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Ausgabe:

1971

Spalte:

548-550

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Pesch, Otto Hermann

Titel/Untertitel:

Sprechender Glaube 1971

Rezensent:

Schunack, Gerd

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 7

548

zeitig um eine Streitschrift gegen den puritanischen Moralismus
John Taylors, der ein heftiger Gegner der Erbsünden-
lehre war und dessen Schriften Edwards durch den ihm befreundeten
schottischen Reverend John Erskine erhielt.

In der Einführung des Herausgebers wird die zeitgenössische
nordamerikanische und englische theologische Situation
, soweit sie für die Fragenstellung relevant ist, eingehend
gewürdigt. Arminianischc, sozinianische und deistische Strömungen
begünstigen das Wiederaufkommen der pelagiani-
schen Auffassung, daß der Mensch, obwohl er erfahrungsgemäß
sündigt, keineswegs durch Adams Fall die Fähigkeit
sittlicher Entscheidungsfreiheit verloren habe. Aufgeklärte
Philosophen und Theologen betrachten das Erbsündendogma
als unvereinbar mit den Gesetzen der Logik und den Prinzipien
der Ethik.

Edwards' Gegenkonzeption beruht auf folgenden Hauptgedanken
: Alle Menschen sind der Sünde total verfallen.
Nach dem Grundsatz der Identität partizipieren sie ausnahmslos
an der Sündenschuld Adams. Die Erklärung dafür
ist nicht in einer Verursachung des Bösen durch den Schöpfer
, sondern allein in der Verderbnis der menschlichen Natur
zu suchen. Die Sünde der Nachfahren Adams ist nicht deshalb
deren eigene Sünde, weil sie von Gott imputiert wird,
sondern Gott rechnet sie jedem Menschen nach Adam zu,
weil es seine eigene Sünde ist (p. 408).

Ihr notwendiges Korrelat besitzt die Allgemeinheit der
Sünde im Sterbenmüssen. Während für Taylor der Tod als
das Ende unserer zeitlichen Existenz etwas rein Natürliches
ist, das theologico sogar einen Akt der besonderen Fürsorge
Gottes für sein Geschöpf bedeutet, indem ein zeitlich begrenztes
Dasein auch eine Begrenzung der an den Menschen
herantretenden Versuchungen bedeutet, gehört nach Edwards
das Sterbenmüssen nicht zur Geschöpflichkeit, sondern
ist Ausdruck des göttlichen Gerichlshandelns und Sün-
dens träfe.

Ist für Taylor das Kreatursein des Menschen nichts weiter
als die Gabe des Lebens im biologischen Sinn, so bedeutet
es nach Edwards wesentlich mehr. Der Zustand Adams vor
dem Fall war eine vollendete Harmonie von Seele und Leib.
Der Tod als „der Sünde Sold" umfaßt sowohl das leibliche
als auch das geistige (spiritual) Sterben. Von hier aus wird
die Verbindung zum Erlösungsgeschehen hergestellt, denn,
so folgert Edwards, nur eine gänzlich gefallene Menschheit
bedarf des Opfers Christi. Erbsünde bedeutet völlige Verderbnis
, nicht etwu nur einen moralischen Defekt, und es isi gerade
das Kennzeichen des erbsündigen Menschen, dal! er
auch so etwas wie ein moralisches Gewissen besitzt.

Wenn Taylor Beispiele dafür bringt, daß von gläubig gewordenen
Menschen nachahmenswerte Werke der Caritas gewirkt
werden, so sieht Edwards hierin nicht die Verifizierung
humaner Möglichkeiten auf ethischem Gebiet im Stande der
Wiedergeburt, sondern allein die Folge göttlicher Gnade. Der
Anselmschc Gedanke, daß der Mensch, sofern er imstande
wäre, Gott zu geben, was er ihm schuldet, schließlich doch
nichts über sein Schuldigsein Hinausgehendes und daher
nichts Verdienstliches getan habe, durchzieht Edwards' Arbeit
verschiedentlich.

Edwards richtet an seinen Kontrahenten die Frage, wie es
bei der von ihm vorausgesetzten sittlichen Entscheidungsfreiheit
des Individuums möglich sei, daß alle Menschen übereinstimmend
einen schlechten Gebrauch ihrer Willensfreiheit
machten. Die Antwort könne nur darin bestehen, daß eine
dauernde Verderbnis bestehe, die auf einer allgemeinen Ursache
beruhe (,,a steady effect requires a steady cause",
p. 194). Taylors Position der sittlichen Entscheidungsfreiheit
inkludiert nach Edwards das Mißverständnis, daß Gott dem
Menschen außer einer Anlage zum Guten auch eine solche
zum Bösen als schöpfungsmäßiges Attribut verliehen habe.
Edwards zufolge war der Mensch sowohl mit natürlichen als
auch mit übernatürlichen Gaben ausgestattet. Das Zurücktreten
der übernatürlichen Gaben nach dem Fall zugunsten
der natürlichen (der „natural" resp. „inferior principles",

p. 381) nach dem Fall war die Folge, nicht die Ursache der
Verfehlung Adams.

