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Ausgabe:

1972

Spalte:

740-743

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Willi-Plein, Ina

Titel/Untertitel:

Vorformen der Schriftexegese innerhalb des Alten Testaments 1972

Rezensent:

Sekine, Masao

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kritisch angemerkt, daß die pauschale Bemerkung über
Hieronymus, sein Material enthalte „kaum noch Bemerkenswertes
" (S. 32), wohl schwerlich überall auf Zustimmung
stoßen wird.

Nach einer knappen Schrift- und Lautlehre (S. 34—39) ist
der Hauptteil des Buches (S. 40—67) der Formenlehre gewidmet
. Auch hier befleißigt sich Vf. äußerster Kürze, wobei
die übersichtlichen Tabellen — so beim Pronomen und bei der
Darstellung der verbalen Prä- und Afformalivc — besondere
Erwähnung verdienen. Bei der Behandlung der Nominalbildung
„werden die Substantive und Adjektive nach ihrer
hebräischen Gestalt — also nicht nach einer rekonstruierten
Vorform — geordnet" (S. 43), während die sonst übliche Behandlung
des Nomens mit Suffixen wegfällt. Wie oben bereits
angedeutet, fällt auf, daß die hebräischen Wortformen,
die nicht selten hypothetischen Charakter tragen und daher
anderswo mit Asterikus versehen werden, nicht zu dem vorher
beigebrachten Material in Beziehung gesetzt werden. So
läge es etwa auf der Hand, pe (päe) „Mund" mit amurriti-
schem pü (Nominativ), pi (Genetiv) und dem nicht belegten
Akkusativ pä zu vergleichen (vgl. S. 43 und S. 17); eine kurze
sprachgeschichlliche Bemerkung könnte dann auch zeigen,
daß der Status construetus pi keineswegs „unregelmäßig" ist.

Bei der Flexion des Nomens (S. 53f.) fällt auf, daß Vf. die
Kasusflexion überhaupt nicht behandelt, obwohl das Kanaa-
näisehe des 2. Jahrtausends v. Chr. über eine ausgebildete
Kasusflexion verfügte; so hängen die hebräischen Dual- und
Pluralendungen einigermaßen in der Luft, und wenn Vf.,
wie aus einer Bemerkung hervorzugehen scheint, die Existenz
der Kasus im Hebräischen überhaupt ablehnt, dann
sollte man eine entsprechend begründete kurze Stellungnahme
erwarten.

Aus der Verballehre (S. 55—64) sei ein bemerkenswerter
Satz herausgegriffen, der über die sonstige Beschreibung des
verbalen Flexionssystems hinausgeht: „Das sogenannte Perfekt
consecutivum unterscheidet sich in nichts vom gewöhnlichen
Perfekt" (S. 58). Diese Feststellung ist meines Erachtens
richtig, doch bedarf sie der sprachgeschichllichen Begründung
. Diese gehört zwar in erster Linie in den Bereich
der Syntax, aber da beim Verbum Syntax und Morphologie
nicht zu trennen sind, sollte man einen kurzen Hinweis darauf
erwarten, daß das hebräische Perfektum letztlich auf einen
Stativ zurückgeht, der nicht nur einen Zustand beschreibt,
sondern auch den Wunsch nach einem solchen ausdrücken
kann; sinngemäß sollte auch das Imperfekt consecutivum
im Zusammenhang mit dem Jussiv (S. 59) erklärt werden:
beide gehen auf ein ambivalentes Fiens yaqtul zurück, das
als Punktual und zugleich als Jussiv fungieren kann. In beiden
Fällen könnte das Ugaritische werlvolle Aufschlüsse
bringen.

Vergleicht man die vom Vf. gebotene Rekonstruktion des
Althcbräischen, die an zwei Textproben verdeutlicht wird
(S. 68), etwa mit dem einseitigen Versuch von H. Birkeland1,
unter fast ausschließlicher Bindung an die Tiberier das althebräische
Akzent- und Vokalisationssystcm wiederherzustellen
, so ist zweifelsohne ein wesentlicher Fortschritt festzustellen
. Gleichwohl bleibt auch sie sehr stark im Bereiche
des Hypothetischen, was sich schon allein daraus ergibt, daß
die vom Vf. vorgeschlagene Vokalisation und Akzentlage in
vielen Fällen keineswegs die einzig mögliehe ist. So darf man
füglich zweifeln, ob ein derart theoretisches System als Unterrichtsgrundlage
genommen werden kann; als Ergänzung
zu unseren Lehrbüchern, die nach Lage der Dinge auf der
tiberischen Spraehgestalt fußen müssen, wird es stets willkommen
sein.

