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Ausgabe:

1970

Spalte:

583-585

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Haufe, Günter

Titel/Untertitel:

Vom Werden und Verstehen des Neuen Testaments 1970

Rezensent:

Strobel, August

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Theologische l.itcraturzeituug Jahrgang 11)70 Nr. 8

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Im dritten Teil des Buches sind vier Predigten des Vf.s angedruckt
(14711.), die er zu verschiedenen Anlässen gehalten
hat. Aus ihnen ersieht jeder, wie das Wort jenes Propheten,
der vor mehr als sichenundzwunzig Jahrhunderten plötzlich
in Bethel auftrat, an seiner Kraft nicht das Geringste eingehüllt
hat, ehen weil er damals nicht seine Meinung, sondern
den Auftrag seines Gottes den Leuten vor die Augen gestellt
hat.

Der vierte Teil des Buches hietet dann schließlich den gesamten
Text des Amosbuches ^195ff.), in dem der Vf. durch
verschiedene Schrifttypen die .ursprünglichen' Worte des
Propheten von denen seiner Schüler und anderen späteren
Zusätzen unterscheidet. Da möchte der Bez. aher doch nicht
allem zustimmen. Niemand war hei dem Entstehen des Buches
da hei, um alle Einzelheiten so genau wissen zu wollen
. Mehr Zurückhaltung wäre da gehoten, um durch eigene
subjektive Meinung nicht Anlaß zu falschen Schlüssen zu
geben. Die Wissenschaft hat jedoch ihre Beeilte.

I'raha Milui Bit

NEUES TESTAMENT

Haufe, Günter: Vom Werden und Verstehen des Neuen Testaments
. Eine Einführung. Berlin: Evang. Verlagsanstalt u.
Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn [1969]. 171 S.
8°. Lw. M 6,-.

Der Titel dieser knappen, doch durchaus reichhaltigen
Einführung entspricht genau dem Inhalt. In einem 1. Teil
geht es um das „Werden" des Neuen Testaments, wobei im
einzelnen gehandelt wird: „vom Werden des Kanons" (7—
28), „der einzelnen Schriften" (28—81), „des verarbeiteten
Traditionsgutes" (81—117), und schließlich „vom Werden
zentraler Begriffe und Vorstellungen" (117—131). Ein kürzerer
2. Teil bemüht sich um die Vcrstehensproblematik, wobei
auf drei entscheidende Fragen eine Antwort gegeben wird:
„Widersprüche im NT?" (132-145), „Gottes Wort im NT?"
(145—155) und „Vcrgegenwürtigung des NTs?" (155—169).
Den Schluß bildet eine kurze Zusammenstellung der wichtigsten
deutschen Literatur. Die Darstellung strebt durchweg
Allgemeinverständlichkeit an und will als „Orientierungs-
hilfe" mit den Ergebnissen der „heutigen Bibelwissenschaft"
— genauer: der kerygmatischen Schule — vertraut machen.
Zumindest in den einleitungswissenschaftlichen Abschnitten
berührt sich der Standpunkt des Verfassers in starkem Maße
mit einer Position, die der Leser in so vorbehaltloser Weise
am ehesten auch bei W. Marxsen findet (s. die Darstellung der
Verfasserschaftsfragen, der Briefteilungshypothesen, der
Paulusgegner u.a.). Die ausgesprochen kritische Linie, die
anders «lenkenden Standpunkten wohl nicht nur der Kürze
wegen keinen Platz einräumt, verleiht der Darlegung das Gesicht
, stellt aber freilich im Blick auf den nicht-theologischen
Leser ein gewisses Problem dar. Letzterer dürfte dazu neigen,
Hypothesen und Pakten in eins zu setzen. Bei solchem Ausgangspunkt
verdient der hermeneutische Beitrag hin zu
einem Christuszeugnis, das den Problemen der urchristlichen
Tradition, aber auch dem Anspruch der gegenwärtigen Situation
gerecht werden will, besondere Beachtung und Anerkennung
. Ob das heimliche theologische Schwergewicht gewisser
historischer Zentralprobleme (Abendmahlseinsetzung,
Osterberichte) hin und wieder nicht unterschätzt oder jedenfalls
vernachlässigt ist, möchte der Bez. fragen.

Schon in der Beschreibung der Kanonsbildung wird gezeigt
, daß das „wirkliche Problem" nicht die „Abgrenzung",
sondern die „Auslegung des NTs" ist (28). Mit Becht tragen
alle folgenden Abschnitte dem konsequent Bechnung. Das
verschiedene (kerygmatische, liturgische, paränetische) Traditionsgut
klar unterscheidend, wird der Überlieferungsprozeß
im wesentlichen ganz als die Geschichte der Verkündigung
und des Glaubens der ältesten Gemeinden und Tradi-

tionslräger verstanden. Keine Erzählung wolle den Hörer
oder Leser einfach fragen, ob BT das Berichtete für faktisch
geschehen halte, sondern lade iehuehr ein, „an «lein (Hauben
teilzunehmen, dessen Ausdruck sie selber ist" (117).

