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Ausgabe:

1970

Spalte:

625-627

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Goeden, Roland

Titel/Untertitel:

Zur Stellung von Mann und Frau, Ehe und Sexualität im Hinblick auf Bibel und alte Kirche 1970

Rezensent:

Goeden, Roland

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 8

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Ostung der Kirchen in Syrien und gegen eine derartige Orientierung
in Rom war theologisch dort bereits vor der frühesten
uns heute bekannten genuin syrischen Kirchengriindung gefallen
, hier bevor die Kultbauten aus den Randgebieten ins
Innere der Weltstadt zogen. — Die Frage nach dem „Standort
des Liturgen am christlichen Altar" habe ich bewußt ausgeklammert
, da während der Abfassung meiner Dissertation
0. Nußbaums Habilitationsschrift2 bereits für den Druck vorbereitet
wurde. Die Frage der liturgischen Orientierung ist
heute nicht mehr ohne Beachtung des von Nußbaum untersuchten
Materials zu beantworten. Von hier aus wäre meine
Untersuchung heute um einiges differenzierend zu ergänzen.
Grundsätzlich aber brauchen von Nußbaums Arbeit her weder
die Beobachtungen am römischen noch am syrisch-Kon-
stantinopler Befund korrigiert zu werden3.

1 Vgl. A. M. Schneider, Liturgie und Kirchenbau in Syrien. NAG
Phil.-hist. Kl. 1949 S. 45-68.

■ O. Nußbaum, Dur Standort des Liturgen am christlichen Altar vor
dem Jahre 1000. Eine archäologische und liturgiegcschichtlichc Untersuchung
. I. Text; 11. Abbildungen und Tafeln. Theophaneia 18, 1/2.
Bonn 196S.

* Nußbaums Absicht, die liturgische Reform des Zweiten Vatikanischen
Konzils als historisch legitim auszuweisen, verleitet ihn — zumindest
für Syrien — zu einer allzu großzügigen Interpretation des
von ihm selbst erhobenen archäologischen Befundes, der m. E. deutlich
für die Stellung von Gemeinde und Liturg westlich vom Altar spricht,
d. h. für eine liturgische Ostung beider während der zentralen Handlung
der eucharistischen Feier — und das zu jedem möglichen Beobachtungszeitraum
(vgl. ThR 35, 1969 S. 82 f.).

Goeden, Roland: Zur Stellung von Mann und Frau. Ehe und
Sexualität im Hinblick auf Bibel und Alte Kirche. Dia«.
Göttingen 1969. 317 S.

Die Arbeit basiert auf Referaten vor der Kommission des
Öffentlichkeitsausschusses der Ev. Kirche im Rheinland, die
sich mit Fragen der Reform des Sexualstrafrechts befaßt. Sie
stellt sich die Frage, welche biblischen und welche außerbiblischen
Einflüsse im Bereich Ehe und Sexualität wirksam
geworden sind.

Altes Testament: Die Frau ist im alten Israel — wie im
Alten Orient — de facto weitgehend Eigentum des Mannes.
Gen 3,16 macht deutlich, daß zumindest der Jahwist dieses
Faktum nicht mit dem Willen Jahwes gleichsetzt. — Das AT
sieht in fast allen Traditionssträngen Kinder als Gabe Jahwes
. In fast allen Traditionssträngen wird aber auch der Ehe
— unabhängig vom Kind — eine eigene Würde zugesprochen.
Fruchtbarkeit ist nicht Selbstzweck, sondern mit dem Auftrag
der Beherrschung der Erde verbunden. Aus der Sicht des
AT ist eine verantwortungsbewußte Familienplaming durchaus
zu bejahen. — Israel hat mit großer Freiheit Gebräuche
der Umwelt wie Reste matriarchalischer Eheformen, Poly-
gynie und Brautkauf übernommen, ohne darin einen Status
confessionis zu sehen. Im AT läßt sich kein Gefälle zur Monogamie
hin nachweisen und die Monogamie wird nicht gesetzlich
gesichert. Daraus erhellt, daß Israel sich hier — im Gegensatz
zu mancher gesetzlichen Missionspraxis — Freiheit echten
geschichtlichen Handelns bewahrt hat. — In der Frage der
kultischen Prostitution dagegen haben die Propheten den
Status confessionis klar erkannt. Im Gegensatz zum hieros
gamos des Alten Orients versteht Hosea die Ehe Jahwe —
Israel geschichtlich, d.h. von der Fürsorge Jahwes her. Darum
kann Unzucht ganz allgemein heißen: Sein Leben — in
welchem Bereich auch immer — von einer anderen Macht als
von Jahwe erwarten. — Die Texte aus der Zeit der Salomonischen
Aufklärung — vor allem der Jahwist und Cant — stellen
den Höhepunkt der alttestamentlichen Aussagen über
Mann und Frau dar. Personalität, Partnerschaft und richtig
verstandene Sexualität geben der Ehe eine Würde, wie sie
weder im Judentum noch in der christlichen Kirche — mit
Ausnahme weniger neutestamentlicher Aussagen — gesehen
worden ist.

