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Ausgabe:

1972

Spalte:

901-903

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Ludwig

Titel/Untertitel:

Menschlicher Erfolg und Jahwes Initiative 1972

Rezensent:

Nielsen, Eduard

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 12

902

wird, noch andere mit Juda bzw. der Lea-Gruppe vcrbun
denc Überlieferungen wie etwa Gen 35,21-22 (Rüben),
Gen 34 * (Simeon und Levi) und Gen 38 (Juda) diesem
Geschichtswerk zuzuordnen. Schließlich berührt sich das
traditionsgcschichtlich abgesicherte historische Ergebnis des
Vf.s, wonach die auf dem judäischen Gebirge und im
Ncgcb lebenden Stämme von Süden aus in ihr Gebiet ein
drangen und alsbald eine Gemeinschaft bildeten, mit Gedanken
, die der Rez. in seiner Habil.-Schrift (Halle 19S7
vgl. ThLZ 93, 1968 Sp. 316) vorgetragen hat.

Daß dennoch Fragen offengeblieben sind oder anders
beantwortet werden können, versteht sich von selbst. Was
die Grundsätze für die literarkritische Analyse angeht, so
scheint mir das von Fr. als einziges anerkannte Kriterium
„Doppelungen und Brüche" (S. 5) eine zu schmale Basis
dafür abzugeben. Ebensowenig befriedigt die allzu häufige
Bezeichnung „sekundärer Zusatz", „späterer Nachtrag",
womit Fr. z. B. den Hinweis auf Massa in Ex 15,25b
(S. 7-8) und die sog. Ladesprüche in Num 10,35-36
(S. 15-16) eliminiert. Damit hängt das traditionsgeschichtliche
Urteil über beide Stücke insofern eng zusammen, als
nunmehr die noch verbliebenen Aussagen über Massa in
Ex 17, 2b.7 als Zusätze beiseite geschoben (S. 48) und der
Massa neben Meriba erwähnende Stammesspruch über Levi
in Deut 33, 8-11 der Situation des Jerusalemer Tempels
zugewiesen (S. 111), also angenommen wird, daß Stammessprüche
noch in der Königszeit entstehen konnten, was
Rez. undenkbar erscheint. Ein ähnlicher Verweis auf den
Tempel Jerusalems begegnet auch bei der Erklärung der
jahwistischen Entstehung der Erzählung von der Ehernen
Schlange (Num 21,4b-9; S. 95), wie denn die Ladesprüche
als aus der Jerusalemer Kulttradition stammende Rufe
interpretiert werden (S. 16, Anm. 14), was die Dinge m. E.
auf den Kopf stellt.

Schließlich sei der Vf. auf die für sein Thema wichtige
Diss. von W. Beltz, Die Kaleb-Traditionen (Budapest, Berlin
1966; vgl. OLZ 64, 1969 Sp. 156-157) sowie auf die Falschschreibung
des Namens von Eva Osswald (S. 110 u. Anm.
22; S. 124, Anm. 4) hingewiesen.

Hallo Hans-Jürgen Zobel

Schmidt, Ludwig; Menschlicher Erfolg und Jahwes Initiative
. Studien zu Tradition, Interpretation und Historie in
Überlieferungen von Gideon, Saul und David. Neukir
chen: Neukirchcner Verlag des Erziehungsvereins [1970].
VHI, 246 S. gr. 8° = Wissenschaftl. Monographien zum
Alten u. Neuen Testament, in Verb. m. F. Hahn u.
O. H. Steck hrsg. v. G. Bornkamm u. G. von Rad, 38.
Lw. DM 38,-.

Die vielfach mechanische Anwendung der Literarkiilik
in vergangener Zeit hatte meist zum Ziel, die sekundären
Teile eines Textes auszuscheiden, um dadurch zu den
eigenen Aussagen des Verfassers zu gelangen. Die gegenwärtige
Forschung interessiert sich in steigendem Maße
auch für weitere Zufügungen zu einem Text, besser wohl
zu seinen Grundelementen, bis hin zu ihrer Formulierung
in den ältesten Handschriften. Diese neue Sicht macht sich
besonders in der traditionshistorischen Forschung innerhalb
der biblischen Disziplin geltend, in ihren letzten Stadien
auch in der redaktionshistorischen Richtung. Diese Rieh
tungen innerhalb der Forschung haben stets von neuem
unterstrichen, daß der Weg, den ein erzählender Text im
Alten oder Neuen Testament bis hin zu dem Geschehen
zurücklegt, von dem der Inhalt des Textes kündet, lang
und oft in Windungen verläuft.

Ein Beitrag zum Verständnis dieses langen, gewundenen
Weges ist die gewichtige und recht sympathische Dissertation
Ludwig Schmidts von der Kirchlichen Hochschule
Westberlins 1969, die jetzt in der Serie WMANT veröffent
licht worden ist mit dem Untertitel: „Studien zu Tradition,

Interpretation und Historie in Überlieferungen von Gideon,
Saul und David".

