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Ausgabe:

1971

Spalte:

19-22

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Klatt, Werner

Titel/Untertitel:

Hermann Gunkel 1971

Rezensent:

Wagner, Siegfried

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 1

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präzis gemeint zu haben und mit diesem theologischen und
literarischen Schwergewicht ausgesprochen zu haben, vielleicht
gar nicht die bewußte Absicht des Vf.s ausmachte.

Neben dem Kommentar hat der Vf. auf S. 138—159 eine
Zusammenfassung seiner Ergebnisse vorgelegt. Diese geht
weit hinaus über das, was einst Striedl (ZAW 14, 1937 S.
73—108) in seiner stilistisch-syntaktischen Untersuchung des
Buches Esther erbracht hat. Das Ergebnis lautet, daß das
Estherbuch Kunstprosa ist, verfaßt von einem ehrfürchtigen
, klugen und religiösen Juden, der seine Ideen in eine
theologisch verhüllte und weisheitliche Erzählung gebracht
hat. Entstanden ist das Buch um 250 v. Chr.

In dankbarer Anerkennung der Leistung des Vf.s wird
man ihm zugestehen dürfen, daß er seine angezeigte Methode
klar und folgerichtig durchgeführt hat und dabei
in vieler Hinsicht zu einer größeren Präzision der exegetischen
Aussagen gelangt ist, ohne daß diese selbst als in
allen Stücken neu anzusprechen sind. Es ist nicht die erste
Arbeit dieser Art aus seiner Feder. Er hat ein ähnliches
Thema für das Buch Ruth behandelt: Leitwortstil in der
Ruthrolle (Theologie im Wandel, München 1967 S. 394—407).
Interessant ist die Formulierung des Vf.s, „daß in der Person
der Esther die Kreuzestheologie des Alten Bundes
durchschimmere" (S. 158). Ich bin in meinem Estherkommentar
(KAT XVII 5, Gütersloh 1963) in der Interpretation
von Est 4,16 zu ähnlichen Formulierungen gekommen,
wenn ich auch das Verhältnis zum Kreuz von Golgatha in
anderer Weise bestimmt habe. Siehe dort auch meinen Hinweis
auf E. Stauffer, Jesus, Gestalt und Geschichte 1957,
106f., nämlich S. 335 Anmerkung 22.

Leipzig Hans Bardtke

Klatt, Werner: Hermann Gunkel. Zu seiner Theologie der
Religionsgeschichte und zur Entstehung der formgeschichtlichen
Methode. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
1969. 280 S., 1 Porträt gr. 8" = Forschungen zur
Religion und Literatur d. Alten u. Neuen Testaments,
hrsg. v. E. Käsemann u. E. Würthwein, 100. DM 34.— ;
Lw. DM 38.—.

Ein Satz im Vorwort berührt den Leser dieser ursprünglich
von der Hamburger Theologischen Fakultät als Dissertation
angenommenen wissenschaftsgeschichtlichen Monographie
(1966) sehr sympathisch. Der Vf. bekennt seinem
Betreuer (Klaus Koch) gegenüber: „Er hat nicht nur diese
Arbeit mit Ratschlägen und Ermunterungen begleitet, sondern
darüber hinaus allererst bei mir Verständnis für die
Probleme einer Epoche unserer Theologiegeschichte erweckt
, die ich von meinem Studium her nur als Scheinprobleme
kannte" (S. 7). Mit großer Sorgfalt und Umsicht
hat sich der Vf. einem Gegenstand gewidmet, der es lohnt,
wissenschaftsgeschichtlich umfassend bearbeitet zu werden.
W. Klatt hat es begriffen, wie fest die heutige Arbeit am
Alten Testament in den Werken der Klassiker dieser Disziplin
wurzelt und um wieviel mehr sich das Verständnis
für die Probleme unserer Zeit erschließt, je intensiver man
die vorvergangene Zeit untersucht. Der Autor hat Freude
an seiner Arbeit gefunden, und man spürt dies den Darlegungen
durchaus ab. Auf mancherlei Entdeckungen, durch
die bisherige Auffassungen oder Urteile korrigiert bzw.
modifiziert werden können, darf der Wissenschaftshistoriker
mit Recht stolz sein. W. Klatt hat eine lesenswerte und
interessante Studie zu Hermann Gunkel vorgelegt, aus der
man viel Belehrung erhält.

Es trifft sich gut, daß ausgerechnet der 100. Band der
.Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und
Neuen Testaments' dem Begründer dieser Reihe und seinem
Andenken gewidmet ist. Dieser Tatbestand veranlaßt Verleger
und Herausgeber, in einem Geleitwort (S. 5f.) rückblickend
und würdigend dieses großen Gelehrten zu gedenken
.