Um seinen arminianischen Gegnern keine Angriffsfläche
zu bieten, konnte Edwards unmöglich eine Wahlfreiheit des
ersten Menschen zwischen Gutem und Bösem annehmen.
Deshalb spricht er von einer zur Geschöpflichkeit gehörenden
Unvollkommenheit Adams, die mit Unwissenheit gepaart
war. Indem er aber so den Faktor der Unwissenheit (die die
Versuchung zur Sünde nicht als solche erkennen läßt) mit in
Ansatz bringt, setzt er sich dem Vorwurf aus, nun doch letztlich
Gott für den Sündenfall verantwortlich zu machen.

Edwards kann schließlich nur feststellen, daß die Sünde
mit der Zulassung Gottes (by God's permission", p. 393) in
die Welt kam. Auf dieser Basis kann er die logische Konsequenz
ziehen, daß alles, was sich an Gutem oder Bösem ereignet
, durch den Willen Gottes determiniert ist. Zufall und
Wahlfreiheit werden damit in von Gott gezogene Schranken
verwiesen. An Edwards' Konzeption, die insgesamt nicht
über das orthodoxe Schema hinausführt, ist immerhin bemerkenswert
, wie er gegen den ethischen Individualismus
Taylors vorgeht.

Gott rechtet mit der Menschheit als einer Einheit. Dabei
ist es Edwards nicht um eine allgemeine Identität Adams
mit seinen Nachfahren zu tun, sondern um eine innerhalb
ihrer selbst vielschichtig differenzierte Einheit („God made
identical those things, which in other respects were not one",
Holbrook, p. 58). Alle Menschen stimmen darin überein, daß
Sünde und Schuld zu ihrer Natur gehören. Sündigkeit ist
nicht die kontinuierliche Folge akthafter Vergehen, die von
einer ethisch neutralen menschlichen „Natur" aus durch die
freie Willensentscheidung des Individuums möglich wird,
sondern wesensmäßiger Bestandteil menschlichen Seins.

Die göttliche Gerechtigkeit läßt die Sünde zu, um letztlich
heilsökonomisch doch alles zum Guten zu wenden. Gott demonstriert
dadurch seine Heiligkeit und Gerechtigkeit gegenüber
seinem menschlichen Geschöpf. Stellt man sich abschließend
die Frage nach dem Ertrag der Veröffentlichung
als Ganzer, so muß zunächst auf das im Vordergrund stehende
thcologiegeschichtliche Interesse verwiesen werden.
Die vom Herausgeber sorgfältig zusammengestellten historischen
Daten, biographischen Notizen, seine Qucllenhin-
weise und Anmerkungen zum Text mögen vor allem der spezielleren
Forschung dienen.

Holbrook's Ausführungen über die Hczeption und die
Wirkungen von „Original Sin" lassen jedoch erkennen, daß
eine nicht geringe Zahl von Problemen sowohl hinsichtlich
der Bedeutung der nordamerikanischen Erweckungsbewc-
gung als auch der dogmatischen Kein I ici eise /.wischen Edwards
und Taylor einer weiteren Erörterung, die den historischen
und gesellschaftspolitischen Rahmen stärker berücksichtigt
, bedürfen.

Wie Holbrook sehreibt, wurde als Skopos der lirbsünden-
lehre Edwards' erst relativ spät der Zusammenhang von einer
die Menschheit belastenden Schuld und dem Bruderschaftsgedanken
, zu dem Edwards durch sein Leben und
die Predigt unter den Indianern inspiriert wurde, entdeckt.
Das ist vorerst nichts weiter als eine schwache Andeutung,
in welcher Richtung noch weitergearbeitet werden müßte,
um das Werk von Edwards richtig einschätzen zu können.

Potsdam Ilse Ilcrtinctti

Pesch, Otto Hermann: Sprechender Glaube. Entwurf einer
Theologie des Gebetes. Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag
[1970]. 108 S. 8° = Erlöstes Dasein. Kart. DM 8,80.

Es ist notwendig und nützlich, vor die Frage gestellt zu
werden, wie das Gebet theologisch verantwortet, wie das Beten
als selbstverständlicher Akt des Glaubens wahrgenommen
werden kann. Theologisches Nachdenken trifft hier un-