1962 zahlreiche charismatisch erweckte lutherische Gemeinden
in den USA besucht hatte, verbreitete sich die Bewegung
vor allem in Kreisen der Volksmission.

Im zweiten Teil (S. 149-261) "Zur Frömmigkeit" - von
einer Theologie der Pfb. kann man nicht sprechen - werden
entscheidende Anliegen und typische Lebensäußerungen
der Pfb. dargestellt (Fundamentalismus, Bekehrung, Heiligung
, Geistestaufe, Zungenreden, Heilung, Dämonenaustrei-
bung, Taufe und Kirchenverständnis, musizierende Jugend,
Pfb. und Psychologie, Politik in der schwedischen Pfb.).
Die Beiträge stammen erfreulicherweise alle aus der Feder
von Pfingstlern. Dabei werden wieder beachtliche innere
Differenzen sichtbar. Sie können allerdings nicht das gemeinsame
Anliegen verdunkeln. Es ist hier nicht möglich,
auf alle Beiträge einzugehen. Die zentrale Frage der
Geistestaufe behandelt Ch. Krust vom Mühlheimer Verband
(S. 174-182). Für die überwiegende Mehrheit der Pfingstkirchen
, vor allem in den englisch sprechenden Ländern
gilt der 1901 von Parham und seinen Schülern aufgestellte
Satz, „daß der biblische Beweis für die Taufe mit dem
Heiligen Geist das Reden in Zungen sei" (S. 176). Er wurde
„die lehrmäßige Grundlage der Pfb. des 20. Jahrhunderts"
(ebd.). Eine Minderheit, an ihrer Spitze die Mühlheimer,
widerspricht dieser These. Sic lehnt die starre Bindung der
Geistestaufe an das Zungenreden ab und versteht unter
ihr „das gleiche, was andere Gruppen der Christenheit ,zum
lebendigen Glauben kommen, Bekehrung, Wiedergeburt'
oder .Salbung von oben'" nennen (S. 181). Die Frage nach
dem Verhältnis von Geistestaufe und Zungenreden spielt
bei allen Gruppen eine große Rolle und ist eine Quelle oft
harter gegenseitiger Auseinandersetzungen.

Das für die Pfingstler so wichtige Phänomen des Zungenredens
hat V.-van Eetveldt, Mitglied einer südafrikanischen
Pfingstgruppe, in seiner medizinisch-psychiatrischen
Dissertation untersucht, die dem Aufsatz „Zungenreden und
Zungenredner" zugrunde liegt (S. 183-205). Auf dem Hintergrund
vielfältiger Tests kommt er zu einer sehr positiven
Wertung des Zungenredens: „Es scheint kein Zweifel darüber
zu bestehen, daß der religiöse Gebrauch des Zungenredens
zur Erhebung, Adelung, Heiligung, Erbauung, Ermahnung
und Tröstung dient" (S. 203).

Glaubensheilungen wurden von Anfang an von der Pfb.
als ein wichtiges Zeichen des Geistesbesitzes betrachtet und
oft mit aufsehenerregenden Erfolgen praktiziert. L. Steiner
setzt sich in dem klaren und ausgezeichneten Artikel
„Glaube und Heilung" damit auseinander (S. 206-219). Bei
voller Anerkennung der Tatsache und der Berechtigung von
Glaubensheilungen warnt er nachdrücklich vor Schwärmerei
(Lösung vom Wort Gottes, Mißachtung des göttlichen Willens
etc.). Einen ergänzenden Einblick in die unterschiedlichen
Heilungsauffassungen und -praktiken innerhalb der
Pfb. gibt die Soziologin B. de Suza am Beispiel Brasiliens
(III, S. 294-300). Auch ein in Form und Inhalt für unser
Verständnis recht ungewöhnliches Beispiel einer Dämonenaustreibung
fehlt nicht (S. 220- 230).

Der dritte Hauptteil »Einübung ins gegenseitige Verstehen
" ist der kürzeste (S. 263-346). Er wird vor allem
durch drei wichtige Beiträge geprägt. L. Steiners Artikel
„Die Pfingstbewegung und die anderen Kirchen" gibt einen
knappen historischen Aufriß und schenkt dem Verhältnis
der Pfb. zur ökumenischen Bewegung besondere Aufmerksamkeit
(S. 265-277). Dabei wird deutlich, daß ein Beitritt
der Mehrheit der Pfingstkirchen zum Ökumenischen Rat