Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1971

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Neuerscheinungen

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

35

Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 1

36

zeuge zur Entscheidung bei dieser Frage ist. S. gibt zunächst
auch zu, daß Josephus klar bezeugt, daß Aramäisch die Sprache
der palästinensischen Juden des 1. Jh.s ist. Dann aber
versucht er, nun doch Josephus für seine These einzuspannen
, und das mißlingt. So fragt S. z. B., ob Josephus Titus
deswegen als Dolmetscher gedient habe, weil Titus selbst
nicht fließend Griechisch konnte, während die jüdischen
Rebellen Griechisch sehr wohl verstanden hätten (! S. 65).
Der wichtigste Beleg aber ist der Schluß der Antiqitates
(XX, 262—264), den S. m.E. genau entgegengesetzt dem tatsächlichen
Sinn interpretiert. Josephus rühmt sich, daß er
der einzig geeignete Mann sei, sein Werk ins Griechische
zu übersetzen. Er habe sich eingehend mit der griechischen
Sprache und ihrer Grammatik beschäftigt. Nur an ordentlicher
Aussprache hindere ihn die heimatlicheGewohnheit. Diesen
Mangel erklärt Josephus damit: „Bei uns stehen nämlich
jene nicht in Ansehen, die viele Sprachen gelernt haben
6t,a tö kouvöv elvau vouC^etv tö ^TtnrfiSe'Ujioc toöto
|i,6vov o-öh 6euö£poLQ toiq tuxoöoiv ä\a vtod xffiv
olxeTöv xoZc, deXouca, sondern allein denen wird Weisheit
bezeugt, die das Gesetz genau kennen und den Inhalt
(xfjv öövauiv) der heiligen Schriften übersetzen können".
Den Zwischensatz, den ich zunächst unübersetzt gelassen
habe, legt S. so aus: „Evidently Josephus assumed that
every inhabitant of his country could learn to speak quite
good Greek if he were at all desirous to do so. This demon-
strates that Greek was not only spoken in a few groups and
classes, but that everyone in the Jewish country had the
chance of speaking it. Greek could evidently be heard in
all circles of Jewish society. And it was considered quite a
common thing that all sorts of people all sorts of classes
became very proficient in speaking it" (70). In dem Kontext
kann aber notvov nicht den Sinn von „common" haben,
sondern dürfte sensu malo gebraucht sein. Der Satz begründet
ja die ablehnende Haltung der Juden gegenüber
fremden Sprachen und kann dann auch nur übersetzt werden
: „weil man diese Kunst für profan (gemein, unanständig
) nicht nur für Freie, die es von Geburt an sind, sondern
auch für die von den Sklaven, die (frei sein) wollen, hält".
Josephus sagt also mit klaren Worten, daß seine Griechischkenntnisse
eine Ausnahme darstellen und daß seine griechische
Aussprache deshalb so mangelhaft sei, weil man
sich in seiner Heimat weigere, Griechisch zu lernen und zu
sprechen — und das ist genau das Gegenteil von dem, was
S. beweisen möchte. Man kann zwar diese Worte des Josephus
mit einigem Recht als eine tendenziöse Übertreibung
ansehen, aber zum Zeugen des Gegenteils läßt er sich nicht
machen.

Das bedeutet im ganzen, daß die literarischen Quellen
die These S.s entweder nicht stützen, oder — und das gilt
gerade für die wichtigste — eher das Gegenteil nahelegen.

Das reiche archäologische Material, das S. im eigentlichen
Hauptteil seines Buches bringt (77—175), muß also
weit kritischer gesichtet werden. Das Material aus der Diaspora
(77—96) beweist ohnehin innerhalb seiner Fragestellung
nicht viel. Daß Griechisch in der Diaspora von den
Juden gesprochen wurde, ist ja nie bestritten worden und
durch die Septuaginta schlagend bewiesen.

Bei dem palästinensischen Material ist zunächst zu sagen
, daß es zum größeren Teil aus den angrenzenden hellenistischen
Städten und überwiegend auch aus späterer Zeit
stammt. Die wichtigsten Zeugnisse sind Synagogen-und Grabinschriften
, zu denen sich noch einige Marmorstelen und
Papyri gesellen. In der Tat ist es erstaunlich, in welchem
Maß hier Griechisch verwendet wurde. Solches Material
findet sich auch im eigentlichen jüdischen Land. Mit Sicherheit
lassen sich aber in das erste Jahrhundert nur die griechischen
Grab- und Synagogeninschriften aus Jerusalem
und einige wenige andere Zeugnisse datieren. Die griechisch
geschriebene Marmorstele, die bei Nazareth gefunden
wurde, die strenge Strafe bei Grab- und Leichenschändung
androht (177ff.), gehört m.E. viel eher in die Zeit,
wo es überhaupt keinen jüdischen Staat mehr gab als in das
1. Jh. Das Material für den entscheidenden Zeitraum ist
also sehr gering.

