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Ausgabe:

1970

Spalte:

267-269

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Henneken, Bartholomäus

Titel/Untertitel:

Verkündigung und Prophetie im ersten Thessalonicherbrief 1970

Rezensent:

Delling, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 4

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In der dritten Arbeit untersucht der Vf. Probleme der Zukunftserwartung
in ihrem Verhältnis zum Nichtwissen des Sohnes von
deren Zeit und Stunde (Mk 13, 32. Mk 24, 36). Man wird dieses
Selbstzeugnis Jesu nicht als Schöpfung der Urgemeinde werten
dürfen, mit der sie versucht hätte, mit dem Ausbleiben der Par-
usie fertig zu werden. Der Vf. zeigt, wie bis in die Zeit Augustins,
ja bis in die Neuzeit immer wieder die Naherwartung des Endes
der Zeiten zu glühendem Leben erwachen konnte. Er kommt zu
dem Urteil: „Wollte man die urchristliche Enderwartung als zeitbedingt
abtun und an ihre Stelle die Lehre von der ewigen Welt
setzen, wollte man das Bekenntnis zur Totenauferstehung und zum
Weltgericht als Mythologie preisgeben, so würde praktisch eine
Ethik der Bergpredigt in der Nachfolge Jesu übrig bleiben oder
Theologie auf Anthropologie reduziert werden" (S. 83). Das Wort
Jesu macht solche Erwartung nicht ungültig. Es ist zwar in der Tat
sein letztes Wort zu diesen Fragen, „nur daß aus ihm nicht Trägheit
oder Gleichgültigkeit, sondern höchste Wachsamkeit zu folgern
ist" (S. 75).

In der Studie „Mündliche Überlieferung als Prozefj der Textauslegung
" unterzieht der Vf. die von der Formgeschichte methodisch
ausgebaute Auffassung von einer „Produktivität der Gemeinde
hinsichtlich der Erzeugung von Jesus-Logien" einer kritischen
Prüfung. Man sollte gerade diese Arbeit gründlich studieren,
um sich dadurch in der fast kanonischen Geltung formgeschichtlicher
Forschungsergebnisse erschüttern zu lassen (besonders ergiebig
auch für die richtige Einschätzung der Herrenmahl- und
Vaterunser-Tradition!). Ich zitiere hier nur das Ergebnis: „Es ist
in der urchristlichen Tradition doch so, daß die Apostel und Evangelisten
als dienende Verkündiger hinter dem Zeugnis des Herrn
zurücktreten . . . Dieser Akt der Verkündigung, von dem irdischen
Jesus selbst begonnen und seinen Jüngern aufgetragen, bleibt nach
seiner Auferstehung an den Weisungen gebenden Christus gebunden
. Damit wuchert die Tradition nicht über alle Grenzen hinaus,
wie das bei apokrypher Literatur möglich ist" (S. 116).

In der fünften neutest. Studie wird das Verhältnis von griechischer
Philosophie und christlichem Offenbarungsglauben im Blick
auf den Logos-Begriff bei Heraklit und bei Johannes überprüft,
und es ergibt sich daraus, daß vom Pneumagedanken her der
Universalismus des Heils nicht so überzeugend zu begründen ist
wie vom Logos her.

Die folgende geistesgeschichtliche Untersuchung der Frage
nach dem Ursprung der Humanität kann zu einer schärferen Kon-
turierung dieses heute so oft, wie verschwommen gebrauchten
Begriffs wesentliche Hilfe leisten.

Eine große Studie „Luthers Bibelübersetzung im Wandel der
Zeiten" ist durch die letzte Bibelrevision veranlaßt. Sie führt instruktiv
in die Eigenart wie die Einzigartigkeit der Lutherbibel
ein, erweist aber zugleich die Notwendigkeit einer fortdauernden
Weiterarbeit daran, auch über die Revision von 1964 hinaus.

Ein wesentliches Stück Theologiegeschichte unseres Jahrhunderts
wird an dem Thesenaustausch zwischen Adolf von Harnack
und Karl Barth im Jahr 1923 lebendig. Wir Älteren haben die dadurch
bezeichnete Wende in der evangelischen Theologie einst
heißen Herzens miterlebt. Sie behält ihre bleibende Bedeutung dadurch
, daß damals zwei theologische „Grundauffassungen" einander
begegneten, die nicht aufeinander reduzierbar sind, sondern
in neuen Ausprägungen sich auch heute und in Zukunft gegenüberstehen
werden.

Ein in seiner verschiedenartigen Problematik wie den Antworten
, die dazu erarbeitet werden, reiches Buch — man hätte ihm
eine liebevollere äußere Gestaltung seitens des Verlages gewünscht!
Greifswald William Nagel

Stuttgarter Bibelstudien, hrsg. von H. Haag, R. Kilian u. W. Pesch.
Stuttgart: Kath. Bibelwerk. 8°.

29: Henneken, Bartholomäus: Verkündigung und Prophetie im
Ersten Thessalonicherbrief. Ein Beitrag zur Theologie des
Wortes Gottes. [1969]. 122 S. Kart. DM 8.80.
34: Pluta, Alfons: Gottes Bundestreue. Ein Schlüsselbegriff in
Rom 3, 25a. [1969], 128 S. Kart. DM 8.80.
Henneken widmet T°il I und II den Aussagen des 1 Thess
über die Verkündigung des Apostels und der Gemeinde, Teil III
dem Thema Prophetie. Durch das Wort, das sich im Menschenwort

verleiblicht (und zugleich unkenntlich macht [50]), handelt Gott
selbst am Menschen in der Geschichte (29—34 usw.) j er wirkt auch
das Annehmen der Verkündigung im Glauben (47—52). In 1 Thess
1, 8a ist „an eine aktive Verkündigung durch die Thessalonicher
zu denken" (63); auch mit 4,18 und 5,14 sind sie in das aktive
Ausrichten des Wortes hineingestellt (67. 72).