Jona Rudolf Meyer

i H. Birkcland, Akzent und Vokalismus im Althebräis< hen. Mit Beiträgen
zur vergleichenden semitischen Sprachwissenschaft. Oslo ÜKiO

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Willi-Plein, Ina: Vorformen der Schrifle.xege.se innerhalb des
Allen Testaments. Untersuchungen zum literarischen Werden
der auf Arnos, Hosea und Micha zurückgehenden l!ü-
cher im hebräischen Zwölfprophetenbuch. Berlin—New
York: de Gruyter 1971. IX, 286 S. gr. 8° = Beiheft zur
Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, hrsg'
von G. Fohrer, 123. Lw. DM 88,-.

Das vorliegende Buch ist die Wiedergabe der Tübinger
Dissertation der Verfasserin, das wegen der interessanten
Zielsetzung und der Genauigkeit der Einzeluntersuchungen
alle Beachtung verdient. Das Werk gliedert sieh wie folgt!
Einleitung; I. Amosbuch; II. Michabuch; III. Hoseabuchl
IV. Zusammenfassung und Ergebnisse aller Einzelunlcrsu-
chungen; V. Anhang: Die prophetischen Grundworte in rekonstruierter
Form (Auswahl).

Das gesteckte Ziel des Werkes zeigt schon der Untertitel!
Liierarisches Werden der auf die drei Propheten des 8 Jh.s
zurückgehenden Bücher im hebräischen Kanon. Genau ge_
sagt, wird versucht, „der Nachgeschichte prophetischerWor«
te oder Zusammenhänge von ihrer ersten Niederlegung bis
zu der endgültigen Fixierung im masoretischen Konsonantenbestand
des jeweiligem Prophetenbuches nachzuspüren .
In der Einleitung wird ge/eigl, wie W.-P. das Ziel verfolgt-
Hier interessiert uns besonders die Auseinandersetzung mit
der sog. Redaktionsgeschichte, deren Methode wahrscheinlich
neuerdings von den Ergebnissen in der neutestament-
lichen Forschung beeindruckt auf manche Bücher des Alten
Testaments angewandt wird, in denen aber meistens mehrere
Stufen der Redaktion vorliegen und deshalb die Dinge
anders zu liegen scheinen als hei den Synoptikern. W.-P. hat
recht, wenn sie behauptet, daß die Suche nach der Einheit in
der Vielheit, nach dein Verbindenden im Disparaten zur Vernachlässigung
der Details führen würde und die Frage nach
der Redaktion der in Rede stellenden Bücher jeweils erst am
Ende der Einzelerörtcrungcn versuchsweise gestellt werden
sollte. Die neueste Arbeit von Jörg Jeremias1, obwohl sie a uf
der soliden Basis der Kinzelexegese steht, scheint uns ein
wenig zum Redaktionsgescbichtlichen geneigt zu sein. Die
Lage ist augenblicklich schillernd in der alttestamentlicheO
Wissenschaft, was unser Interesse dem vorliegenden Buch
gegenüber erregt.

W.-P. beschäftigt sich vielmehr damit, wie man die klassische
Prophelie des 8. Jh.s in der nachfolgenden Zeil auslegt
. Solche Auslegung ist nach der Ansicht der Vf.in zur
Hauptsache nichts anderes als die Aktualisierung der prophetischen
Worte in der nachfolgenden Zeit. W.-P. zieht die Regeln
der rabbinischen Exegese heran und prüft, ob einige der
Grundregeln Eliezers oder Hilleis schon innerhalb des Alten
Testaments zum Teil entdeckt werden können. Sie interessiert
deshalb die Suche nach formalen und inhaltlichen Prinzipien
, die für die literarische Nachgeschichte bestimmend
gewesen sein könnten, und nach der Datierung größerer Einfügungen
in mehreren Stadien bis zur Niederlegung der End"
gcstalt vom Kanon. In der Einleitung definiert W.-P. den
Begriff der Aktualisierung, indem sie sagt, daß die Aktualisierung
das Vorgehen bezeichnet, das ein vorgegebenes Wortoder
Gedankengut in die Sprache und die Verstehenszu-
sammenhänge veränderter Umstände zu transformieren
sucht. Während also die Aktualisierung das Wort der Geschichte
der Zeitgeschichte adaptiert, versucht die Typisierung
, die auch in der Einzeluntersuchung dieses Buches eine
Rolle spielt, die gegenwärtige oder künftige Cicschichte dem
vorgegebenen Offenbarungsgeschehen zu adaptieren. Die Ty-
pisierung sei die Vorform der Typologie.

Zum Schluß der Einleitung erklärt W.-P. ihr Verpflichtetsein
zu den Ergebnissen der Göltinger LXX-Forsehung. Sie
ist der Meinung, daß man die von der LXX abweichende
„freie Übersetzung" nur dort wagen dürfte, wo jede andere
Erklärung versagt. Dieser Ansicht stehen wir etwas skeptisch
gegenüber. J. Ziegler und F. Dingermann urteilen über
die LXX-Übersetzung der Kleinen Propheten, daß sie gut
und gewissenhaft gemacht sei. Ich habe aber einmal dM

Theologische Lileraturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 10