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Ausgabe:

1971

Spalte:

141-143

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Dekker, Aat

Titel/Untertitel:

Homines bonae voluntatis 1971

Rezensent:

Krötke, Wolf

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141

Theologische Literaturzeitung 9ö. Jahrgang 1971 Nr. 2

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Althaus die Auseinandersetzung mit dem Fegfeuer von
einer Denkmöglichkeit bis zur völligen Ablehnung um der
Rechtfertigungslehre willen führte, wie der anthropologische
Dualismus in der Eschatologie durch den Personbegriff
ersetzt wurde und für das Zeitproblem eine Lösung
'm Nebeneinander von „Eschatologie des Himmels" und
-Eschatologie des Jüngsten Tages" versucht wurde.

Wie aus der dieses Kapitel wie das ganze Buch beschließenden
Zusammenfassung zu ersehen ist, hat Vf. in
irenischer Gesinnung diese Fülle an historischem Material
l,nd damit den beeindruckenden geschichtlichen Überblick
für evangelische, katholische und nichtchristliche Leser in
der Absicht dargeboten, die geistlichen Werte, die in den
verschiedenen konfessionellen Standpunkten vorhanden
sind, herauszustellen, vor ihren Verkehrungen zu warnen,
um sie fruchtbar zu machen für die heutige kirchliche
Praxis und die ökumenische Annäherung. Das Personen-
und das Sachregister (S. 259-272) erleichtern die Benutzung
als Nachschlagwerk. Allerdings erschwert die chronikalische
Addition von Personen und Meinungen das Erkennen der
fortwirkenden Grundprobleme, was sich z. B. in der fast
synonymen Verwendung der Begriffe Fegfeuer und
Zwischenzustand äußert. Dennoch wird jeder an eschatolo-
SJischen Fragen Interessierte die vorgelegte Zusammenstellung
von Quellen verschiedener Herkunft und ihre
Verarbeitung zu einer Geschichte des Fegfeuerglaubens
dankbar zur theologie- und frömmigkeitsgeschichtlichen
Information und als Anregung für das systematische Durchdenken
der Probleme benutzen.

Leipzig Hartmut Mai

Dekker, Aat, Dr.: Homines bonae voluntatis. Das Phänomen
der profanen Humanität in Karl Barths Kirchlicher
Dogmatik. Zürich: EVZ-Verlag o. J., 177 S. 8°. DM 14,80.

Die Absicht des Vf. ist es, „nachzuprüfen, welche Rolle
der Begriff der profanen Humanität in der Theologie
Karl Barths spielt" (20). Dieser merkwürdige Begriff kommt
freilich in der Theologie Barths nicht vor. Er bezeichnet
nach D. „das Phänomen einer zur Tat schreitenden Vcr-
antwortlichkeit, die zurückgeht auf eine bewußt ange
nommenc oder unbewußt erlebte innermenschliche Solidarität
" (12; bei D. kursiv). Jedoch kann auch ein solches
Phänomen in der Kirchlichen Dogmatik (KD) allenfalls als
«Randerscheinung" (125) gelten. Nur bei der Erörterung der
Möglichkeit „wahrer Worte" im „profanen Weltgeschehen"
(vgl. KD IV/3, 122 ff.) fragt Barth, ob man dabei nicht
auch an eine „Menschlichkeit" zu denken habe, „die nicht
lange fragt und erwägt, mit wem man es im Anderen zu
'un hat, in der man sich vielmehr schlicht mit ihm solidarisch
findet und anspruchslos für ihn da ist" (KD IV/3,
140). Diesen Satz möchte D. in Form einer sog. „Tiefen-
Peilung" mit einem „analytischen Kommentar" versehen,
der zeigen soll, warum das von D. benannte Phänomen
bci Barth zu kurz kommen muß.

D. bietet darum zunächst einige kommentierende Referate
von Barths Darstellung der Problematik der „wahren
Worte extra muros ecclesiae" (21 ff.), des Ereignisses der
Berufung (60 ff.), der Grundlegung der Anthropologie
<68 ff.), der Ethik (86 ff.) und der Erwählungslehre im Blick
auf ihre Interpretation in KD IV/3 (102 ff.). Sein Ergebnis
lst. daß bei Barth der Mensch überhaupt nur eine
-Randwirklichkeit" sei, „bestimmt und geschaffen
als Realisationsmaterial ... zur Selbstver-
Wlrklichung" der Trinität (24). Dementsprechend ist

le s°g- „profane Humanität" für die Gemeinde nur eine
"Art ... Taktik, um den anderen zum Bewußtsein
seiner Berufung zu bringen" (63). Sie ist im „Grunde
Verkappteintoleranz" (ebd.). Deshalb kann Barth

le ethischen Probleme der heutigen Gesellschaft als solche
au<-h nicht wirklich ernst nehmen. Er überfremdet sie mit
der -Dramatik der Heilstatsachen" (149) und macht auf

