Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1970

Spalte:

262-263

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Bogaert, Pierre-Maurice

Titel/Untertitel:

Apocalypse de Baruch 1970

Rezensent:

Klijn, Albertus Frederik Johannes

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

261

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 4

262

sehen Wechsel der Wortzahl. Derartige formale Merkmale können
sowohl die Grundschichten als auch spätere Bearbeitungen kennzeichnen
. Neben und vielfach in Verbindung mit ihnen sind Merkmale
inhaltlicher Art für die Scheidung der Schichten von Bedeutung
. So stellt der Vf. häufig fest, da5 einzelne Verse oder Versgruppen
überladen sind und weist dabei auf doppelte bzw. mehrfache
Begründung einer Aussage oder auf parallellaufende
Relativsätze hin. Auf diese Weise kann er eine Grundaussage
sowie spezifizierende und modifizierende Ergänzungen, die sich
meist mehrfach überlagern, unterscheiden. Bei solchen literar-
kritischen Operationen macht er auch gattungsgeschichtliche Momente
geltend. Doch sind seiner Analyse zufolge bereits die Grundschichten
in der Mehrzahl der Fälle durch chiastische und rhythmische
Gliederung zum Zweck der Unterweisung und Belehrung
stilisiert worden, so daß die ursprünglichen Gattungen verwischt
sind und eine neue literarische Struktur, die er Katechese nennt,
entstanden ist. Freier gestaltete Partien, die vor allem bei den
späteren Schichten auftauchen, nennt er Predigten. An diesen literarischen
Strukturen versagt die herkömmliche gattungsgeschichtliche
Methode, so daß die Literarkritik auch von da aus gesehen
zwangsläufig den Vorrang behält.

Die einzelnen Einheiten haben zunächst, d. h. aber eben bereits
im literarischen Stadium, ihre eigene Entwicklung durchgemacht
und weisen daher eine unterschiedliche Anzahl und auch
unterschiedliche Arten von Schichten auf. Durchlaufende Quellenstränge
im Sinn einer Urkundenhypothese lassen sich also nicht
feststellen, wiewohl natürlich oft bei mehreren Einheiten parallele
Gedankengänge auftauchen und diese wiederum dem Vf. zu
einer größeren Bestimmtheit bei der Schichtentrennung im Einzelfall
verhelfen. Erst zu späteren, nicht genauer fixierbaren Zeitpunkten
hat man die Einheiten auf redaktionellem Weg zu größeren
Blöcken zusammengefaßt. Da sich die redaktionelle Arbeit jedoch
unter sehr verschiedenen Aspekten vollzog, sind diese Blöcke
z. T. wieder verändert und zu neuen umgestaltet worden, so dafi
sie sich im heutigen Text mehrfach überschneiden. Wichtige Blöcke
für den Vf. sind 14, 21b—17,1, eine Zusammenstellung kultischer
Texte, sowie die antikanaanäisch ausgerichtete To'eba-Reihe (16,
21-17,1; 18,10—12a; 22,5; 23,18 f.; 25,13—16) und die im
amphiktyonischen Recht wurzelnde und im Deuteronomium kasuistisch
gestaltete Bi'arta-Reihe (13,2-6; 17,2—7; 19,11—13; 21,
18-21; 22, 20f.22.23-25; 24, 7f.).

