Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1970

Spalte:

571-573

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Schultz, Werner

Titel/Untertitel:

Theologie und Wirklichkeit 1970

Rezensent:

Knevels, Wilhelm

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

571

Der Entzifferung von Linear B ist der gebührende Platz
eingeräumt, daraus gewonnene Krkeniitnisse sind au verschiedenen
Stellen verwertet. In der 3. Aull, war noch zu lesen
, daß die vorgriechische Bevölkerung zu einer sich von den
I ndogeruianen scharf abhebenden Völkerfaniilie gehört habe
(II § 9). Jetzt werden Georgiev und van Windekens erwähnt
(1* § 11). Der (indogermanisch-) „pelasgischen" These wird
der Anschluß des vorgriechischen Sprachmaterials an die
(indogermanisch-) hethilisch-luwische oder „amitotische"
Gruppe gegenübergestellt, wobei freilich immer noch mit der
Existenz einer iiicbtimlogermanischen l rbe vülkerting gerechnet
wird. Die Darstellung Sch.s hebt sich in ihrer Vorsicht
deutlieh von dem unbeschwerten Optimismus der früheren
Auflagen ab und läßt erkennen, wie weit noch die Forschung
von letzter Klarheit entfernt ist.

Die 3. Aull, wußte noch nichts von der Sprache der mykeni-
schen Texte. Seh. hat einen ganzen Abschnitt diesem altertümlichen
Griechisch gewidmet, dem gewisse Kriterien „eine
Stellung an der Seite des Arkadischen und Kyprischen anzuweisen
scheinen" (U § 30). In der Behandlung der griechischen
Dialekte hat sich ebenfalls manches geändert. Waren
sie in der 3. Aull, noch in den herkömmlichen .'! Gruppen
(Ionisch/Attisch; Achäisch; Dorisch) vorgeführt worden, »o
weicht Seh. als verdienstvoller Kenner dieser Materie auf

Grund der dialektgeographischen (statt der ausschließlich
staminesgeschichtlichen) Betrachtungsweise von diesem Ein-
teilungssehema ab und bildet folgende Gruppen! Ionisch

(-Attisch); Arkadokyprisch; Aiolisch (Kleinasiatisch-Aiolisch
einschließlich Lesbisch; Thessalisch; Boiotisch); Westgrie-
chisch (Dorisch und .ordwestgriechisch). Die Aufnahme des
parnpliyliselieu Dialektes (§ 08) bedeutet eine weitere Bereicherung
dar 4. Auflage.

In den folgenden Abschnitten des Bandes I (IV. Umgangssprache
und l'rkundensprache § 69—83; V. Literatursprachen
§ 84—238) sind § 69—70 (Alphabet und Inschriften) und

§ 124—126 (Jamben und Troehl.....Ii s Archilöchos) inhaltlich

neu gestaltet worden. Auch in den übrigen Paragraphen wird
dem aufmerksamen Leser die Arbeit des Herausgebers nicht
verborgen bleiben, wenngleich die Änderungen nicht mehr so
augenfälliger Art sind wie in § 1—70.

Dies gilt in besonderem Maße auch für Band II (Grundfragen
und Grundzüge des nachklassischen Griechisch). Hier
ist Debrnnncrs Kapitel- und Paragrapheneinteilung durchgängig
übernommen worden. Das Wirken Sch.s tritt im Detail
zutage (eigener Standpunkt in Einzelfragen, sprachliche
Formulierungen, Erweiterung der Literaturangaben, Straffung
des Registerteils bei gleichzeitiger Komplettierung).

Erfreulich ist die drucktechnische Ausführung beider Bände
. Vereinzelte kleine Pannen (I § 209; II § 110) vermögen
das günstige Gesamtbild nicht zu trüben.

Die „Geschichte der griechischen Sprache" hat dank der
Arbeit Anton Scherers den Anschluß an den heutigen Stand
der Wissenschaft erreicht und sollte in der vorliegenden Form
die gleiche Beachtung linden, die früheren Auflagen zuteil geworden
ist.

Leipzig Lolhar Schley

Schultz, Werner: Theologie und Wirklichkeit. Ausgewählte
Aufsätze. Aus Anlaß seines 75. Geburtstages mit einem
Geleitwort v. K. Gruhn, hrsg. v. H.-G. Pust. Kiel: Komm.
Vlg. Lutherische Verlagsgesellscliaft 1969. 351 S.. 1 Porträt
gr. 8°. Karl. DM 19,80.

Fs war ein guter Gedanke, an Stelle der üblichen Festschrift
eine Anzahl von — z.T. wenig beachteten — Abhandlungen
zusammenzustellen, aus denen sich etwas wie ein Gesamtbild
des Lebenswerkes von Schultz (o. Professor für systematische
Theologie, Religionsgeschichte und Religionsphilosophie
in Kiel) ergibt.

