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Ausgabe:

1972

Spalte:

711-712

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Titel/Untertitel:

Die Kirche der Brüder 1972

Rezensent:

Obst, Helmut

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 9

712

für Christen und Nichtchristen verständlich zu formulieren,
was unser missionarischer Auftrag ist.

S. 38f analysiert Beyerhaus die Situation in der genannten
theologischen Situation. Manches ist daran richtig, aber
auch die vom Institut für ökumenische Studien Freiburg/
Schweiz herausgegebene Zusammenstellung zeigt, daß die
Dinge viel komplizierter sind. Letztlich mu5 es doch immer
darum gehen, daß die Christenheit ihre Botschaft treffend
aussagt und beschreibt. Rickenbach zeigt, daß Upp-
sala II darin einen Fortschritt erzielt hatte. Dem wird man
nicht gerecht mit rückwärts gewandter Kritik, auch nicht,
wenn man mit größeren Zahlen aufwarten kann und Sammlungsbewegungen
veranstaltet.

Berlin Johannes Althausen

Durnbaugh, Donald F. [Hrsg.]: Die Kirche der Brüder. Vergangenheit
und Gegenwart, übers, v. I. Günsch. Stuttgart:
Evang. Verlagswerk [1971]. 236 S. 8° = Die Kirchen der
Welt, hrsg. v. H. H. Harms, H. Krüger, G. Wagner, H.-H.
Wolf, IX. Lw. DM 30.—.

Die „Kirche der Brüder" (Church of the Brethren) gehört
zu den bei uns kaum bekannten amerikanischen Freikirchen.
Sie ist deutschen Ursprungs. Ihre Väter kommen aus dem
Kreis separatistischer Pietisten um Hochmann von Hoche-
nau, der Anfang des 18. Jh.s ein vorübergehendes Asyl in
der Grafschaft Sayn-Wittgenstein fand. Dort fand im Spätsommer
des Jahres 1708 unter maßgeblichem Einfluß des
Müllers Alexander Mack die Taufe von 5 Männern und 3
Frauen statt. Dieses Ereignis gilt als die Geburtsstunde der
Brüderbewegung (16). Ihr theologiegeschichtliches Charakteristikum
ist die Verbindung wiedertäuferischer Traditionen
mit radikal pietistischen Anschauungen. In den Jahren
1719—1737 wanderte der größte Teil der Brüder nach mancherlei
Zwischenstationen nach Nordamerika aus. Heute
zählt die „Kirche der Brüder" 215 000 erwachsene Glieder.

Der historische Entwicklungsprozeß dieser Freikirche, der
im 20. Jh. mit Entschiedenheit unternommene Versuch, neue
Formen kirchlichen und geistlichen Lebens in einer radikal
gewandelten Umwelt zu finden, ohne das Grundanliegen der
Väter aufzugeben, verdienen eine weit über die Konfessionsund
Kirchenkunde hinausgehende Beachtung. Innere und
äußere Wandlungsprozesse, in denen eine Reihe europäischer
Freikirchen stehen, finden hier reiche Parallelen. Es ist deshalb
sehr zu begrüßen, daß die Selbstdarstellung der „Kirche
der Brüder" nun auch in einer sprachlich freilich nicht immer
zufriedenstellenden deutschen Übersetzung vorliegt.
Acht Autoren informieren über Geschichte, Glaubenslehre,
Liturgie, Verfassung, Erziehungsarbeil, soziales Engagement,
Mission und ökumenische Beziehungen der Kirche. Eine
Auswahl wichtiger Dokumente von der Gründungszeit bis
in die Gegenwart sowie mehrere aufschlußreiche Statistiken
runden das Bild ab.

Die Geschichte der „Brethren" ist bis in die zweite Hälfte
des 19. Jh.s hinein durch zähes Beharren auf einem radikal
pietistischen, auf Abkapselung von der Welt bedachten Standpunkt
gekennzeichnet. In den letzten hundert Jahren ist sie
jedoch eine Geschichte der Wandlung zur Weltoffenheit. Wie
tiefgreifend die inneren Wandlungen in den zurückliegenden
Jahrzehnten waren, zeigen wohl am besten zwei Tatsachen:
die endgültige Abschaffung des Ältestenamtes zugunsten
bezahlter Pastoren, und die Bereitschaft, andere evangelische
Christen auch ohne Erwachsenentaufe in die Kirche aufzunehmen
(47f).