Neues Testament: Jesus bringt keine neue Lehre über
die Ehe. Wenn er die Ehescheidung als Ehebruch disqualifiziert
, so trifft er damit in erster Linie den Hochmut, der
meint, durch korrekte Einhaltung der Gesetze der iustificatio
impii enthoben zu sein. Daraus folgt noch nicht ein grundsätzliches
Verbot der Scheidung oder der Wiedertrauung Geschiedener
. Erst die frühe Christenheit, die diese Freiheit
Jesu nicht durchhält, wandelt Jesu Worte in Lebensordnungen
um. Damit ist das von Jesus ad absurdum geführte juristische
Denken im Prinzip für die „christliche" Tradition wieder
bestimmend geworden.

Paulus begründet Gal 3,28 die Gleichrangigkeit der Frau
christologisch als Gleichbegnadung und bejaht 1 Kor7,3ff. die
eheliche Gemeinschaft, ohne daß er die Kinderzeugung erwähnt
. Auch versteht er die Ehe Christus-Gemeinde 2 Kor
11,2 im Sinne Hoseas geschichtlich. — Hatte Paulus 1 Kor
7,29—31 die eschatologische Freiheit so geschildert, daß sie
inmitten aller irdischen Bindungen Gott alles zutraut, so
sucht er sie v 28 und v 32 dadurch zu sichern, daß er den
Zündstoff für die Sorge vermindert. Seine Höherschätzung
der Virginität erweist sich damit als nicht streng eschatolo-
gisch begründet. Auch scheint hinter 1 Kor 7,34 die Vorstellung
der kultischen Keuschheit und damit des hieros gamos
durch. Im Ringen mit der konkreten Situation gelingt es
Paulus nicht, für Ehe und Sexualität einen genuin christlichen
Weg zu weisen.

Der Epheserbrief betont zwar — wie auch Kol 3,18 — die
Unterordnung der Frau, eröffnet aber in seiner christologi-
schen Begründung der Liebe des Mannes zur Frau eine völlig
neue Dimension für das Verständnis der Ehe, die sogar die
hohe Auffassung der Salomonischen Aufklärung übertrifft.
Gegenüber Schliers Thesen zur Stelle muß festgestellt werden
, daß der Eph den hieros gamos entmythologisiert, während
Schlier ihn im Gewände der Ehe remythologisiert.

Die Kirchenväter halten die Spannung der paulinischen
Salze nicht durch und betonen einseitig seine die Ehe abwertenden
Aussagen, vor allem 1 Kor 7,34. Sie deuten die Ehe
Christus — Gemeinde auf Christus und die einzelne christliche
Jungfrau um und gleichen sie damit der Vorstellung von der
kultischen Virginität an, die eindeutig heidnischen Ursprungs
ist und den hieros gamos zur Voraussetzung hat. Indem die
Alte Kirche sich in Abwehr des heidnischen Libertinismus
mit der ebenfalls heidnischen Askese verbündet, gelingt es ihr
nicht, einen eigenen, spezifisch christlichen Weg für die behandelte
Problematik zu gewinnen.

Die Arbeit wendet sich in einem letzten Teil der Frage der
Homosexualität zu, die in der Bibel stets in kultischen Bezügen
auftaucht. Hermann Baumanns Thesen (Das doppelte
Geschlecht. Ethnologische Studien zur Bisexualität in Ritus
und Mythos. Berlin 1955) legen die Vermutung nahe, daß der
Homosexualität die Vorstellung bisexueller Gottheiten zugrunde
liegt. Homosexualität wäre dann der Versuch, durch
Angleichung an das andere Geschlecht — z.B. durch kultischen
Kleiderwechsel — eine Zusammenlegung der männlichen
und weiblichen Potenzen und damit eine ungewöhnliche
Macht zu erreichen. Der ursprüngliche, heile Mensch
wird z.B. bei Berossos, Piaton, Jakob Böhme, Franz von
Baader sowie in manchen Spekulationen der Romantik bisexuell
(androgyn) vorgestellt. Dagegen kennt die Bibel keinen
androgynen Urmenschen. Vielmehr ist aus Gen 1,27
„männlich und weiblich schuf er sie (eos)" zu entnehmen, daß
die Priesterschrift in bewußter Abwehr gegen den ihr bekannten
Mythos formuliert. Das bedeutet: Der Mensch ist
von Gott unabweisbar in seine Geschlcchtlichkeit gewiesen.
Erfüllung findet er — im Gegensatz zur Sicht mancher Romantiker
— nur in der Bejahung, nicht in der Überwindung
seiner geschlechtlich differenzierten Menschlichkeit. Darum
kennt die Bibel — trotz ihrer Bejahung einer verantworteten
HeteroSexualität — keine entmythologisierte Homosexualität
als menschliche Möglichkeit. So kann die Homosexualität
keinesfalls als „Schöpfungsvariante", sondern nur als Ver-