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Ausgabe:

1971

Spalte:

249-251

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Speyer, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Bücherfunde in der Glaubenswerbung der Antike 1971

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 4

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3 Vgl. dazu I. D. J. Waardenburg in der BiOr 24, 1967, S. 101-103
(bes. 103) „Die Religionswissenschaft ist eine empirische Wissenschaft,
auch als Systematik" heißt es bei G. ausdrücklich (492).

* Sie ist „unter Verwendung von Vorarbeiten von Helmhart Kanus-
Crede und dem Verfasser übersetzt von Rosmarie Elgnowski".

* Ich möchte in dieser Besprechung einmal nicht die Kritik an Einzelheiten
und Einseitigkeiten der Arbeitsweise W.s in den Mittelpunkt
stellen, die dem Kenner aus meinen anderen Arbeiten her vielleicht
bekannt sein dürfte, sondern das uns gemeinsam Verbindende hervorstellen
: den Anspruch einer philologisch-historischen Religionswissenschaft
.

6 Some Remarks on the Methods of the Phenomenology of Religion.
In: Acta Univ. Ups. 17. Universitet och Forskningen (Festschrift T. Se-
gerstedt), 1968, S. 250—260. Vgl. auch den älteren, richtungweisenden
Aufsatz von W. „Evolutionism and the Problem of the Origin of Religion
", in: Ethnos 1945: 2-3, S. 57—96. W. hat sein Werk „in bewußtem
Protest gegen den in Schweden noch vor 25 Jahren herrschenden und
von namhaften Gelehrten vertretenen Evolutionismus geschrieben"
(Vorwort, S. VIII). Diese Tatsache spürt man noch heute auf Schritt
und Tritt.

7 Dos Problem des geistigen Seins, 3. Aufl. Berlin 1962, S. 31. Vgl.
Rudolph, Die Problematik der Religionswissenschaft als akademisches
Lehrfach (in: Kairos IX, 1967, S. 22-42), S. 38 A. 84.

H Dieselbe Auffassung auch bei G. v. d, Leeuw, Einführung in die
Religionsphänomenologie, München 1925, S, 3.

H Uber die mit der „Entwicklung" in der Religionsgeschichte zusammenhängenden
Probleme s. meinen Aufsatz in: Kairos 1971, Heft 1.

10 Vgl. ebd. A. 68.

11 The Religious Consciousness, New York 1934, S. 2 f.

12 Vgl. bes. Th. P. van Baaren, Systematische Religionswissenschaft,
S. 84 ff. (wichtige Vorschläge für die Religionsdefinition!); ferner Rudolph
, Die Problematik der Religionswissenschaft, S. 32 f. Zum Problem
des Buddhismus als „Religion" s. vor allem H. von Glasenapp, Buddhismus
und Gottesidee, Wiesbaden 1954 (Abh. d. geisteswiss. Kl. d.
Akademie d. Wiss. u. Lit. Mainz, 1954: 8) — Der Buddhismus — eine
atheistische Religion, München: Szczesny 1966.

13 Vgl. dazu jetzt auch J. Blythin, Magic and Methodology, in: Nu-
men XVII, 1970, S. 45—59, der zu ähnlichen Ergebnissen wie W. kommt.

14 Das Heilige im Germanischen, Tübingen 1942, bes. S. 1—46: Das
Phänomen des Heiligen. Dieser bahnbrechende Aufsatz erscheint demnächst
erneut in einer Sammlung „Kleiner Schriften" von W. Baetke.

15 Vgl. auch Widengren, Evolutionism S. 86 ff.; Rudolph, Die Religionsgeschichte
an der Leipziger Universität, Berlin 1962 (SB Sächs.
Akd. d. Wiss. Leipzig, Pil.-hist. Kl. 107:1), S. 165 f., 171 ff. (hier muß
es S. 171 A. 1 richtig lauten: Widengren betont auch wie Baetke den
primär religiösen, nicht moralischen Aspekt des „Heiligen". Das Zitat
findet sich in der dt. Fassung S. 41).

16 Vgl. Rudolph, Der Beitrag der Religionswissenschaft zum Problem
der sog. „Entmythologisierung", in Kairos 1970, H. 4, S. 181—207, bes.
187 ff.

*7 Vgl. Rudolph, Die Mandäer I, Göttingen 1960, S. 202 A. 5 (Lit.)

18 Darüber hat S. Morenz einen wichtigen Aufsatz geschrieben, den
W. leider nicht berücksichtigt hat: „Entstehung und Wesen der Buchreligionen
, ThLZ 75, 1950, Sp. 709 ff.; vgl. auch J. Leipoldt - S. Morenz,
Heilige Schriften, Leipzig 1953.

10 Diese Termini sind natürlich in ihrer Verwendung nicht einhellig.
Vgl. dazu Wach, Religionssoziologie, S. 60 ff.; R. König, Soziologie,
Frankfurt/M. 1967 (Fischer-Lexikon 10), S. 69-97; G. Kehrer, Religionssoziologie
, Berlin 1968 (Slg. Göschen 1228), S. 53 ff., 107 ff.

20 Die berechtigten kritischen Einwände gegenüber Dumezils Strukturforschung
lasse ich hier beiseite (vgl. Rudolph, Das Problem der
Entwicklung in der Religionsgeschichte, Kairos 1971, Abschn. III., 3.2.).

ALLGEMEINES

Speyer, Wolfgang: Bücherfunde in der Glaubenswerbung
der Antike. Mit einem Ausblick auf Mittelalter und Neuzeit
. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (1970] 157 S.
gr. 8" = Hyponemata. Untersuchungen zur Antike und
zu ihrem Nachleben, hrsg. v. A. Dihle, H. Erbse, Ch. Habicht
, G. Patzig, B. Snell, 24.