Die Beiträge des Herausgebers Donald F. Durnbaugh, Professor
für Kirchengeschichte am Bethany Theological Semi-
nary in Oak Brook (Illonis), lassen die beiden gegensätzlichen
Grundtendenzen in der historischen Entwicklung der
Kirche deutlich erkennen und vermitteln eine Reihe interessanter
und teilweise unbekannter Einzelheiten. Das Schwergewicht
liegt dabei naturgemäß auf der Darstellung der amerikanischen
Geschichte der Kirche. Die „Europäischen Anfänge
" (12—18) geben zu kritischen Hinweisen Anlaß (z. B-
die Lage in der Pfalz, die „Augsburgische Liga" nach dem
Dreißigjährigen Krieg 14, vgl. etwa auch die Bezeichnung
Zinzendorfs als „mährischen Kirchenführer" 21, etc.). Auffallend
ist die große Zahl von Abspaltungen in allen Phasen
der historischen Entwicklung (20, 28, 37, 42, 49). Sie waren
in den meisten Fällen Ausdruck des Protestes gegen die sich
in der Kirche vollziehenden Wandlungen.

Besonderes Interesse verdient die Lehre der „Brethren ,
deren Besonderheiten in dem Beitrag von V. Eller (52-69)
recht übersichtlich dargestellt werden. Die Kirche besitzt
keine Bekenntnisse. Als einzige Richtschnur des Glaubens
gilt die Bibel, dabei wird der Vorrang des NT gegenüber
dem AT ausdrücklich hervorgehoben. Zentrales Anliegen der
Brüder ist es, Christus in „radikaler Jüngerschaft" zu folgen
(52). Alles „Theologisieren" wird bewußt abgelehnt. Von
ihrer Tradition her ist die Kirche ausgesprochen erwecklich
ausgerichtet. Aus dem radikalen Jüngerschaftsbegriff leiten
sich viele Charakteristika und Grundforderungen der Bruder
her, so die Betonung der Früchte des Glaubens, der
gewaltlosen Liebe, der Rechtschaffenheit, des schlichten Lebens
, des Fleißes, der Haushalterschaft, des Gemeinschaftsgedankens
, der Bruderschaft mit allen Menschen, der Non-
konformität mit der Welt usw. Auch eschatologische Sonderlehren
, das kommt in dem Beitrag etwas zu kurz, haben
seit jeher eine gewisse Rolle gespielt (Allversöhnungslehre).

Eine zentrale Stellung im Leben und in der Lehre der
„Brethren" nehmen die „Ordnungen" ein (Kap. 4,70—87)-
Dazu gehören: die Taufe durch dreimaliges Untertauchen
nach vorn als Bekenntnis des bußfertigen Christen, das
Liebesmahl mit vorangehender Fußwaschung als Zeichen
von „Gottes Liebe zu uns und unserer Liebe füreinander'
(77), das Abendmahl als Erinnerungsmahl an Christi Opfer,
die Krankenölung u. a. Die Ausführungen über das Liebesund
Abendmahl (75-79) lassen manche Fragen offen. Das
mag mit den durchaus nicht einheitlichen Auffassungen innerhalb
der Kirche zusammenhängen.

Die Kirchenverfassung ist für Freikirchen schon immer
auch von erheblicher theologischer Bedeutung gewesen. Das
Bestreben der „Brethren", eine Kirchenordnung zu finden,
die neutestamentlichen Richtlinien entspricht und zugleich
die bestmögliche Erfüllung des kirchlichen Auftrages in unserer
Zeit ermöglicht, hat zu einer Kombination von kongre-
gationalistischer und presbyterianischer Ordnung geführt
(Kap. 5,88-100).

Hervorzuheben ist weiter das starke soziale Engagement
der „Brethren" im 20. Jh. als Folge ihrer gewandelten Einstellung
zur Gesellschaft und als zeitgemäßer Ausdruck ihres
Jüngerschaftsbegriffes. Durch eine Reihe von Hilfsorganisationen
hat sich die Kirche beispielsweise des Flüchtlingselendes
in verschiedenen Teilen der Welt angenommen und
große Verdienste bei der Wiedereingliederung ehemaliger
Soldaten ins Zivilleben erworben. Als eine der drei histori'
sehen „Friedenskirchen" liegen ihr die Förderung des Friedensgedankens
sowie des persönlichen Bekenntnisses und
Zeugnisses der Christen für die Gewaltlosigkeit besonders
am Herzen (Kap. 7,123 — 141). In ihrer umfangreichen Missionsarbeit
sieht sie einen notwendigen Ausdruck lebendigen
Christentums (Kap. 8,142-167). Auch innerhalb der ökumenischen
Bewegung versucht die „Kirche der Brüder" ihren
Beitrag zu leisten. Dabei fehlte es nicht an mancherlei
Schwankungen und Widerständen in den eigenen Reihen.
So spiegelt sich heute in dem ökumenischen Beitrag der
„Brethren" das innere Ringen um die eigene Identität wider.
Diese „Identitätskrise" (184) hat die Kirche noch nicht überwunden
. Sie muß, das machen alle Beiträge deutlich, einen
Weg zwischen ihrem traditionellen Isolationismus und einem
gesuchten Modernismus finden. Die Gefahren der Verbürgerlichung
und der Konformität mit der Welt, die deutlich