Auch bei den zentralen Vorstellungen (Auferstehung, Sohn
Gottes, Todestaufe) wird in ähnlicher Weise das Moment ihrer
je neuen Sprach- und Vorstellungshorizonte scharf herausgearbeitet
. „Begriffe und Vorstellungen, die uns heute fremdartig
anmuten, weil sie in unserer geläufigen Sprachwelt nicht
mehr vorkommen, können innerhalb eines anderen, vergangenen
, Sprachraumes eine höchst sinnvolle und verständliche
Funktion besitzen und sich von daher sogar dem heutigen
Verständnis bis zu einem gewissen Grade neu erschließen"
(117).

Ausgehend von verschiedenen Widersprüchen des geschichtlichen
und kerygmatischen Zeugnisses (Passionschronologie
, letzte Worte Jesu, Kindheitsgeschichten), die eine
teils theologische, teils legendäre Interpretation erfahren haben
, wird im 2. Teil mit Nachdruck gezeigt, daß es im NT
nicht um Lehre, sondern um Verkündigung geht (141). Die
Einsicht in die entfalteten Zusammenhänge zwinge dazu,
nicht einfach dogmatische dicta probantia zu statuieren, sondern
„auf die je eigene Botschaft der einzelnen Texte im Kähmen
ihres geschichtlichen Zusammenhangs und damit auf die
ihnen zugrunde liegende Aussage" zu achten. Künstliche
Harmonisationen verböten sich bei solcher Einsicht von
selbst und gewisse dogmatische Vorentscheidungen erübrigten
sich. Ein Verlust? Divergierende Fronten im Schrift Verständnis
, auch konfessionelle Sc hranken, mögen dadurch im
guten Sinne „zu wahrhaft ökumenischer Gemeinsamkeit" abgebaut
werden. Was Gottes Wort ist, könne eben keine Inspirationslehre
bestimmen, sondern erweise sich allein dem
lebendigen Glauben. Die Erkenntnis der Geschichtsverflech-
tung bedeutet demnach nicht Verhängnis, sondern Gewinn.
Vor allem setze sie in den Stand, wissenschaftlich redliche
Aussagen zu fällen und dabei doch das biblische Zeugnis dem
Menschen in seiner konkreten Existenz zuzusprechen (149).

Somit eigne also dem Begriff des Wortes Gottes immer ein
„Erfahrungswert", zugleich aber immer auch das Moment
einer persönlichen Glaubensentscheidung. Sei eine naive
Identifizierung von Schriftwort und Wort Gottes unmöglich,
so seien wir doch um so mehr zu einer inhaltlichen Bestimmung
genötigt, die uns letztlich auf die Sclbstoffenbarung
Gottes in Jesus Christus weist, d.i. auf ein Geschehen in Zeit
und Geschichte. Das „gebrochene Zeugnis" davon vermittele
das Neue Testament (151). Und auch heute noch möchte Gottes
abschließende Selbstoffenbarung immer wieder durch die
Verkündigung „Gegenwart" werden. So stelle sich Gottes
Wort dar als die „je neue Verkündigung dieses Gottesgeschehens
". Besteht dabei nicht die Gefahr sehr persönlicher
Willkür?

Der Verfasser legt in erfreulicher Weise den Ton darauf,
daß es Aufgabe der theologischen Besinnung ist, nach Maßstäben
für ilie legitime Vergegenwärtigung des NTs zu fragen
(155). Auslegung müsse mehr als nur historisches Erklären
der Zusammenhänge sein, nämlich: „Bemühen um verstehende
Hereinnähme des Textes ins Heute". Eine sachgemäße
Vergegenwärtigung werde dabei sowohl den historischen Abstand
erfassen, als auch zugleich den Horizont aufdecken, in
dem der damalige Text heute noch zu reden vermag. Tradition
und Situation müssen nach G.IIaufe, der hier auf Anstöße
H.-G. Gadamers zurückgreift, gleicherweise zu ihrem
Becht kommen; denn der Mensch als geschichtliches Wesen
ist auf Horizonterweiterung und Horizontverschmelzung hin
angelegt (156).

In Abgrenzung gegen eine einseitige unkritiseh-biblizisti-
sche, idealistisch-liberale und anthropologisch-existentiale
Position, die den Text nicht ausreden lasse, wird deshalb verlangt
, daß es zu einer „Horizontverschmelzung" zwischen
dem Damals und Heute kommen muß, „in der sowohl der
überlieferte Text wie die gegenwärtige Situation in einem