Grund seiner „funktionalen" Anthropologie das ethische
Handeln zu einem bloßen „Analogie-Erleben",
das den „Spielraum für eine eigene Mündigkeit" des Menschen
einengt (85). Wenn auch durch das Sichtbarwerden
einer „universal-kosmischen Tendenz" (102 ff.) bei Barth
der „,Weg auf der Erde' ... breiter" wird (107), so bleibt
doch die Humanität als solche ständig taktisch unterbewertet
, so daß der Nicht-Christ für Barth und seine
Ekklesiologie kein gleichwertiger Gesprächspartner mehr
sein kann (vgl. 120 f.).

Der ermüdend oft vorgebrachte Grundeinwand D.s gegen
die so interpretierte Theologie Barths lautet: In seiner
„ekklesiologisch gerichteten Funktionalitäten-Theologie"
(128) sei die Inkarnation nicht hinreichend herausgearbeitet
, so daß „die Wirklichkeit der ,kenosis' und der
,consanguinitas'" (37) und damit die „radikale Solidarität
Gottes" mit dem Menschen (56) nicht zur Geltung kommen.
Diesen Vorwurf hätte D. freilich an der Christologic Barths
(KD IV/1 und KD IV/2) überprüfen müssen. Denn diese
Christologie ist ja so radikal von der Tat der freien,
gnädigen Solidarisierung Gottes mit dem Menschen her
gedacht, daß Gott-sein alleine schon „sich erniedrigen",
Mensch-sein aber „erhöht werden" heißt. Wenn sidi nach
Barth in diesem einen Ereignis ( = Versöhnung) also Gott
selbst verwirklicht, dann ist seine Herrlichkeit von Anfang
an eine Herrlichkeit des Leidens zugunsten des Menschen
(was D. auch in seinem Exkurs über die Verwendung
von Joh. 1,14 in der KD übersieht, vgl. 153 ff.). Darum
kann der Mensch oder das Humanum als solches bei
Barth gar nicht als „Funktion" gedacht werden. Der Mensch,
auf den die Solidarisierung Gottes mit dem Menschen zielt,
ist der Partner. Das wird eigentlich in der Anthropologie
Barths am deutlichsten. Dort ermöglicht es gerade
die analogia relationis, den Menschen in seiner onto logischen
Struktur als Gott gegenüber freien,
eigenständigen Menschen zu denken. Diese ontologischc
Struktur hat jeder Mensch, ganz gleich ob er ihr ontisch
entspricht oder nicht, so daß die Trennung zwischen einer
„profanen" und sozusagen „sakralen Humanität" für Barth
undenkbar ist.

Unter Aufnahme dieser Grundgedanken Barths hätte D.
sicher unmißverständlicher sagen können, was er in einem
durchaus beachtlichen letzten Kapitel über „Inkarnationstheologie
und Solidaritätsethik" ausführt (vgl. 125 ff.). Um
den Raum zu gewinnen für eine Ethik, die „sich ganz mit
der Erde beschäftigen" kann (149), behauptet er auf Grund
der Inkarnation eine „undurchsichtige Verborgenheit", in
der „Gott selbst das Leben des Menschen" teilt (129 f.).
Durch sie werde die ganze Menschheit zu einer „Koinonia",
in der der Heilige Geist wirkt (130 f.). Jedes „Solidaritätserlebnis
" kann von daher als ein „Signal des Reiches"
gelten, an dem sich das Böse „totlaufen" muß (136 f.).
„Beheimatung der Erde" aber ist das Thema der Solidari-
tätsethik, die D. nach verschiedenen Seiten beschreibt.

Damit hat D. den von Barth auf Grund seines Verständnisses
des Tat-Seins Jesu Christi stets abgelehnten
Weg einer Loslösung der Ethik von der Dogmatik beschritten
. Möglich wird dies auf Grund eines Verständnisses
der Inkarnation unabhängig von der konkret und in
einem bestimmten Sinn auf den Menschen zielenden
Geschichte Jesu Christi überhaupt. Die Folge ist, daß bei
D. offenbleibt, wie jene „Beheimatung der Erde" angesichts
der Sünde des Menschen wirklich geschehen kann und ob
es sich dabei im Grunde nicht nur um ein optimistisches
Prinzip handelt, das sich die Welt ohnehin selbst entwirft
(vgl. Fausts letzte Worte, die D. als positives Beispiel
für die Beheimatung der Erde anführt, 145). Dann aber
bleibt auch die Frage, inwiefern hier das Menschsein des
Menschen ernster genommen ist, als es in der christolo-
gisch recht begründeten Verkündigung und im Handeln
der Gemeinde geschieht.