572

Wenn man die Aufsätze, die in zwei Teilen: A) „Gegenwärtige
Vergangenheit'' und B) „Gegenwärtige Wirklichkeit"
inhaltlich geordnet sind, in der Reihenfolge ihres Frscheiiiens
liest, wird man feststellen, wie Schultz eine spezifische Arbeitsweise
vierzig Jahre lang eingehalten und entfaltet hat.
Bereits 1933 hat er in der Ileideggerschen Ganzheit des Daseins
zwei grundverschiedene Strukturen erkannt, ein Sein,
dal von sich aus zur Ligentlichkeit seines Selbst gelangt, und
ein anderes Sein, das sich Wirklichkeiten gegenübergestellt
weiß, die zu überwinden nicht innerhalb seiner eigenen Möglichkeit
liegt, und hat Bultinann kritisiert, der beides unbesehen
übernahm (S. 2C9f.). In allen Abhandlungen (darunter
auch zwei bisher nicht gedruckte) zeigt sich die Kunst von
Schultz, Kompliziertes einfach und klar zu sagen, sowie ein
hohes Maß von Universalität. Die zahlreichen Druckfehler,
die auf das Konto der Zeitknappheit und des fotomechani-
schen Nachdrucks kommen, mindern nicht unsere Freude

über das Zustandekommen des Buches. Der Band enthält folgende
Aufsätze: A) Die Idee des Spiels und die Idee der
Menschheit in der Theologie Schleiermachers (1962). Die Bedeutung
der Ehrfurcht in der Religion Goethes und Schleiermachers
. Die Transformierung der theologia eraehi bei Hegel

und Schleiermucher (1964). Die Bedeutung des Tragischen
für das Verstehen der Geschichte bei Hegel und Goethe
(1956). Der Sinn der Geschichte bei Hegel und Goethe (1957).
Der Finlluß der deutschen Mystik auf Hegels Philosophie.
Das Problem der historischen Zeit bei Wilhelm v. Humboldt
(1928). B) Die Wahrheit der Wissenschaft und die Wahrheit
des christlichen Glaubens in protestantischer Sicht (1961).
Das Problem der Hermeneutik in der Theologie und Philosophie
der Gegenwart (1959/60). Die theologische Deutung
der Wirklichkeit (1963). Die Aufgabe einer theologischen
existentialen Anthropologie (1933). Das theologische Verstehen
von Mensch und Zeit (1933). Die Deutung des Leids
im Humanismus und im Christentum (1964). Über die Demut
als Seinsweise des christlichen Menschen (1934).

Die Akterschließung der Wahrheit im Bereich der Geisleswissenschaften
ist nach Schultz ein autonomer Akt, über den
der Mensch verfügen kann, da er selbst und auch der Gegenstand
, auf den sich sein Verstehen richtet, Teil eines — freilieh
nur erlebbaren, nicht erkennbaren — Ganzen sind. Sie erfolgt
in Angleicbung an eine Anthropologie, wie sie zuerst im Bereich
des Christentums möglich geworden sei: Das Ich des
Verstchens ist das Individuum, der ganze konkrete Mensch
in der „Totalität der Gemütskräfte", ausgeliefert den „Untiefen
in jedem von uns" (S. 217). So erhebt die Theologie von
Schultz den Anspruch auf ein tieferes Verstehen der Wirklichkeit
vermöge der Fundierung alles echten Verstehens im
( Hauben und in der opferbereiten Liebe und durch die Erhellung
der Strukturen gegenwärtiger Wirklichkeit unter Aufstellung
des — nicht genug geklärten — Begriffs einer zweiten
— in Christus zu erfassenden — übernatürlichen Wirklichkeit.
Deren Wirkungsweisen und die Art, wie der Mensch an sie
herankommen könne, müßten der besondere Gegenstand der
theologischen Besinnung sein, die einer zweiten Daseinsschicht
, der des gläubigen Daseins (S. 258ff., S. 271 f.), entspringt
, — ein Anspruch, der nicht in der Form einer Oktroyierung
, sondern einer liebenden Begegnung geltend gemacht
wird. In der Theologie selbst hat Schultz stets die Wirklichkeit
Gottes und die Wirklichkeit des Menschen in gleicher
\ eise im Auge und geht den Dritten Weg zwischen denen, die
die erste, und denen, die die zweite isolieren. Der geschichtliche
Mensch Jesus von Nazareth wird als Gottes Sohn verstanden
. Die Grundbefindlichkeit des gläubigen Daseins, das
sich in seiner Zeitlichkeit zur Ewigkeit aufgerufen weiß, ist
die fließende Bewegung wie auf einer Brücke, an deren einem
Ende die Zeit und an deren anderem Ende die Ewigkeit steht
(S. 266, S. 278 u.a.). Zu den Ein/.elausführungen, die viel Erwägenswertes
und manch Frappierendes enthalten, kann hier
nicht Stellung genommen werden. Es sei lediglich erwähnt,
daß die Annäherung des jungen Hegel an die theologia crucis

Theologische Literaturzeituug 95. Jahrgang 1970 Nr. 8