Die ersten beiden Kapitel behandeln Ri 6.25-32 und
6,11-24. (Die Namensänderung Gideons in Jerubba'al und
seine Berufung.) Durch den Hinweis auf Spannungen und
Widersprüche im Text will der Vf. zu einem ursprünglich
mündlich überlieferten Grundbestand hinführen (Derartiges
ist wohlbekannt). Dann aber verfolgt der Vf. mit großer
Aufmerksamkeit die weiteren Wachstumsphasen des Textes,
deckt Sinnverschicbungen und Neuinterpretationen auf im
Sinne des Titels seiner Dissertation; die späteren Überlieferungen
unterstreichen Jahwes Initiative auf Kosten des
Einsatzes historisch-menschlicher Personen.

Das dritte Kapitel, das längste des Buches, behandelt in
entsprechender Weise Samuel und Saul in 1. Sam 9,1-10,16.
Die ursprüngliche Erzählung von der Begegnung des jungen
Saul mit einem Seher entwickelt sich zu einer Erzählung
, die Sauls Königtum damit begründet, daß Saul von
Samuel gesalbt worden ist. Diese Umgestaltung wird durch
einen alten, wenn auch „unhistorischen" Bericht erweitert,
der von einer Begegnung Sauls mit einer Gruppe von
Propheten handelt. Dieser Bericht, der die Ergreifung Sauls
durch prophetischen Geist schildert, sollte erhellen, woran
Saul denn nun tatsächlich erkannte, daß Jahwe ihn zu
seinem Amt als König ausgerüstet hatte.

Das Unhistorische an der letztgenannten Erzählung
wird im vierten Kapitel nachzuweisen versucht. Der Verfasser
untersucht die Grundlagen, von denen aus folgendes
Sprichwort zu verstehen ist: „Ist auch Saul unter den
Propheten?" Weder die Erzählung in 1. Sam 10,10-13
noch 1. Sam 19, 18 ff. führen uns zurück zu einem historischen
Ereignis. Das Sprichwort charakterisiert lediglich
den geisteskranken König Saul, der spottend als Ekstatiker
bezeichnet wird. Gleichzeitig bezeugt die Formulierung
auch einen historischen Gegensatz zwischen Saul und den
ekstatischen Propheten. Die Erzählungen in 1. Sam. 10
und 19 sind als ätiologische Legenden zu verstehen, die
ebenfalls darauf hinweisen, daß der Widerwille der
Israeliten gegenüber prophetischen Ekstasen allmählich
nachließ. Man hat jedoch den leisen Verdacht, daß Schmidt
die Anschauungen des „ältesten Israel" über Ekstasen teilt.
Sollte man aber ein Phänomen wie Ekstasen tatsächlich
nach einem derart eingleisigen Entwicklungsschema behandeln
können? Dann wäre jedenfalls die Entwicklung wieder
zur älteren, ablehnenden Haltung zurückgekehrt, vgl.
Hos 9, 7 und Micha 2, 5-11.

Im fünften Kapitel ist der Vf. wieder bei seiner Hauptthese
. Er untersucht fünf an David ergangene Verheißungen
bezüglich seines zukünftigen Königtums (1. Sam 25,30;
2. Sam 5, 2; 3, 9 f; 6, 21 und 3, 18). Dabei soll sich zeigen,
was ausgezeichnet zu den Resultaten aus den Gideons- und
Saulserzählungen paßt, daß keine dieser Verheißungen
historisch ist. David wurde also nicht zum König über Juda
und Israel erwählt, weil er von Jahve dazu berufen war,
sondern vielmehr auf Grund seiner militärischen Erfolge.

Im sechsten Kapitel, das ungefähr 30 Seiten umfaßt,
wird der Gebrauch des Wortes N a g i d untersucht, besonders
im älteren deutcronomistischen Geschichtswerk.
Besonderes Gewicht wird auf die Stellen gelegt, die diesen
Titel für Saul, David und Salomo verwenden. Mit Noth,
Soggin u. a. unterstreicht Vf., daß der Nagid-Titel in Verbindung
mit dem Ausdruck 'am Jahve den vom Volke bezeichneten
Heerbannführcr meint (d. h. den Anführer der
freien, israelitischen Wehrpflichtigen im Gegensatz zum
Berufsmilitär). Weil die ersten drei Könige diese Funktion
ausübten, betrachteten spätere Zeiten diesen Titel als Äquivalent
des Königstitels, verwendeten ihn jedoch mit Vorliebe
, wo theologische Gründe es nahelegten, die Unterordnung
des Königs unter Jahve hervorzuheben. Darum können
die Traditionen späterer Zeiten sagen, daß z. B. David von
Jahve als Nagid über Israel berufen wurde, selbst wenn