Die Frage, wie aus diesen Blöcken das heute vorliegende Ganze
gebildet wurde, vermag der Vf. nur z. T. mit Hilfe literarkritischer
Methoden zu beantworten. Ausgangspunkt ist die Zentralisations-
formel, die nach Ausweis der Analyse in der Mehrzahl der Fälle
sekundär eingefügt wurde. Da sie in verschiedener Gestalt auftritt
und sich die einfache Form („der Ort, den er bzw. Jahwe erwählt")
speziell in Texten findet, die der Vf. zum Laubhüttenfest rechnet
(z. B. 15, 20; 16,15), nimmt er an, daß dieses Fest zuerst „zentralisiert
" wurde. In einer zweiten Phase wurde die Formel erweitert
(„um seinen Namen dort wohnen zu lassen") bzw. verändert
(Konstruktion des Verbs bhr mit Präposition) und auf den gesamten
Festkalender ausgedehnt, wobei auch das Passa, das nun erst
den Charakter einer Opfermahlzeit annahm, einbezogen wurde
(vgl. 16, 6 f.). In einer dritten und letzten Phase kam es zur Zentralisation
aller Opfer und zur Erlaubnis der profanen Schlachtung,
wobei die Formel ihre Präzision verlor und nun innerhalb des
gleichen Zusammenhanges in verschiedener Gestalt erscheinen
konnte (so besonders in 12,13—27). Diese Ergebnisse stellt der Vf.
anschließend in einen historischen Rahmen und kommt zu folgendem
Gesamtbild: In Anknüpfung an F. Dumermuth (ZAW 70, 1958
S. 59 ff.) ist er der Auffassung, dafi die (einfache) Zentralisations-
formcl, und mit ihr die Zentralisation des Laubhüttenfestes, in
Gibeon beheimatet war und unter Salomo auf Jerusalem übertragen
wurde. Da nun bei ihrer erweiterten Form insbesondere das
Passa einbezogen wurde und dieses auch bei der Kultreform His-
kias eine wesentliche Rolle spielt, betrachtet er das letztere Ereignis
als den Beginn der zweiten Phase der Zentralisation, nämlich
der der Feste überhaupt. Darüber hinaus beobachtet er, daß sich
auch die To'eba- und die Bi'arta-Reihe mit Hiskias Reformmaß-
nahmen, wie sie in den Königs- und Chronikbüchern berichtet
werden, inhaltlich berühren, und nimmt infolgedessen an, daß
unter diesem König zugleich der Grundstock des jetzigen Gesetzeskorpus
gebildet wurde. In diesem waren demnach die beiden eben

genannten Reihen sowie der große Block 14, 21b—16,19, vielleicht
auch die Abschnitte 18,1—4 und 26, 2—IIa, enthalten. Er lehnt also
die auch von Dumermuth angenommene These einer nordisraelitischen
Herkunft des Deuteronomiums ab. Die besondere Rolle des
göttlichen Namens in der erweiterten Zentralisationsformel, die
Dumermuth als einen Ausgleich für die im Nordreich fehlende Lade
betrachtet, erklärt er durch die Vorstellung von der Erhabenheit
Jahwes, der nicht selbst im Jerusalemer Tempel einzieht, stattdessen
aber seinen Namen dort wohnen lassen kann. Für die dritte
Phase, die totale Zentralisation, kann dann nur die Reform Josias
in Anspruch genommen werden. Sie wurde durch das Wiederauffinden
des unter Hiskia entstandenen, wahrscheinlich etwas veränderten
und erweiterten Gesetzeskorpus ausgelöst, wobei zugleich
eine Radikalisierung eintrat und die Abschnitte 12,13—27 und
18, 6—8 hinzukamen. Seinen heutigen Umfang erhielt das Gesetzeskorpus
erst durch den nach Josias Reform wirkenden deuterono-
mischen Redaktor. Dieser Redaktor, dessen Bearbeitung nun wieder
rein literarkritisch erfaßbar ist, hat zwar einige Veränderungen
in der Anordnung vorgenommen, die Einheiten und Blöcke aber
im übrigen unangetastet gelassen und nur wenige, meist sehr kurze
eigene Texte, z. T. auf Grund älterer Vorlagen, eingefügt, um das
Ganze zu verklammern. Charakteristisch für ihn ist die Vorstellung
von der Ruhe, die dem Volk durch das zum Eigentum gegebene
Land geschenkt ist (z. B. 12, 9 f.; 25,17—19). Längere Texte, die er
weitgehend selbst gestaltet hat, sind nur 17,14—20 und 18,12b—22.
Nach ihm sind kaum weitere Bearbeitungsspuren zu bemerken.
Lediglich der deuteronomistische Redaktor — der Vf. setzt Noths
bekannte These voraus — hat noch einige kleinere Ergänzungen
hinzugefügt und dabei vor allem die Vernichtung kanaanäischer
Kulte und Städte ins Auge gefaßt (z. B. 12, 2-7; 20,15—18).