Die eingehendste und m. E. interessanteste Interpretation
widerfährt 1 Thess 4,15—17 (73—98). Hinter dem Text steht ein
Wort, das an Paulus als Propheten erging, und dessen Inhalt er
„selbst in verständliche Sätze zu kleiden hatte" (91); es ist dasselbe
, das 1 Kor 15,51 f. zugrunde liegt (96 f.). Die Wendung
lv 6yif uuptou hat einen alttestamentlichen Hindergrund besonders
in 1 Kön 12, 32—13, 32; auch 1 Thess 4,15 meint sie „auf ein
Wort des Herrn hin" (94). Daß hinter 2,1—4 ein prophetisches
Selbstverständnis des Apostels sichtbar werde, das mit der Unmittelbarkeit
seiner Christusbeziehung in Zusammenhang stehe
(Gal 1,12), kann auch H. nur auf Grund einer weiteren Fassung
des Begriffs Prophetie behaupten (98—103). Die Gefahr der Geringschätzung
der Prophetie, gegen die sich 1 Thess 5, 20 wendet,
könnte nach H. in Verbindung stehen mit der Abwehr einer von
bestimmten Propheten hervorgerufenen eschatologischen Unruhe
durch andere Gemeindeglieder (107—111).

Bei der Angabe der Siglen zu den Textvarianten in 1 Thess
3,2 sind etliche Versehen stehengeblieben (20). —

Die zügig durchgeführte Untersuchung von Pluta skizziert
zuerst die Problemlage und referiert dann über das Verständnis
von Rom 3, 25a in der altkirchlichen — P. ist Patristiker —, der
mittelalterlichen und der neuzeitlichen Interpretation; dabei wird
jedes einzelne Element des Textstückes in gesonderten Abschnitten
je für sich behandelt. Dadurch kommt es zu einer ebenso knappen
wie treffsicheren Einführung in die Fragen, die der Text an P.
stellt. In seiner eigenen Auslegung versucht P. zuerst, an Hand
einer Einteilung von Rom 3, 25a in Kola die Unentbehrlichkeit von
6 La uloteidq in dem rhythmischen Text nachzuweisen (dreimal
beginnt die 2. Zeile mit 6(,a , die 3. mit ev ). „Die begründete
Annahme, daß ein nichtpaulinischer Text vorliegt", führt dazu, daß
TtuoTte nicht o. w. vom Kontext her zu interpretieren ist (46).

Von der Verwendung des Wortes ttlotuq in LXX her, insbesondere
von seinem Gebrauch im Zusammenhang von Begriffen
„des Bundes, der Gerechtigkeit, der Sühne, der Erlösung" aus folgert
P. alsdann: „Demnach hat der Pistisbegriff in Rom 3, 25a denselben
Vorstellungsgehalt, wie in der LXX . . . und muß deshalb
mit ,Treue' übersetzt werden" (52; die Qumrantexte bestätigen das,
52—56). DaßnpOEöeTo temporal zu verstehen sei — „er hat vorherbestimmt
" —, wird allgemein aus alt- und neutestamentlichen Aussagen
über Gottes Heilsplan erschlossen (59—62); auf die lokale
Deutung — öffentlich aufstellen — wird hier nicht weiter eingegangen
. Nach einer Skizzierung der die Kapporeth betreffenden
Sühneaussagen des Alten Testaments zumal im Zusammenhang mit
dem Bundesgedanken versucht P., Jesus als Antityp der alttestamentlichen
Kapporeth im Neuen Testament zu erweisen; dafür
werden vor allem Stellen aus den Evangelien und dem Hebräerbrief
herangezogen, Rom 3,24 f. wird kaum beachtet. Die Wendung
„in seinem Blut" endlich weist auf das den Bund stiftende
und erhaltende Blut wie im Alten so im Neuen Testament. „Der
Pistisbegriff ... ist in Rom 3, 25a nicht nur aus formalen, rhythmischen
Gründen Originaltext, sondern weit mehr aus inneren
Gründen" (77).

Auf Grund der Prüfung eines umfänglichen Materials kommt
P. weiterhin zu dem Ergebnis, daß charakteristische Stilelemente
(Relativsatz, Wortstellungen usw.) von Rom 3, 25a ziemlich häufig
in Texten der LXX1 begegnen — auffallend häufig in Ps Sal —, dagegen
selten in frühchristlichen Liturgien; er folgert daraus, daß
Rom 3, 25a „aus der judenchristlichen Gemeindeliturgie stammt"
(84). Ein breiterer inhaltlicher Vergleich der Aussage-Elemente der
Stelle mit frühkirchlichen Texten (84—104) ergibt, daß nur teilweise
Beziehungen zur Taufe bestehen, dagegen durchgehend solche
zur Eucharistie; dieser ist danach auch Rom 3, 25a ursprünglich
zuzuordnen.

Abschließend wird dann die These aufgestellt, Paulus habe
Rom 3, 25a in gleicher Weise verstanden wie die judenchristliche

1 P. spricht von 298 durchgehenden Gebeten der LXX (78): die als besonders
wichtig angeführten Stellen zeigen freilich keineswegs sämtlich Gebetsstil.