Mit dem allem soll nicht das glatte Gegenteil von dem
behauptet werden, was S. sagt. Vom Beginn des 2. Jh.s an
häufen sich die griechischen Zeugnisse in Palästina so, daß
man von dieser Zeit an Griechisch auch als Umgangssprache
bei palästinensischen Juden annehmen kann. Darüber hinaus
machen es einige Funde immerhin wahrscheinlich,
daß sich Griechisch auch schon im 1. Jh. in Jüdisch-Palästina
durchgesetzt hat. Man müßte aber fragen, in welchen Bereichen
dies geschehen ist. Für den Handel und für Verträge
mit Nichtjuden mag das schon sehr zeitig geschehen
sein; für die Umgangssprache gibt es keine Beweise. M.E.
unterliegt S. einem Trugschluß, der auch beim Mittelalter
leicht möglich wäre. Würde man nämlich allein aus den
Urkunden, Grab- und Gebäudeinschriften Rückschlüsse ziehen
, müßte man annehmen, daß im Mittelalter jedermann
Latein sprach. Die schriftlichen Zeugnisse dieser Art geben
für die tatsächliche Umgangssprache weit weniger her, als
man zunächst annehmen möchte. Es ist z. B. auch möglich,
daß jemand aramäisch spricht, aber nur griechische Schriftzeichen
lesen kann (ganz davon abgesehen, wieviel überhaupt
lesen und schreiben können). Beispiele für das Phänomen
, nur fremde Schriftzeichen zu kennen, obwohl man nahezu
ausschließlich die Heimatsprache spricht, lassen sich aus
allen Erdteilen bringen.

Der Wert des Buches besteht m.E. allein in der Sammlung
des archäologischen Materials, das S. auf dem neuesten
Stand der Ausgrabungen darbietet. Es bedarf allerdings
noch eingehender Untersuchungen, welche Rückschlüsse
aus ihm wirklich möglich sind. Die Schlüsse, die S. zieht,
sind beim jetzigen Stand auf jeden Fall nicht möglich und,
da die literarischen Quellen eher in andere Richtung weisen
, nicht einmal naheliegend.

Berlin Karl Martin Fischer

Bammel, Ernst: Markus 10,llf. und das jüdische Eherecht

(ZNW 61, 1970 S. 95-101).
Beck, Norman A.: The Last Supper as an Efficacious Sym-

bolic Act (JBL LXXXIX, 1970 S. 192—198).
Becker, Klaus: Hartherzigkeit und Gottes Gesetz, die Vorgeschichte
des antijüdischen Vorwurfs in Mc 10,5 (ZNW

61, 1970 S. 1-47).
Bouwman, Gilbert: Die Erhöhung Jesu in der lukanischen

Theologie (BZ 14, 1970 S. 257-263).
Brooks, Walter Edward: The Perpetuity of Christ's Sacri-

fice in the Epistle to the Hebrews (JBL LXXXIX, 1970

S. 205-214).

Cremer, Franz Gerhard: Der „Heilstod" Jesu im paulini-
schen Verständnis von Taufe und Eucharistie. Eine Zusammenschau
von Rom. 6,3f und 1 Kor. 11,26 (BZ 14, 1970
S. 227—239).

Danker, Frederick W.: The demonic secret in Mark, a re-

examination of the cry of dereliction (15,34) (ZNW 61,

1970 S. 48-69).
Ernst, Josef: Schriftauslegung und Auferstehungsglaube

bei Lukas (ThGl 60, 1970 S. 360-374).
— Das Selbstverständnis des Gemeindeamtes im Neuen

Testament (Una Sancta 24, 1969 S. 189-200).
Fortna, Robert T.: Source and Redaction in the Fourth

Gospel's Prtrayal of Jesus' Signs (JBL LXXXIX, 1970 S,

151-166).

Francis, Fred O.: The form and function of the opening

and closing paragraphs of James and I John (ZNW 61,

1970 S. 110-125).
Hoff mann, Paul: Der ungeteilte Dienst. Die Auslegung der

Bergpredigt V (Mt. 6,1—7,27). (Bibel und Leben 11, 1970

S. 89-104).