Der Vf. ist also zu einer durchaus neuartigen Gesamtschau und
auch im einzelnen zu vielen neuen und beachtenswerten Ergebnissen
gelangt. Dabei hat er zugleich gezeigt, wie nötig es ist, das
deuteronomische Gesetzeskorpus als Ganzes einer eindringenden
und diffizile Kleinarbeit nicht scheuenden Untersuchung zu unterwerfen
. Natürlich sind nicht alle Ergebnisse befriedigend. Das gilt
vor allem für die stilistischen Vergleiche, wo aus wörtlichen Übereinstimmungen
bzw. geringen Abweichungen oft sehr rasch weitreichende
Folgerungen gezogen werden. Hier macht sich störend
bemerkbar, daß der Vf. der grundsätzlichen Frage, welche Wendungen
und Formeln denn überhaupt für solche Vergleiche geeignet
sind, zu wenig nachgegangen ist. Auch die Annahme eines
metrischen Aufbaus unter Zugrundelegung rhythmischer Worte
bleibt problematisch. Was schließlich die Herausbildung des Gesetzeskorpus
als Gesamtheit betrifft, so ist die Begründung mit
Hilfe literarkritischer und historischer Überlegungen nicht genügend
ausgearbeitet und abgesichert und trägt z. T. geradezu
aphoristischen Charakter. Man muß jedoch bedenken, daß das
Werk eine Pionierleistung ist und angesichts der Fülle von Beobachtungen
und Ergebnissen wie auch der verarbeiteten Literatur
für jeden, der sich weiter mit diesem Gebiet beschäftigen möchte,
eine wahre Fundgrube darstellt. Dadurch und vor allem durch das
mutige Aufgreifen literarkritischer Fragestellungen reiht es sich
würdig neben neueren Arbeiten ähnlicher Art, etwa die von R. Kilian
zum Hciligkeitsgesetz (Literarkritische und formgeschicht-
lichc Untersuchung des Heiligkeitsgesetzes, 1963) und die von N.
Lohfink zu Dtn 5—11 (Das Hauptgebot, 1963), ein und wird noch
lange seine Bedeutung behalten.

Einige störende Druckfehler und Versehen seien notiert. Es
muß richtig heißen: Eißfeldt (statt Eißfeld, passim), S. XVIII Z. 9
VT 2, 1952; S. 58 Z. 13/12 v. u. tPTt, rrn; S. 64 Z. 4/5 Hinzufügungen
; S. 126 Z. 7 v. u. des Dekalogs (statt des Bundesbuches);
S. 142 Z. 22 2,5ab«; S. 177 Z. 1 u. ö. ; S. 271 Z. 10 5a«; S. 278

Z. 3 (an vorletzter Stelle der Zeile) 5a. Auf S. XXII oben ist die
alphabetische Ordnung nicht eingehalten.

Leipzig Joachim Conrad

Bogaert, Pierre: Apocalypse de Baruch, I u. II. Introduction, Tra-
duetion du Syriaque et Commentaire. Paris: Editions du Cerf
1969. 528 S. u. 283 S. 8° = Sources Chretiennes, dir. par H. de
Lubac, J. Danielou, C. Mondesert, 144/145. zus. fr. 100.—.

In dieser Ausgabe werden einige unumgängliche Probleme

diskutiert wie die Überlieferung des Textes, die Quellen, die