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Ausgabe:

1971

Spalte:

98-99

Kategorie:

Judaistik

Titel/Untertitel:

Kirche und Synagoge 1971

Rezensent:

Böcher, Otto

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 2

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tung herausgearbeitet daß der „degel" zugleich die
Familien der Soldaten umfaßte. Nicht jeder Jude gehörte
aber zu einem „degel*, die Priesterschaft führte nicht solche
Bezeichnungen, und ihre Vertreter werden (S. 35) einfach
als „be'el qirjäh" bezeichnet worden sein, d. h. als Mitglied
einer Stadt bzw. einer Siedlung.

S. 62-102 untersucht der Vf. in mühevoller Kleinarbeit
die gebrauchten Maße und Gewichte, die verschiedenen
Wertmaßstäbe und die Preise, die Nahrungsmittel, die
Kleidung und die Unterkünfte. Der Hausbau ist in einer
SWzze anschaulich dargestellt. Die langgestreckten, überwölbten
, nur mit einem Fenster an der Schmalseite erleuchteten
Räume erhalten auch vom Eingang her noch Licht.
£s sei hier auch hingewiesen auf die genauen Tabellen,
die der Vf. für die Werte des eingebrachten Heiratsgutes
und für anderweitig genannte Beträge aufstellt. Ebenso
werden die Maßangaben genau dargestellt (S. 74 f, 81, 83).

Der zweite große Abschnitt betrifft das religiöse Leben
der Juden. Besonderes Gewicht kommt hier dem Abschnitt
über die Namen zu (S. 133-150), da das Namenmaterial
nüt den theophoren Bestandteilen eine wichtige Quelle
darstellt. Über die Lage des Tempels ist Neues nicht festzustellen
, der Vf. bringt dafür einen Lageplan auf Grund
der Nachrichten in den Papyri und stellt fest, daß der
Tempel auf Jerusalem ausgerichtet gewesen sein muß und
•O etwas kleinerem Maßstab die Größenabmessungen des
Salomonischen Tempels aufwies (Abb. 5). Sehr ausführlich
wird über Kontakte zu heidnischen Observanzen und Gebräuchen
gehandelt, z. B. in der Frage der Eide usw. Besonders
eindrucksvoll erscheint mir der Abschnitt über "The
Marzeah Association" (S. 179-186). In Elephantine wird
der Begriff marzeah auf einem im Cairoer Museum befindlichen
Ostrakon (35468 a) gebraucht. Der Vf. bezieht ihn
auf ein Bankett zu Ehren eines verstorbenen Mitglieds
eines Begräbnisvereins. Dabei legt der Autor ein reiches
Material zum Begriff marzeah vor sowie über jüdische
Begräbnissitten in Ägypten aus Elephantine und Saqqarah.

Im dritten großen Abschnitt S. 187-298 wird das individuelle
Leben in den jüdischen Familien und zugleich
das Leben der jüdischen Gemeinde geschildert auf Grund
der Rechtsurkunden, also der Heiratskontrakte, Verkaufsurkunden
. Bodenerwerbsurkunden etc. Nach einer Einführung
in den Abschnitt "The legal Document" entwickelt
der Autor an zwei Beispielen, Ananjah b. Azarjah und
Mibtachja, die verschiedenen Rechtsgeschäfte, über die sich
Urkunden erhalten haben. Ein Abschnitt wendet sich anderen
privaten Briefen zu, während das letzte Kapitel
"i diesem Abschnitt sich mit den Kommunalarchiven beschäftigt
, d. h. den Urkunden, die die Gemeindeangelegenheiten
betreffen, z. B. die Zerstörung des jüdischen Tempels
und die Bemühungen der Gemeinde für den Wiederaufbau.
Hinsichtlich des endgültigen Schicksals der jüdischen Gemeinde
nach 399, dem Jahr des letzten und jüngsten
Papyrusdokumentes, erwägt der Vf., daß die Juden, wie es
andere unzufriedene Soldaten vorher in Elephantine auch
9etan hatten, nach Nubien gegangen sind und dort neue
Dienste angenommen haben. In fünf ausführlichen Anhängen
werden einzelne Urkunden und Probleme erörtert,
insbesondere die Tempelsteuersammelliste und die Personennamen
, die mit „Bethel, Eshem und Herem" zusammengesetzt
sind. Der letzte Abschnitt führt einen Vergleich
über Anlage und Aufbau der aramäischen und
demotischen Rechtsurkunden durch. Vier Indices beschließen
den inhaltreichen und gewichtigen Band, von dem wohl
gesagt werden kann, daß er einen sehr wesentlichen
Beitrag für die Erforschung der einstigen jüdischen Militärgemeinde
in Elephantine darstellt, ebenso für die Geschichte
des Judentums, indem beispielsweise auch auf
die Gründung des Tempels von Lcontopolis im 2. Jh. v. Chr.
Bezug genommen wird. Die Geschichte der jüdischen Militärgemeinde
wird in beispielhafter Weise durch eine Fülle
von Dokumenten und Quellen in die Umweltgeschichtc der
Jahrhunderte, in denen sie bestand, hineingestellt.