Religionsphänomenologische Untersuchungen von Gewicht
sind selten geworden. Die Ursachen dafür sind unschwer
zu erkennen. Wer sich zu großflächiger, vergleichender Darstellung
entschließt, muß zumeist auf philologische Gründlichkeit
verzichten. Beschränkt man sich auf jene Bereiche,
deren Quellen man auch sprachlich meistert, so ist ein verengter
Blickwinkel kaum zu vermeiden. Joh. Leipoldt und
Siegfried Morenz, die in ihren „Heiligen Schriften" (1953)
dem thematischen Umkreis der vorliegenden Arbeit eine
weitgespannte Untersuchung widmeten, hatten sich deshalb
zur Gemeinschaftsarbeit entschlossen. Die hier anzuzeigende
, sehr viel speziellere Studie aus der Schule Theodor
Klausers konzentriert sich auf den engen Abschnitt der (fingierten
und echten) Bücherfunde in der religiösen Literatur
der Antike und des Christentums. Für den Verfasser, dessen
im Rahmen des RAC veröffentlichte Artikel Fälschung1 und
Fluch- bereits Beachtung gefunden haben, steht diese Arbeit
in engem Zusammenhang mit einer weiteren Untersuchung
über die literarische Fälschung im klassischen und
christlichen Altertum, die demnächst erscheinen soll.

Bei dieser Themenstellung darf der Autor der Aufmerksamkeit
, vor allem der Neutestamentier und Patristiker, gewiß
sein, für die das Thema der Pseudepigraphie und literarischen
Fiktion nach wie vor von nicht geringer Bedeutung
ist*. Die Ausbeute mag zunächst bescheiden erscheinen.
Wir hören von Himmelsbriefen und Überbringungen von
Gottesbotschaften durch Götterboten (S. 6—42), von Bücherfunden
aus Gräbern und aus der Erde (S. 43—124), schließlich
von Bücherfunden in Bibliotheken, Tempeln und Archiven
(S. 125—141). Zu allen diesen Gegenständen breitet der
Vf. das von ihm gesammelte Material teils in sachlicher,
teils in chronologischer Ordnung aus, wobei er die grundlegenden
Motive vom Ägypten der vorhellenistischen Zeit
bis in die von ihm besonders reichhaltig herangezogene
altchristliche und frühmittelalterliche hagiographische Literatur
verfolgt.

Besonders herauszuheben ist die vergleichende Analyse
der Berichte über die Funde der Bücher des Numa, der

Tagebücher des Kreters Diktys (eines angeblichen Teilnehmers
des Trojanischen Krieges) und der Paulus-Apokalypse
, die eine weitgehende motivische Verwandtschaft zwischen
diesen zeitlich weit auseinanderliegenden Texten zutage
bringt. In der heiklen Frage des Deuteronomiums
kommt er zu dem Urteil: „Die Möglichkeit einer in Szene
gesetzten Buchauffindung ist auch beim Deuteronomium
nicht ganz abzuweisen" (S. 128).

Die hier bevorzugte gleichsam pointillistische Darstellungsweise
, die sich dem Reiz des einzelnen ergibt, macht
sowohl die Stärke wie die Schwäche des Buches aus. Oft ist
es nicht leicht, die großen Linien zu erkennen, Wiederholungen
und Überschneidungen sind nicht immer vermieden
worden'. In einem Werk, das der Rolle des Buches bei der
Glaubenswerbung gewidmet ist, hätte man eine stärkere
Berücksichtigung der missionierenden Religionen der ausgehenden
Antike, des Judentums und der Mysterien, erwartet
.

Das für den Verfasser wichtigste Ergebnis liegt darin,
daß nicht in allen untersuchten Fällen einfachhin literarische
Fälschung vorliegt. Nachrichten über Funde in Bibliotheken
und Archiven können auf Wahrheit beruhen (S. 129).
Echte Bücherfunde auf den Grabfeldern Ägyptens sind
durchaus glaubhaft, wenn auch in Ägypten selbst und dann
im griechisch-römischen Bereich der angebliche Fund zum
Mittel der Beglaubigung wurde (S. 122). Selbst die religiöse
Vorstellung des Himmelsbriefes sei bedingt rationalisierbar
: zu ihrer Entstehung und Ausbreitung habe das
Auftreten von Meteoren wesentlich beigetragen (S. 31). Daß
daneben ein breiter Raum verbleibt, in dem Berichte über
Bücherfunde zum Stilmittel geworden sind (Beglaubigungsmotiv
) oder simple literarische Fiktionen darstellen, wird
auch von unserem Autor nicht bestritten. Dennoch möchte
er davon jenen Bereich gesondert wissen, den er als „echte
religiöse Pseudepigraphie" bewertet5. Damit soll jene Form
der Pseudepigraphie bezeichnet werden, bei der der Schriftsteller
glaubt, als Werkzeug der Gottheit gehandelt zu haben
". Die Diskussion dieser auch für die neutestamentliche
Einleitungswissenschaft folgenreichen Sicht hat bereits begonnen7
. Es darf als Verdienst W. Speyers gelten, mit seinen
Forschungen der Wiederaufnahme eines lange vernachlässigten
Themas wesentliche Anstöße gegeben zu haben.

Halle/Saale Wolfgang Wiefel

1 RAC VII, 1, 1967, Sp. 236-277 (vgl. ThLZ 93, 1968, Sp. 844).

2 RAC VII, 2, 1969. Sp. 1244-1268 (vgl. ThLZ 95, 1970, Sp. 278 f.).

3 Dazu die zuletzt erschienenen Aufsätze von K. Aland, Das Problem
der Anonymität und Pseudonymität in der christlichen Literatur
der ersten beiden Jahrhunderte, in: Studien zur Oberlieferung des Neu-