Das Buch hat drei Hauptteile, eine Einleitung (S. 11 bis
14) und einen Schluß (S. 261—271), ein Verzeichnis der von
Gunkel verfaßten Bücher, Schriften und Lexikonartikel,
vornehmlich von 1922 ab (S. 272—274). Für die Zeit davor
ist auf die von J. Hempel zusammengestellte Bibliographie
(in Eucharisterion II, 1923 S. 214—225) verwiesen, so daß
nur die wichtigsten Veröffentlichungen aufgeführt sind.
K. nennt dann noch 7 Titel über Gunkel. Die Hempelsche
Bibliographie konnte um weitere 7 Titel ergänzt werden.
Zum Schluß stehen ein Namensregister (S. 276—280, fast
360 Namen) und ein kurzes Verzeichnis der Abkürzungen
(S. 275). In den Hauptteilen erörtert K. zunächst wissenschaftsbiographisch
„Die Anfänge" (I. Teil; S. 15—45), d. h.
den Werdegang Gunkels von der Geburt über Schulbildung,
Studium bis zur Habilitation (1888), diskutiert dann weiter
die .geistige Orientierung' des jungen Theologen und dessen
erste literarische Arbeit (,Die Wirkungen des heiligen
Geistes . . ', 1888), erwähnt die Begegnung Gunkels mit der
Apokalyptik und schildert schließlich die Wanderung von
Göttingen nach Halle und von Halle nach Berlin (1894).
Stehen im ersten Teil biographische Ausführungen im
Vordergrund, so nimmt in den beiden anderen Hauptteilen
die Würdigung des wissenschaftlichen Lebenswerkes
des Gelehrten den ersten Platz ein. K. gliedert Gunkels
Schaffen in eine ,religionsgeschichtliche Periode' (II. Teil,
S. 46—103) und eine ,literaturgeschichtliche Periode' (III.
Teil, S. 104—260). Beide Teile sind noch stärker untergliedert
, und rein umfangmäßig liegt auf dem zuletzt genannten
ein besonderes Gewicht. Das Zurücktreten des Biographischen
in diesen beiden Teilen bedeutet nicht den Verzicht
auf biographische Mitteilungen. Nicht allein im Text,
sondern auch in den Anmerkungen finden sich dazu außerordentlich
wertvolle Notizen (z. B. S. 84. 185 u. Anm. 32
u. ö.). Es geht ja im Grunde genommen auch nicht anders;
Lebensgang und Lebenswerk sind stark ineinander verwoben
und erklären sich gegenseitig.

Der ,die Anfänge' kennzeichnende Abschnitt ist sehr
kurz und komprimiert gehalten. Ein sehr umfangreiches
Material (die Nachweise stehen in dem umfänglichen
Anmerkungsapparat) ist hier verarbeitet. Wertvoll ist, daß
Archive verschiedenster Art auf Quellen hin befragt werden
konnten. Zu danken ist insbesondere Frau Hanna Greß-
mann, Herrn W. Gunkel und dem Hause Ruprecht (neben
vielen anderen) dafür, daß sie dem Verfasser Einblick in
vorhandene Briefe und auch sonstige nicht veröffentlichte
Materialien und Dokumente gewährten, die Leben und
Werk Hermann Gunkels hell beleuchten. Köstlich der Auszug
aus dem Rundbrief Hugo Greßmanns an seine Freunde
im Schwarzburgbund vom 26. 10. 1908 (S. 44), in dem —
sicher sehr subjektiv — die Lage an der Berliner Theologischen
Fakultät in jener Zeit analysiert wird; instruktiv
auch der Familienrundbrief Greßmanns vom 31. 7. 1920
(S. 223ff)! Eine Briefsammlung zum Thema .Hermann Gunkel
' (Briefe Gunkels und Briefe an Gunkel) würde sich gewiß
lohnen. Insgesamt hätte man sich diesen ersten Hauptteil
etwas ausführlicher gewünscht. Wie verhält sich z. B. das
negative Votum de Legardes über Gunkel, das in den Bericht
v. Meiers an das Preußische Kultusministerium vom
26. 4. 1888 einfließt (S. 17), zu dem „freundschaftlichen Verkehr
", der sich während des Studiums von Gunkel bei de
Lagarde entwickelte (S. 24)? Für die Diskussion um die
,Herkunft der gattungsgeschichtlichen Methode' (S. 106ff)
dürften ,die Anfänge' nicht unwichtig sein, übrigens auch
nach des Vf.s Ansicht nicht (S. 17f), allerdings kommt K.
nachher bei der Erörterung dieses Problems darauf nicht
mehr zurück. K. gelangt bei seinen Untersuchungen zu der
bemerkenswerten These, daß Gunkel die Methode der Gattungsforschung
weder aus der Germanistik noch aus der
klassischen Philologie übernommen, sondern selbständig