Leipzig Hnns Bardtkf

Rengstorf, Karl Heinrich, u. Siegfried von Korlzfleisth
[Hrsg.]: Kirche und Synagoge. Handbuch zur Geschichte
von Christen und Juden, Darstellung mit Quellen. II.
Stuttgart: Klett [1970). 745 S. gr. 8°. Lw. DM 72,-.

Der vorliegende zweite Band des Handbuchs „Kirche
und Synagoge" setzt mit dem 17. Jahrhundert ein, damit an
den ersten Band (vgl. ThLZ94, 1969 Sp. 580 f.) anschließend,
und führt bis zum Jahre 1933; die Greuel des „Dritten
Reiches" selbst darzustellen, lag erklärtermaßen nicht in
der Absicht der Herausgeber (S. 715). Zu den sechs Kapiteln
des ersten Bandes kommen noch einmal neun; der von
der Ausweitung der Problematik gebotene größere Umfang
wird auch an der Seitenzahl (705 Seiten, dazu 10 Seiten
Nachwort der Herausgeber und 30 Seiten Personen- und
Ortsregister) deutlich. Von den 16 Autoren haben zwei
(K. H. Rengstorf, W. P. Eckert) bereits am ersten Band
mitgearbeitet.

Der Reichtum des behandelten Materials ist wiederum
enorm; er ist durch das ausführliche Inhaltsverzeichnis
(S. 5-19) leicht zu erschließen. Den Aufsätzen ist auch
diesmal eine Fülle dokumentierender Originalbelege in
deutscher Übersetzung beigegeben; insgesamt sind es
491 Quellen, jeweils für die Einzelbeiträge neu durchnumeriert
.

Spätbarock und frühe Aufklärung als das Zeitalter des
Philosemitismus stellt Wolfgang Philipp dar (7. Kapitel,
S. 23-86). Der Protestantismus vom Aufkommen des Pietismus
bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts ist das Thema des
8. Kapitels (S. 87-221), das in drei Abschnitte zerfällt:
Judentum und Christentum im Pietismus des 17. und
18. Jahrhunderts (A), dargestellt von Martin Schmidt
(S. 87-128); Der Kampf um die Emanzipation (B), geschildert
vom Herausgeber Karl Heinrich Rengstorf
(S. 129-176); Frühromantik - Romantik - Idealismus (C),
untersucht von Wilhelm D a n t i n e (S. 177-221). Neben
diese beiden im wesentlichen den protestantischen Bereich
befragenden Kapitel tritt für den gleichen Zeitraum die
Untersuchung Willehad Paul Eckerts über den Katholizismus
zwischen 1580 und 1848 (9. Kapitel, S. 222-279).

Die beiden folgenden Kapitel gelten dem Verhältnis
von Christen und Juden in West-, Mittel- und Nordeuropa
sowie in den USA zwischen 1848 und 1933. Franz-Heinrich
Philipp behandelt den Protestantismus nach 1848
(10. Kapitel, S. 280-357); ausführlich schildert er die Entwicklung
in Deutschland (S. 281-339), summarischer diejenige
in den westeuropäischen und skandinavischen Ländern
(S. 339-342) sowie in Großbritannien und den USA
(S. 343- 347). Dazu parallel untersucht das 11. Kapitel
(S. 358-482) den Katholizismus nach 1848. Rudolf Li 11
entfaltet die Judenpolitik und -theologie des Heiligen
Stuhls (A, S. 358-369) und die Beziehungen zwischen den
deutschen Katholiken und den Juden in der Zeit von
1850 bis 1933 (B, S. 370-420); Pierre Sorlin stellt die
Entwicklung in Frankreich nach 1850 dar (C, S. 421-452),
Ulrich Haustein schildert das Verhältnis von Juden
und Polen (D, S. 453-482).

Kapitel 12 behandelt den österreichisch-ungarischen
Raum (S. 483-605). Den Katholizismus in Österreich untersucht
Erika W e i n z i e r 1 (A, S. 483-531), den Protestantismus
in Österreich Ulrich Trinks (B, S. 532-558);
Alexander Scheiber berichtet über Juden und Christen
in Ungarn bis 1526 (C, S. 559-568), Ladislaus Martin
Päkozdy über Juden und Christen in Ungarn nach 1526
(D, S. 569- 605).